Mittwoch, Dezember 4

Der Strukturwandel der Kommunen im Kanton Zürich harzt. Geht es ihnen fast zu gut?

Gemeinden pflegen gerne das Selbstbild, nah an den Menschen zu sein. Doch in der Wirklichkeit wird dieser Anspruch bei weitem nicht immer eingelöst. Das zeigt sich, wenn die Verwaltungstätigkeit nach betriebswirtschaftlichen Kriterien beurteilt wird.

Um die meisten Anforderungen zu erfüllen, etwa für Planung und Bau, sollte eine Gemeinde mindestens 10 000 Einwohnerinnen und Einwohner zählen. Im Kanton Zürich trifft das heute nur für jede fünfte Kommune zu. Um das Steuerwesen effizient und kostengünstig zu bewältigen, würden für die 160 Zürcher Gemeinden eigentlich 7 regionale Steuerämter reichen. Das erfuhren die Vertreter der Kommunen kürzlich am Gemeindeforum, das der Kanton jährlich organisiert.

Nötig wären also grössere Einheiten. Doch die Bereitschaft zu Gemeindefusionen erlahmt. Die Beharrungskräfte sind enorm. Nach der zweiten Zürcher Eingemeindung 1934 blieb die Struktur der politischen Kommunen achtzig Jahre lang unverändert, ehe die neue Kantonsverfassung einen Impuls setzte. Dabei übt der Kanton Zürich zu Recht keinen Druck aus, damit Gemeinden fusionieren, sondern setzt auf Freiwilligkeit und finanzielle Anreize, um ihnen den Schritt zu erleichtern.

Doch die Zahl der Gemeinden ist seit 2014 lediglich um zehn zurückgegangen. Das geschah meist durch die Eingemeindung kleiner, kaum mehr lebensfähiger Kommunen in eine grössere Nachbarin, wie letztmals 2023 in Andelfingen. Die einzige wirkliche Fusion von drei gleichberechtigten Gemeinden bleibt bis anhin die Bildung von Stammheim 2019.

Vor bald zehn Jahren überarbeitete der Zürcher Kantonsrat das Gemeindegesetz. Um ein wenig Ordnung im kommunalen Dickicht zu schaffen, legte er fest, dass eine gemeindeübergreifende Schulgemeinde in Zukunft räumlich mit den Politischen Gemeinden deckungsgleich sein muss. Doch Risiken und Nebenwirkungen gibt es nicht nur in der Medizin, sondern oft mit Verzögerung auch in der Politik.

Die erwähnte Bestimmung war weniger Ursache, aber doch Auslöser einer höchst ungewöhnlichen Absetzbewegung in jüngster Zeit. Nänikon, ein Teil der Stadt Uster, betreibt seit über hundert Jahren mit der Nachbargemeinde Greifensee eine gemeinsame Sekundarschule. Dieser Zustand ist laut dem revidierten Gesetz seit Anfang 2022 widerrechtlich.

Um die Schulgemeinde zu erhalten, ertönte aus Nänikon der Ruf nach dem Gemeindewechsel, untermauert mit Initiativen. Da es um ein Gebiet mit etwa 3000 Einwohnerinnen und Einwohnern geht, ist das mehr als eine Lokalposse. Und es entsprach keineswegs der Absicht des Gesetzgebers. Der wollte seinerzeit, dass die Schulgemeinden sich anpassen, und sicher nicht, dass Grenzen von Politischen Gemeinden verschoben werden.

Die Abtrünnigen konnten allerdings nie vermitteln, weshalb ihre Verbundenheit mit Greifensee, der gelebte Alltag, durch die Gemeindegrenze beeinträchtigt sein sollte. Ihr Anliegen richte sich gar nicht gegen Uster, hiess es. Die Stadtbehörden befürchteten hingegen mit guten Gründen Nachteile und hohe Kosten.

Verständlicherweise lehnte es die Ustermer Stimmbevölkerung Ende November ab, einen langwierigen und aufwendigen Prozess einzuleiten, nur damit die Bewohnerinnen und Bewohner eines Stadtteils sich behaglicher fühlen. Eine Schwächung von Uster wäre auch im Widerspruch zur kantonalen Politik gestanden, die regionalen Zentren zu stärken.

Fragile Beschaulichkeit

Im positiven Sinn verdeutlicht der Vorgang die hohe Bedeutung der unmittelbaren Lebenswelt für sehr viele Menschen in der Schweiz, ihre Identität als Teil eines Dorfes oder einer Gemeinde. Das ist wichtig und auch gut. Es ändert allerdings nichts am Umstand, dass der Wunsch nach Überschaubarkeit zunehmend in Konflikt mit den Anforderungen gerät, die heute an die Gemeinden gestellt werden.

Dabei geht es nicht in erster Linie um die Probleme, die Exekutivämter zu besetzen, wie es kürzlich ein nationales Gemeinde-Monitoring zum Thema machte. Diese Sorge taucht zuverlässig alle vier Jahre auch im Kanton Zürich vor den kommunalen Wahlen auf. Am Ende sind dann doch fast alle Posten besetzt.

Selbstverständlich wird es schwieriger, angesichts der steigenden Belastung geeignete Leute für Ämter zu finden, die ihnen viel Arbeit abverlangen. Mit der Ehre ist es nicht mehr weit her, ebenso wenig mit beschaulichen Verhältnissen. Auch Feierabendpolitiker müssen, wie während der Pandemie, plötzlich in den Krisenmodus wechseln. Derzeit erleben das zum Beispiel die Gemeindeexekutiven im Bezirk Hinwil, die unvermittelt in die Situation gerieten, ihr Spital in Wetzikon retten zu müssen.

