Donnerstag, April 24

Vor mehr als 50 Jahren hat Klaus Schwab das Weltwirtschaftsforum (WEF) gegründet. Nun ist er vom hochgeachteten Ökonomen zur Persona non grata geworden.

Seit Jahrzehnten prägt das Weltwirtschaftsforum (WEF) die Geschichte Europas und der Welt mit. Die Plattform erwirtschaftet mehr als 400 Millionen Franken Umsatz pro Jahr und beschäftigt 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Genf und rund um den Globus. Die jährliche Konferenz in Davos steht dabei symbolisch für den Erfolg des WEF.

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Nun stehen das Forum und sein Gründer Klaus Schwab unter massiver Kritik. Schwab ist vor wenigen Tagen überraschend zurückgetreten. Seither überschlagen sich die Ereignisse. Und Schwabs Erbe ist gefährdet.

Interimsmässig haben der frühere Nestlé-CEO Peter Brabeck-Letmathe und der CEO Börge Brende die Führung des WEF übernommen. Der Stiftungsrat leitete eine Untersuchung gegen Schwab ein und teilte ihm mit, dass er ab sofort und bis auf weiteres alle vertraglichen und nicht vertraglichen Kontakte mit dem Forum aussetzen müsse – was dieser als Hausverbot interpretiert.

Hintergrund dieser Massnahmen sind Vorwürfe eines Whistleblowers, die am Dienstagabend im «Wall Street Journal» publiziert wurden. Schwab und seine Ehefrau werden beschuldigt, Mittel des Forums für persönliche Zwecke verwendet zu haben. Schwab sieht sich als Opfer einer Schmutzkampagne.

Die wichtigsten Meilensteine in der Geschichte des WEF.

1971

Die Idee für das Weltwirtschaftsforum hat Klaus Schwab 1970. Er verlässt die Industriegruppe Escher Wyss, um eine zweiwöchige Konferenz zu organisieren. Das erste «European Management Forum» findet im Februar 1971 in Davos in den Schweizer Alpen statt. 450 Manager, Mitglieder der Europäischen Kommission und führende Wissenschafter amerikanischer Universitäten nehmen daran teil. Der Grundstein für ein globales Forum mit führenden Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik ist gelegt.

1973

Bei der dritten Auflage des Forums entsteht das sogenannte «Davoser Manifest», eine Art Verhaltenskodex. Dabei wurden Normen festgehalten und ein Grundsatzkatalog erstellt. Grundlage dafür ist das sogenannte Stakeholder-Modell. In dem Manifest heisst es unter anderem: «Der Zweck eines professionellen Managements besteht darin, Kunden, Aktionären, Arbeitnehmern und Mitarbeitern sowie der Gesellschaft zu dienen und die unterschiedlichen Interessen der Stakeholder in Einklang zu bringen.»

1976

Das erste Symposium zur arabisch-europäischen Wirtschaftskooperation findet in Montreux am Genfer See statt. Zudem lanciert das European Management Forum gemeinsam mit der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO) ein Programm für Investment-Projekte. 26 Länder profitieren davon, darunter Länder wie Bolivien, Iran, die Elfenbeinküste, Nigeria, die Philippinen und Thailand.

1979

Schwab hat die frühen wirtschaftlichen Reformen in China unter Deng Xiaoping verfolgt, er erkennt die Bedeutung des Landes für die Zukunft der Weltwirtschaft. Erstmals nimmt eine Delegation Chinas am Jahrestreffen in Davos teil. Schwab besucht später im gleichen Jahr mit einer Delegation von 20 europäischen CEO China. Beides führt zur Gründung des jährlichen «China Business Summit». Es ist der Beginn einer engen Beziehung zwischen dem Forum und China.

1987

Das European Management Forum ändert seinen Namen in Weltwirtschaftsforum, um seiner globalen Mitgliedschaft Rechnung zu tragen. Der deutsche Aussenminister Hans-Dietrich Genscher spricht sich dafür aus, sich der Sowjetunion zuzuwenden. Es ist die Zeit, in der die UDSSR sich zu öffnen beginnt, in der Mikhail Gorbachev seine wirtschaftlichen und politischen Reformen von Perestroika und Glasnost umsetzt und sich damit auch dem Westen zu öffnen beginnt.

1988

Nach einer ersten Begegnung beim WEF im Jahr 1986 unterzeichnen der türkische Premierminister Turgut Özal und sein griechischer Amtskollege Andreas Papandreou in Davos 1988 eine gemeinsame Erklärung mit dem Ziel, die angespannten Beziehungen zwischen ihren Ländern zu normalisieren. Özal wird später sagen, hätte es das Treffen 1986 nicht gegeben, wäre Krieg unvermeidlich gewesen.

