Samstag, Dezember 21

Der Zürcher Heimatschutz stellt fest, dass Kommunen vermehrt rechtskräftige Entscheide nicht umsetzen.

Die Gemeinde Dürnten wird ihre Verwaltung bis 2027 in den Ortsteil Tann verlegen. Das beschloss das Stimmvolk im letzten März mit der Zustimmung zu einem Kredit von 15,7 Millionen Franken für einen Neubau am künftigen Standort.

Schon länger befasste sich der Gemeinderat mit der Frage, was um das Gemeindehaus im Ortskern von Dürnten unmittelbar neben der Kirche geschehen soll. Zu diesem Zweck leitete er die ersten Schritte für eine Arealentwicklung ein. Zum Perimeter gehört auch das Landihaus an der Rütistrasse 3, das der Gemeinde gehört. Es steht in der scharfen Kurve, welche die Kantonsstrasse zwischen Rüti und Hinwil hier vollführt.

Ende August beschloss die Exekutive, das 1864 erbaute Haus aus dem Inventar der kommunalen Schutzobjekte zu entlassen. Sie berief sich auf ein Gutachten, das sie selbst in Auftrag gegeben hatte: Das ursprüngliche Gebäude sei durch Umbauten stark verändert worden und sei aufgrund des Verlusts historischer und architektonischer Merkmale nicht mehr schutzwürdig.

Urteil unauffindbar

Vergangene Woche gab der Zürcher Heimatschutz (ZVH) bekannt, gegen den Entscheid Rekurs einzulegen. Grund: Dürnten wollte das Haus bereits 2009 aus dem Schutz entlassen. Der ZVH verhinderte das jedoch damals, indem er mit einer Einsprache vor dem kantonalen Verwaltungsgericht siegte.

Zwar gingen die Richter davon aus, dass das Haus zwischen dem Gemeindehaus und dem einstigen Gasthof zum Löwen als Einzelobjekt an Wert verloren hat. Ursprünglich ein Wohnhaus mit Restaurant im Parterre, beherbergte es später die Konsumgenossenschaft, deshalb der Name Landihaus. Heute nutzt es die Gemeinde teilweise als Asylunterkunft.

Im rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts vom 4. Mai 2011 wird jedoch auch seine prägende Wirkung für den Ortskern von Dürnten hervorgehoben. Das Gebäude sei offensichtlich ein Schutzobjekt, schrieben die Richter vor dreizehn Jahren. Sie forderten den Gemeinderat explizit auf, die notwendigen Schutzmassnahmen zu treffen.

Der Heimatschutz bezeichnet das Vorgehen der Gemeinde als unhaltbar. Es sei eine Zwängerei, wie sie ein rechtskräftiges Urteil übergehe. Der Beschluss des Gemeinderats zur Inventarentlassung geht mit keiner Silbe auf das frühere Verfahren ein.

Der ZVH schreibt aber auch, es könne vermutet werden, dass die heute zuständigen Personen diese Vorgeschichte gar nicht gekannt hätten. Tatsächlich löste seine Intervention bei der Gemeindeverwaltung Dürnten grosse Überraschung aus.

Der Gemeindeschreiber Daniel Bosshard versichert gegenüber der NZZ, der Bausekretär und weitere involvierte Personen fänden diesen Gerichtsentscheid nicht. Und das, obwohl es um ein Gebäude im Eigentum der Gemeinde geht. Laut Bosshard sind die Beteiligten erst nach 2011 in die Gemeindeverwaltung eingetreten, er selber im Jahr 2015. Inzwischen habe man den Entscheid des Verwaltungsgerichts von 2011 zur Kenntnis genommen.

Es ist aber auch möglich, dass die Dürntner Exekutive von 2011 den Richterspruch einfach ignorierte, indem das Gebäude zwar im Schutzinventar verblieb, jedoch keine Schutzmassnahmen angeordnet wurden. Das bereitet nun den heutigen Mitgliedern des Gemeinderats Probleme. Für den Hauptbau müsse jetzt ein Schutzvertrag erarbeitet werden, der bei der Erarbeitung einer Machbarkeitsstudie zu berücksichtigen sei, sagt der Gemeindeschreiber.

Daniel Bosshard bekräftigt, man bedaure den Fehler, der durch den Wissensverlust nach Personalwechseln auf allen Ebenen entstanden sei. Der Gemeinderat werde seinen Beschluss aufheben müssen. Eventuell werde man unter Einbezug des ZVH prüfen, den südlich angebauten Gebäudeteil aus dem Inventar zu entlassen.

Gutachten unterschiedlich interpretiert

Der Zürcher Heimatschutz liegt immer wieder im Clinch mit kommunalen Behörden, weil sie ein Gebäude nicht unter Schutz stellen wollen. In der vergangenen Woche machten die Tamedia-Zeitungen den Fall eines Weinbauernhauses an der Bahnhofstrasse in Kilchberg publik, dessen älteste Teile auf das 17. Jahrhundert zurückgehen.

Der Gemeinderat wollte das Haus zum Abbruch freigeben, damit Coop einen Neubau erstellen kann. Der Heimatschutz rekurrierte schon 2021 gegen das Bauvorhaben, worauf das kantonale Verwaltungsgericht Kilchberg zu einer denkmalpflegerischen Abklärung verpflichtete.

Das Beispiel zeigt, dass auch Gutachten nicht einfach Klarheit schaffen, weil man sie unterschiedlich lesen kann. Der Gemeinderat Kilchberg stuft die Schutzwürdigkeit des Weinbauernhauses als gering ein und stützt sich damit auf das Fazit im Gutachten, es handle sich «nicht um ein hochrangiges Schutzobjekt».

Der Heimatschutz hebt die Empfehlung im Gutachten hervor, es handle sich als Gesamtes um ein Schutzobjekt von kommunaler Bedeutung, das als wichtiger Zeuge einer wirtschaftlichen Epoche «erhaltenswürdig» sei. Es gehe um eines der ältesten Häuser am Zürichsee.

Wahrscheinlich wird der Heimatschutz die Weigerung des Kilchberger Gemeinderats anfechten. Dieser will, wie er vergangene Woche mitteilte, im Gespräch versuchen, weitere Verzögerungen für das Coop-Projekt zu vermeiden.

Vermehrt Urteile ignoriert

Ungewöhnlicher ist, wenn Gemeinden rechtskräftige Gerichtsurteile einfach ignorieren – ob bewusst oder weil sie irgendwann «vergessen» gehen, wie der Heimatschutz selber in Anführungszeichen schreibt. Leider sei Dürnten kein Einzelfall, sagt Martin Killias auf Nachfrage gegenüber der NZZ. Er kenne mehrere ähnlich gelagerte Fälle.

Als Beispiel erwähnt er eine Liegenschaft, die durch die Eingemeindung von Hirzel zu Horgen kam. Vor sechs Jahren habe das Bundesgericht das vom Heimatschutz erwirkte Urteil des Verwaltungsgerichts bestätigt, dass dieses Haus nicht aus dem Schutzinventar entlassen werden darf.

Das Verwaltungsgericht habe 2022 erneut und rechtskräftig entschieden, dass entgegen dem Willen eines renitenten Miteigentümers auch Gebäudeteile im Innern zu erhalten sind. Dennoch habe Horgen das Haus bis heute nicht unter Schutz gestellt, stellt Killias fest.

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