Die Aufgaben zu erfüllen, wird politisch heikler, etwa wenn es gilt, Unterkünfte für Asylsuchende zur Verfügung zu stellen, während der Wohnungsmarkt ausgetrocknet ist. Doch auch für die Verwaltung steigen die Anforderungen. Das war ebenso eine Erkenntnis am jüngsten Gemeindeforum.

Die Digitalisierung und die Raumplanung mit dem ständig komplexer werdenden Baurecht schaffen zunehmend Probleme für die Gemeinden. Immer mehr sind nicht mehr in der Lage, solche Aufgaben ohne externe Unterstützung zu erfüllen. Auch bleiben sie nicht vom Fachkräftemangel verschont, im Gegenteil. Sind in einer kleineren Gemeinde nur drei Personen für das Bauwesen zuständig, spüren es Bauwillige rasch, wenn eine Vakanz längere Zeit nicht besetzt werden kann.

Dann kippen überschaubare Verhältnisse rasch ins Negative. Für jüngere Angestellte, die Teamwork, Weiterbildung und Aufstiegsmöglichkeiten suchen, ist ein Arbeitsplatz in einer kleinen Gemeindeverwaltung nur bedingt attraktiv. Das Gebot lautet deshalb mehr denn je, verstärkt zu kooperieren oder sich ganz zusammenzuschliessen. Das wird zwar zunehmend gemacht, aber noch allzu zaghaft.

Auch das illustriert das Beispiel von Uster und Greifensee. Ihr Siedlungsgebiet ist zusammengewachsen. Die beiden Gemeinden betreiben zusammen eine Ortspolizei und eine gemeinsame Kläranlage. Sachlich spricht vieles deshalb für eine Fusion, die Uster ausdrücklich befürwortet. Aus Sicht der Einwohnerinnen und Einwohner sind es jedoch verschiedene Welten. Nach der Irritation der letzten Monate ist ein Zusammenschluss ohnehin ausgeschlossen.

Wenig Reformdruck

In den Zürcher Gemeinden wird gerne beklagt, dass der Kanton ihnen immer neue Aufgaben überwälze. Aber näher betrachtet gibt es wenig Grund zu jammern. Das dokumentierten in diesem Jahr reihum hervorragende Rechnungsabschlüsse und ebenso die Budgetversammlungen, die derzeit stattfinden. Ausnahmen gibt es immer. Doch finanziell geht es den Kommunen «sehr gut», wie das kantonale Gemeindeamt im Juni trocken feststellte. Sie häufen Überschüsse an, bauen Schulden ab oder senken den Steuerfuss.

Für den Kanton verdüstern sich hingegen die Perspektiven. Das liegt unter anderem gerade daran, dass er, gegen den Protest seiner Regierung, die Gemeinden entlastet hat. Im September 2021 stimmte das Volk am gleichen Tag zu, dass sich der Kanton stärker an den Sozialkosten der Gemeinden und ebenso am Unterhalt der kommunalen Strassen beteiligt.

Ausserdem verfügt Zürich über einen auch im Vergleich mit anderen Kantonen wirksamen Finanzausgleich. Sonst gäbe es heute nicht noch mehr als ein Dutzend Zürcher Gemeinden mit weniger als tausend Seelen.

Schliesslich sind da noch die Grundstückgewinnsteuern, die allein den Gemeinden zugutekommen. Sie sind zwar nur schwer berechenbar. Aber dank dem anhaltenden Immobilienboom sprudeln sie immer kräftiger in die Gemeindekassen. Prompt hat der Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) ein Auge auf diese Quelle geworfen und möchte den Kanton daran teilhaben lassen.

Das trägt zwar nicht zu einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen Kanton und Gemeinden bei. Letztlich sitzen jedoch alle im gleichen Zürcher Boot. Derzeit überprüft der Regierungsrat alle grösseren Investitionen. Das betrifft auch kantonale Schulen und Strassen im ganzen Kantonsgebiet. Werden davon einige Projekte aufgeschoben, trifft das auch die Regionen und Kommunen.

Dort mangelt es noch am Bewusstsein, dass der Kanton Zürich mit 160 Politischen Gemeinden und 67 Schulgemeinden noch immer eine allzu kleinteilige und letztlich teure Struktur aufweist. Der Kanton fördert mit der Plattform «Gemeinden 2030» den Austausch, und der Verband der Gemeindepräsidien bemüht sich, das Denken in funktionalen Räumen zu fördern. Mit bescheidenem Erfolg: Die Kommunen dürften sich dann aber nicht wundern, wenn ihre Bedeutung nachlässt.

Eine Radikalkur wie im Kanton Glarus, der 2006 die Bildung von nur noch drei Gemeinden beschloss, ist wohl nur mit der Dynamik möglich, die eine Landsgemeinde entwickeln kann. Das Beispiel ist für Zürich dennoch wichtig. Es ist doch nicht so, dass die Menschen zuhinterst im Tal sich primär mit ihrer neuen Gemeinde Glarus Süd identifizieren. Sie fühlen sich weiterhin Schwanden, Elm, Linthal oder Mitlödi zugehörig.

Sternenberg, Hirzel oder Kyburg haben doch ihre Identität nicht verloren, weil sie sich einer anderen Gemeinde angeschlossen haben. Grössere Einheiten zu bilden, bleibt wichtig. Also Grenzen aufzuheben, aber sicher nicht bestehende Grenzen zu verschieben.

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