Dienstag, November 5

Die Schweizerinnen und Schweizer werden bald über eine einheitliche Finanzierung im Gesundheitswesen (Efas) abstimmen. Sie sei Voraussetzung für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem, sagt Roman Sonderegger vom Krankenversicherer Helsana.

Herr Sonderegger, die Bevölkerung in der Schweiz erlebt gerade den dritten Prämienschub in Folge. Das liegt an den steigenden Gesundheitskosten. Lassen sich mit der Reform zur einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (Efas), über die wir am 24. November abstimmen werden, die Gesundheitskosten senken?

Senken ist ein schwieriges Unterfangen. Aber die Efas-Reform wird den Anstieg der Gesundheitskosten dämpfen. Sie beseitigt Fehlanreize und fördert effizientere Strukturen im Gesundheitswesen.

Welche Bedeutung hat die Reform?

Es handelt sich um die wichtigste Reform im Gesundheitswesen seit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) im Jahr 1996. Sie ist die Voraussetzung dafür, unser Gesundheitssystem zukunftsfähig zu machen. Die heutige duale Finanzierung, bei der Krankenversicherer und Kantone unterschiedliche Leistungen im Gesundheitswesen bezahlen, ist historisch gewachsen und nicht mehr zeitgemäss. Die Gesundheitskosten gehen alle etwas an, und sie beschäftigen die Leute, das sieht man jeden Herbst bei der Bekanntgabe der Prämien.

Die Gegner sagen, die Krankenkassenprämien würden durch die Reform nicht sinken, sondern sogar steigen. Werden Sie den Helsana-Kunden nach einem Ja zu Efas höhere Prämien verrechnen müssen?

Die Kantone werden sich neu an den ambulanten Kosten beteiligen, die bisher allein von den Prämienzahlern finanziert wurden und die besonders stark steigen. Das hat eine dämpfende Wirkung auf die Prämien.

Die Gegner sagen aber, in 17 Kantonen, darunter Zürich, Bern, Basel und Luzern, würden die Prämien sofort um insgesamt rund 310 Millionen Franken steigen.

Es kommt auf den Mix an, den ein Kanton hat zwischen ambulanten und stationären Leistungen. Der Efas-Finanzierungsschlüssel wurde so gewählt, dass er im Rückblick für die Jahre 2016 bis 2019 kostenneutral gewesen wäre. Bis zur Einführung 2028 werden zehn Jahre vergangen sein. Und da ist der Trend eindeutig: Die ambulanten Kosten steigen stärker als die stationären. Deshalb wird Efas die Prämienzahler tendenziell entlasten – und das in allen Kantonen.

Was sich mit der Efas-Reform ändert

Mit Efas soll ein einheitlicher Finanzierungsschlüssel für medizinische Leistungen eingeführt werden. Bis jetzt werden ambulante Leistungen zu 100 Prozent von den Krankenkassen und damit den Prämienzahlern bezahlt. Bei stationären Behandlungen – also solchen mit Übernachtung im Spital – übernehmen die Krankenkassen 45 Prozent und die Kantone 55 Prozent. Das schafft Fehlanreize. Künftig sollen die Krankenkassen bei allen Leistungen 73,1 Prozent und die Kantone 26,9 Prozent bezahlen. Die Efas-Reform soll ab 2028 greifen. Ab 2032 würde auch die Langzeitpflege in den einheitlichen Finanzierungsschlüssel einbezogen.

Befürchtungen gibt es auch mit Blick auf die Pflege, die in die einheitliche Finanzierung einbezogen wird. Ist die Pflege eine tickende Zeitbombe für die Prämienzahler, weil die Kosten für die Langzeitpflege in den nächsten Jahrzehnten stark steigen werden?

Die Kosten für die Langzeitpflege werden zunehmen, das ist klar. Wir werden immer älter, und immer mehr Menschen werden sich in einem Pflegeheim oder zu Hause pflegen lassen müssen. Dennoch sollte man die Relationen wahren. Die Ausgaben für ambulante Leistungen, die bis anhin allein durch die Prämienzahler finanziert werden, wachsen stark und sind viermal höher als jene für die Langzeitpflege.

