Könnte die EU Zölle auf digitale Angebote von Amazon, Google und anderen amerikanischen Firmen erheben? Laut Experten ist das schwierig umsetzbar. Auch weil Donald Trump bereits daran ist, die EU beim digitalen Handel noch stärker unter Druck zu setzen.
Donald Trump hat die Inkraftsetzung eines Teils seiner am 2. April eingeführten Zölle verschoben. Das verschafft allen Parteien Zeit, nach Lösungen zu suchen. Oder mögliche Gegenmassnahmen vorzubereiten, falls Trump dennoch Ernst macht.
Die EU werde während Trumps 90-tägiger Pause nun ein ausgewogenes Abkommen mit Washington anstreben, sagte Ursula von der Leyen der «Financial Times». Sie sei aber auch daran, Vergeltungsmassnahmen zu entwickeln, ergänzte die EU-Präsidentin. Dafür gebe es eine Reihe von Möglichkeiten, etwa Zölle auf den Dienstleistungsverkehr zwischen den USA und der EU oder eine Abgabe auf die Werbeeinnahmen aus digitalen Angeboten. Solche Massnahmen würden zum Beispiel Google oder Meta (Facebook) treffen.
Doch wie könnten Zölle auf digitale Dienstleistungen konkret erhoben werden? Johannes Fritz, Geschäftsführer des St. Gallen Endowment for Prosperity Through Trade und Experte für internationale Handelspolitik, sieht mehrere Wege.
Digitaltechnologie für Digitalzölle
Behörden könnten von amerikanischen Unternehmen zum Beispiel verlangen, sich bei lokalen Aufsichts- oder Steuerbehörden zu registrieren und danach entsprechende Abgaben zu zahlen. Die Technologie könnte helfen: Denkbar wären laut Fritz digitale Plattformen, auf denen sich Anbieter registrieren und jede grenzüberschreitende Transaktion melden müssen. Dort würde zum Beispiel der Wert von Anzeigen sichtbar, die ein Händler aus Europa bei Google oder Facebook schaltet. Behörden könnten dann automatisch einen Zoll berechnen und einziehen.
Beim digitalen Handel gibt es allerdings einen zentralen Unterschied zum Warenhandel: Die Einfuhr von Maschinen oder Medikamenten lässt sich an den Landesgrenzen einigermassen einfach überwachen. Doch wie soll ein Land wissen, wie viele Netflix-Abos innerhalb seiner Grenzen aktiv sind? Für eine korrekte Erhebung müssten wohl die amerikanischen Anbieter von digitalen Dienstleistungen mit den EU-Behörden kooperieren. Ob sie dazu bereit wären, ist laut Johannes Fritz fraglich.
Abgaben auf digitale Dienstleistungen aus den USA stossen in Europa zudem auf Kritik. Laut dem deutschen Digitalverband Bitkom könnten Unternehmen aus den USA, die neu Digitalabgaben oder -zölle zahlen müssen, die zusätzlichen Kosten einfach an die Kunden weitergeben.
Wie real diese Gefahr ist, hat sich laut Johannes Fritz kürzlich in Indonesien gezeigt: Als dort eine Steuer auf digitale Angebote erhoben wurde, liess sich beobachten, wie amerikanische Anbieter am darauffolgenden Tag ihre Abo-Preise anhoben und die Steuer so eins zu eins weiterreichten. «Konsumenten fragen spezifische Produkte wie Netflix oder Disney+ nach», sagt Fritz. «Zu diesen gibt es meist keine Alternative.»
Belastung für Konsumenten und Kunden in der EU
Gemäss dem Digitalverband Bitkom ist Europa auch in Bereichen wie Standardsoftware und Cloud-Lösungen stark auf Anbieter aus den USA angewiesen. Beispiele sind Microsofts Software, Amazons Cloud-Computing-Anwendungen und weniger bekannte Produkte wie die Software von Salesforce, die viele europäische Firmen zur Kundenverwaltung nutzen.
«Der Pferdefuss an Massnahmen wie digitalen Zöllen ist darum, dass am Schluss wohl die europäischen Konsumenten und Firmen stark belastet würden», sagt der Handelsexperte Fritz.