1990

Die Begegnung von Bundeskanzler Helmut Kohl und dem letzten ostdeutschen Ministerpräsidenten Hans Modrow in Davos prägen den Verlauf der deutschen Wiedervereinigung massgeblich.

1992

Das Treffen des Antiapartheid-Vertreters und Vorsitzenden des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) Nelson Mandela mit dem südafrikanischen Staatspräsidenten F. W. de Klerk und dem Ministerpräsidenten von KwaZulu, Mangosuthu Buthelezi, beim Weltwirtschaftsforum in Davos symbolisiert das Ende der Apartheid und führt zum Beginn einer Demokratie in Südafrika.

Schwab reiste zuvor mehrmals nach Südafrika, um die Bedingungen für das Treffen auszuhandeln.

1998

Aufgrund der Finanzkrise in Asien fordert das WEF eine Reform des globalen Finanzsystems. Es ist die Geburtsstunde der G20-Gipfeltreffen, bei denen die wichtigsten 20 Industriestaaten der Welt zusammenkommen, Entwicklungsländer eingeschlossen.

2000

Erstmals nimmt ein amtierender US-Präsident an der Sitzung teil: Bill Clinton. Die Globale Allianz für Impfungen und Immunisierung (GAVI) entsteht. Unter den ersten Unterstützern ist der Microsoft-Gründer Bill Gates, der seit 1996 regelmässig an den Treffen in Davos teilnimmt.

2002

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 findet das Weltwirtschaftsforum zum ersten und bislang einzigen Mal in New York statt – aus Solidarität mit den Opfern der Attentate. Dort wird auch der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria lanciert.

2005

Die vom WEF begründete Studie zur Stärkung der Frauen und der Messung des sogenannten Gender Gaps führt ein Jahr später zum Global Gender Gap Report, der seither jährlich erscheint und die Ungleichbehandlung von Frauen in der Wirtschaft beziehungsweise den Fortschritt auf dem Weg zur Gleichbehandlung aufzeigt.

2007

Das Weltwirtschaftsforum warnt vor einer Immobilienblase in den USA. Diese löst schliesslich die weltweite Finanzkrise aus, die 2008 zum Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers führt. 2009 folgt die Eurokrise, ausgelöst durch die Offenlegung der tatsächlichen Nettoneuverschuldung Griechenlands.

2019

Erstmals spricht die Klimaaktivistin Greta Thunberg beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Ihr Satz «I want you to panic» wird legendär. Bei einer Podiumsdiskussion verlässt sie die Bühne.

2020

Zum 50. Mal findet das Weltwirtschaftsforum statt. Schwab warnt dabei vor den Folgen des Klimawandels: «Unsere Bemühungen, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, bleiben gefährlich hinter den Erwartungen zurück.» Deshalb müsse das Davoser Manifest neu definiert werden. Darin heisst es nun: «Der Zweck eines Unternehmens besteht darin, alle seine Stakeholder in die gemeinsame und nachhaltige Wertschöpfung einzubinden.»

2021

Wegen der Pandemie halten die Teilnehmer erstmals ein virtuelles Weltwirtschaftsforum ab. 40 Initiativen als Reaktion auf Covid-19 werden gestartet. Die Edison Alliance soll zudem digitale Inklusion fördern und mehr Menschen Zugang zu digitalen Finanz- und Gesundheitsdienstleistungen verschaffen.

2022

Wegen des Ausbruchs des Ukraine-Kriegs findet das Weltwirtschaftsforum erst im Mai, anstatt wie üblich im Winter statt. Der Krieg, die daraus resultierende Energiekrise und die Folgen für die Weltwirtschaft stehen im Fokus des Forums. Russland nimmt nicht teil.

Mai 2024

Das WEF kündigt an, sich schrittweise von der Struktur einer gründergeleiteten Organisation zu lösen. Im Stiftungsrat werden Ausschüsse gebildet, um die Aufgaben besser zu verteilen – für Investment, Prüfung und Risiko, Führung, Innovation und Strategie sowie für Stakeholder. Schwab blieb Vorsitzender des Stiftungsrates, aber ohne exekutive Aufgaben. Es ist der erste Schritt seines Machtverlustes.

Später erklärt Schwab in einer Mitteilung an seine Mitarbeiter, dass er Ende Jahr als Executive Chairman zurücktreten wolle. Der Schritt sei Teil eines lange geplanten Übergangs.