Allerdings hat sich der Krankenkassenverband Santésuisse, zu dem Sie nicht gehören, vehement gegen den Einbezug der Pflege in die einheitliche Finanzierung gewehrt.

In den letzten zehn Jahren ging die Kostensteigerung im Pflegebereich wohl zulasten der Kantone. Das war für viele Krankenversicherer bequem. Der Grund war der bisherige Finanzierungsschlüssel. Wenn jemand ins Pflegeheim geht, zahlt er oder sie zuerst einmal einen Teil selbst. Dann übernehmen die Krankenversicherer einen fixen Betrag. Den Rest finanzieren die Kantone. Die Beiträge der Versicherer sind vom Bundesrat seit 2011 nicht mehr erhöht worden. Diese Deckelung hätten viele Krankenkassen gerne behalten.

Würde es in der Langzeitpflege beim Status quo bleiben, wenn das Volk die Efas-Reform ablehnt?

Nein, es wäre naiv, zu glauben, dass die Pflegebeiträge nicht angepasst würden. Die Kantone würden viel Druck auf den Bundesrat machen, die Beiträge zu erhöhen. Auf die Prämienzahler werden mit Blick auf die Langzeitpflege also ohnehin höhere Kosten zukommen. Da ist es besser, die Pflege gleich in den einheitlichen Efas-Finanzierungsschlüssel einzubeziehen. Denn grundsätzlich gehört die Langzeitpflege ins Pflichtenheft einer Krankenversicherung.

Das Hauptargument für die Efas-Reform ist die Beseitigung von Fehlanreizen. Sie soll ambulante Behandlungen, die oft günstiger und medizinisch sinnvoller sind als stationäre Behandlungen, attraktiver machen. Warum wird in der Schweiz nicht jetzt schon mehr ambulant gemacht?

Tatsächlich sind andere Länder deutlich weiter. Das liegt eben auch daran, dass die Finanzierung dort oft aus einer Hand kommt. Wir sehen beispielsweise, dass die Patienten nach dem Ersatz eines Hüftgelenks nach Hause gehen könnten. Es sind sehr viel mehr Behandlungen ambulant möglich, als wir in der Schweiz denken.

Warum ist ambulant besser als stationär?

Die Behandlungen sind günstiger, weil die Menschen nicht im Spital bleiben müssen. Viele Leute wollen nach einem Eingriff ohnehin lieber nach Hause. Es gibt medizinische Vorteile, zum Beispiel wird das Risiko einer Spitalinfektion reduziert. Und es hilft gegen den Fachkräftemangel, weil es weniger Pflegepersonal und Ärzte in der Nacht braucht.

Wie wird die Efas-Reform die Anreize für Sie als Versicherer verändern?

Bis jetzt sind ambulante Behandlungen für Versicherer oft wenig attraktiv, selbst wenn sie insgesamt günstiger sind als ein stationärer Aufenthalt. Denn bei ambulanten Behandlungen zahlt der Versicherer 100 Prozent und bei stationären nur rund die Hälfte. Dieser Fehlanreiz fällt weg, wenn alle Leistungen aus einer Hand bezahlt werden. Sowohl die Krankenversicherer als auch die Kantone haben dann ein Interesse, die Ambulantisierung zu fördern.

Wie würde die Helsana konkret darauf hinwirken, dass vermehrt ambulant behandelt wird?

Es würde attraktiver, neue Versicherungsmodelle zu entwickeln. Wenn wir heute Einsparungen erzielen, weil zum Beispiel ein Patient nicht ins Spital muss, kommt ein Teil davon den Kantonen zugute. Mit Efas könnten wir die Einsparungen verstärkt in Form von Rabatten und damit günstigeren Prämien an die Versicherten weitergeben.