Während die EU noch über Gegenmassnahmen nachdenkt, legen die USA bereits den Grundstein für weitere Schritte. Das zeigt ein aktueller Bericht der von Johannes Fritz geleiteten St. Galler Stiftung. Am 21. Februar unterzeichnete Donald Trump ein Memorandum zur US-Tech-Industrie. Es wirft ausländischen Regierungen vor, mit immer neuen Regeln die amerikanischen Dienstleistungsfirmen zu behindern und sich Einnahmen anzueignen, die den USA zustünden.
Frühestens im Verlauf des Aprils werden die US-Behörden in einer Analyse aufzeigen, welche Hindernisse ausländische Staaten den Firmen in den USA konkret in den Weg legen und welche Massnahmen die US-Regierung dagegen ergreifen kann. Trump hat damit einen Kampf wiederaufgenommen, den er bereits in seiner ersten Amtszeit führte.
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht die Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Schon Trumps erste Regierung hatte in diesem Bereich Strafmassnahmen beschlossen. Sie drohte mit einem Zoll von 25 Prozent auf den Import ausgewählter Produkte bestimmter Länder. Das war als Vergeltung für Nationen gedacht, die aus Sicht von Trump zu Unrecht Steuern auf digitale Dienstleistungen amerikanischer Firmen erhoben. Betroffen waren etwa Österreich, Frankreich, Italien, Spanien und Grossbritannien.
Trump weitet den Streit aus
Unter Biden wurde zwar eine andere Lösung für den Streitfall gefunden, die Wiederwahl von Trump verhinderte jedoch ihre Umsetzung. Die neue Trump-Regierung hat die Abklärungen nun wieder aufgenommen – und gar noch ausgeweitet. Neben direkten Steuern für digitale Konzerne wie Google, Amazon oder Netflix rücken nun auch indirekte Abgaben wie die Mehrwertsteuer in ihr Visier. Der Vorwurf: Diese Steuersysteme – etwa die neue EU-Mehrwertsteuer für die digitale Wirtschaft – würden die USA ebenfalls benachteiligen.
Der Konflikt um die Besteuerung des digitalen Handels tobt bereits heftig. Das Memorandum von Trump schürt aber noch bei anderen Themen Streit, etwa der Regulierung von Inhalten in sozialen Netzwerken. Lange war dies ein nationales Thema, geprägt von unterschiedlichen Vorstellungen über Meinungsfreiheit und Moral.
Doch nun wird der Streit international. Amerikanische Konzerne wie Meta wehren sich gegen Vorgaben etwa in der EU und lockern ihre Moderation von heiklen Inhalten. Im Memorandum erhalten sie Unterstützung von der neuen Trump-Regierung: Diese bezeichnet die ausländischen Regeln nicht nur als Angriff auf die Meinungsfreiheit, sondern auch als Einschränkung der Geschäftsfreiheit amerikanischer Firmen und damit als Handelshemmnis.
Der Trump-Regierung stossen noch weitere Punkte sauer auf. Ein zentraler Streitpunkt sind die strengen EU-Regeln für den Datentransfer: Hält die EU den Datenschutz eines Landes für unzureichend, schränkt sie den Datenfluss ein. Personenbezogene Daten von EU-Bürgern – zum Beispiel Namen, E-Mail-Adressen oder Suchanfragen, die Google in Europa sammelt – dürfen dann nur unter besonderen Auflagen übermittelt werden.
Derzeit erleichtert ein EU-Abkommen von 2023 die Übermittlung in die USA, doch neue amerikanische Massnahmen gefährden diese Regelung: Die Trump-Regierung sieht auch in diesen EU-Vorgaben eine wirtschaftliche Benachteiligung von Tech-Konzernen wie Amazon oder Google.
Ein langwieriger Konflikt droht
Laut dem Bericht der St. Galler Stiftung ist keine schnelle Lösung für diese Streitfragen in Sicht. «Die geopolitischen Spannungen in der Digitalpolitik werden bestehen bleiben», lautet die Einschätzung.
Für die USA sind die Streitpunkte eine willkommene Gelegenheit, bereits beschlossene Zölle zu begründen. Oder gar neue Zölle zu erlassen, zum Beispiel auf den Import von Landwirtschaftsprodukten. Damit verfügen sie auch über ein Druckmittel, um andere Länder dazu zu bringen, ungeliebte Regulierungen im digitalen Handel wieder abzuschaffen. Die Auseinandersetzung, so scheint es, hat gerade erst begonnen.