3. Juli 2024

Anonyme ehemalige und derzeitige Mitarbeiter erheben in einem Bericht des «Wall Street Journal» schwere Vorwürfe gegen das Weltwirtschaftsforum und seine Topmanager, auch gegen Schwab selbst. Dabei geht es um Belästigung und Diskriminierung.

Interne Beschwerden und Vorwürfe seien nicht ernst genommen worden, hiess es in dem Bericht. Unter Schwabs Führung soll sich eine Kultur etabliert haben, in der Frauen und Schwarze systematisch diskriminiert worden seien.

Das WEF veröffentlichte ein Statement, in dem die Berichterstattung als «nachweislich falsche Behauptungen» bezeichnet wurde. Schwab kann zu diesem Zeitpunkt noch auf die volle Unterstützung seines Stiftungsrats zählen.

8. Juli 2024

Die ehemalige Mitarbeiterin Topaz Smith reicht in New York Klage gegen das WEF und Schwab wegen Diskriminierung am Arbeitsplatz ein, wie die «Financial Times» berichtete. Die Klage wurde später zurückgezogen, weil sich das WEF mit der Klägerin in einem aussergerichtlichen Vergleich einigte.

Smith gibt an, ihr seien wegen ihrer Hautfarbe und ihres Geschlechts berufliche Chancen verwehrt worden. Zudem sei sie nach der Geburt ihres Kindes entlassen worden. Das WEF bestritt die Anschuldigungen stets.

Dezember 2024

Die Tochter des Gründers, Nicole Schwab, verlässt das WEF. Sie war ebenfalls eine Führungskraft innerhalb des Forums. Die Nachricht bleibt nahezu unbemerkt.

Januar 2025

Der jährliche Grossevent des WEF, die inzwischen 55. Konferenz in Davos, beginnt. Das Treffen beginnt unmittelbar vor der Amtseinführung von US-Präsident Donald Trump. Dieser hält über eine Videoschaltung eine Rede. Die Wirtschaftsführer und auch Schwab sind optimistisch, dass sich die wirtschaftlichen Aussichten verbessern.

3. April 2025

Nach den Vorwürfen des vergangenen Jahres leitete das WEF Untersuchungen zur Unternehmenskultur ein. Im Zuge dieser Prüfungen verlassen Anfang April mehrere Führungskräfte das WEF, unter ihnen die Rechtschefin Nicola Port, der Leiter für Technologie und digitale Dienste Malte Godbersen sowie Olivier Schwab, der Sohn des Gründers und Geschäftsführer, wie das «Wall Street Journal» unter Berufung auf Personen, die mit dem Prozess vertraut seien, berichtet.

Schwab selbst kündigt an, als Stiftungsratspräsident zurückzutreten. Eine Zeitangabe machte er nicht, das WEF gab jedoch bekannt, der Prozess solle bis Januar 2027 abgeschlossen sein.

20. April 2025

Nach 55 Jahren an der Spitze des WEF tritt Schwab am Ostermontag per sofort zurück. Er begründet die Entscheidung mit seinem Alter und der schwierigen Weltlage. An seinem 87. Geburtstag im März habe er entschieden, dass es an der Zeit sei, dass jemand anderes das WEF führen solle. Seine Nachfolge müsse in einem unabhängigen Prozess durch den Stiftungsrat bestimmt werden.

22. April 2025

Gemäss einem Bericht des «Wall Street Journal» wirft ein anonymer Whistleblower Schwab und seiner Frau Missbrauch von finanziellen Mitteln des WEF für private Zwecke vor. Es geht um Luxusreisen, die Nutzung einer Villa auf dem WEF-Gelände, Wellness-Behandlungen auf Kosten des WEF und Bargeldabhebungen. Schwab weist die Vorwürfe zurück. Er sieht sich als Opfer einer Schmutzkampagne.

Das WEF selbst erklärt, dass es die neuen Anschuldigungen ernst nehme, aber diese nicht bewiesen seien.

23. April 2025

Schwab erstattet Anzeige gegen Unbekannt wegen Diffamierung und veröffentlicht ein entsprechendes Statement. Daraus geht hervor, dass der Stiftungsrat des WEF einstimmig entschieden hatte, eine unabhängige Untersuchung gegen Schwab einzuleiten.

Nach Informationen der NZZ erhielt Schwab ein Hausverbot für den Hauptsitz des WEF in Cologny bei Genf. Das WEF möchte sich erst wieder zur Angelegenheit äussern, wenn die Ergebnisse der Untersuchung vorliegen.

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