Werden die Kassen ihre Klienten künftig dazu drängen, eine Operation ambulant zu machen?

Nein, diese Entscheidung liegt weiterhin beim Arzt und beim Patienten. Sie wird nach medizinischen Kriterien gefällt. Aber es sind Versicherungsmodelle denkbar, die einen Arzt honorieren, wenn er nicht alles auf die teuerste Art und Weise macht, sondern auf die beste Art und Weise.

Werden sich die Spitäler nicht wehren? Für sie sind stationäre Behandlungen finanziell attraktiver.

Die Spitäler haben sich deutlich für Efas ausgesprochen. Sie geben offen zu, dass sie viel mehr Behandlungen ambulant machen könnten. Die Spitäler haben aber ein Problem damit, dass ihre Tarife für ambulante Behandlungen oft nicht kostendeckend sind. Die Efas-Reform löst dieses Problem nicht, aber sie schafft die Voraussetzungen dafür. Die Herausforderung wird sein, die Tarife für ambulante Behandlungen etwas zu erhöhen und jene für stationäre Behandlungen zu senken.

Werden Sie sich als Krankenversicherer dafür einsetzen?

Die Gesamtkosten dürfen nicht grösser werden. Aber alle wissen, dass bei den ambulanten Tarifen etwas passieren muss. Wenn man die Ambulantisierung fördern will, braucht es neue Abgeltungsmodelle.

Wird Efas den Druck auf die Spitäler erhöhen?

Die Spitäler stehen bereits jetzt unter finanziellem Druck. Sie müssen begreifen, dass der Trend in Richtung Ambulantisierung geht. Wer Neu- oder Ersatzbauten plant, sollte in ambulante Zentren investieren und nicht in riesige Bettenhäuser.

Die Gegner sagen, mit der Efas-Reform würden die Krankenkassen die Kontrolle über das Gesundheitssystem übernehmen. Geht es Ihnen also nur darum, sich mehr Macht zu sichern?

Für uns ändert sich nur etwas: Wir werden künftig alle Rechnungen vollständig bezahlen und danach die Beiträge von den Kantonen einfordern. Haben wir deshalb mehr zu sagen? Ich denke nicht. Hingegen haben die Kantone vom Parlament eine neue Kompetenz erhalten bei der Zulassung von Anbietern im ambulanten Bereich. Die Kantone sind neu auch in der Tariforganisation für ärztlich-ambulante Leistungen vertreten. Wenn schon, erhalten die Kantone mehr Einfluss.

Wäre es eigentlich ein Vorteil, wenn die Krankenkassen mehr zu sagen hätten?

Tatsächlich können wir die Gesundheitskosten besser managen als die Kantone. Das sieht man in der Praxis. Bei allen Tarifen, die die Krankenversicherer verhandeln, gibt es einen geringeren Anstieg, als wenn die Kantone oder der Bund die Tarife verhandeln.

Wird mit Efas die Pflegequalität abnehmen, weil künftig die Krankenkassen mit den Anbietern Tarife festlegen und stärker auf Effizienz pochen?

Überhaupt nicht. Die Langzeitpflege wird gestärkt, weil mit Efas die Finanzierung stabilisiert wird. Und die Kantone sitzen bei der Erstellung der Tarifstruktur mit am Tisch und genehmigen die Tarife.

Die Löhne der Krankenkassenchefs sind im Visier der Politik. Das Parlament will eine Obergrenze von rund 400 000 Franken einführen. Verdienen Sie zu viel?

Diese Diskussion kommt immer wieder. Gleichzeitig gibt es auch andere Personen im Gesundheitswesen, die ebenso viel verdienen, und das interessiert niemanden. Für den einzelnen Versicherten würde eine solche Lohngrenze praktisch nichts bringen. Selbst wenn wir bei der Helsana ein Jahr lang niemandem einen Lohn zahlen würden, würde das die Krankenkassenprämien nur wenig senken. Für mich ist das reine Symbolpolitik.

Exit mobile version