Trotz heftiger Gegenwehr von links hat die einheitliche Finanzierung von Arztpraxen, Spitälern und Pflegeheimen die Volksabstimmung überstanden. Das Resultat ist historisch.
Die Operation hat lange gedauert, sehr lange sogar, doch sie ist gelungen. Fünfzehn Jahre, nachdem die damalige CVP-Nationalrätin Ruth Humbel den entscheidenden Vorstoss eingereicht hatte, kam am Sonntag eine Vorlage mit dem sonderbaren Kürzel Efas an die Urne. Und das hat Volk hat sie tatsächlich gutgeheissen. Die Reform bewirkt eine Vereinheitlichung der Finanzströme im Gesundheitswesen, sie soll Fehlanreize beseitigen und dafür sorgen, dass mehr Behandlungen ambulant vorgenommen werden.
Die Zustimmung ist mit 53 Prozent (Hochrechnung) nicht sehr deutlich ausgefallen – vor allem wenn man bedenkt, dass ausnahmsweise alle Akteure des Gesundheitswesens die Vorlage unterstützt haben. Sehr viel klarer sind am Sonntag stattdessen die Differenzen zwischen den Sprachregionen zutage getreten: Während die Westschweizer Stimmberechtigten die Vorlage flächendeckend klar verworfen haben, hat sie in den Deutschschweizer Kantonen teilweise Mehrheiten von 60 Prozent oder mehr erreicht.
Der tiefe «Röstigraben» in dieser Frage dürfte damit zu erklären sein, dass in der frankofonen Schweiz im Allgemeinen der Wunsch nach einem starken Staat weiter verbreitet ist, dass zudem im Konkreten die Prämien der Krankenkassen relativ hoch sind – und ihr Ansehen relativ schlecht. Bereits vor zehn Jahren haben sich Genf, Jura, Neuenburg und Waadt für eine Einheitskasse ausgesprochen.
Achtungserfolg für die Gewerkschaften?
Bei der Efas-Abstimmung verweisen die enormen regionalen Unterschiede aber noch auf eine andere Differenz: In der Romandie haben die Gewerkschaften mehr Einfluss als in den Deutschschweizer Kantonen. Sie waren in der Debatte um Efas die treibenden Kräfte. In den vergangenen Wochen haben sie einen zwar einsamen, dafür aber umso aggressiveren Kampf gegen die Reform geführt. Mit aller Kraft haben sie versucht, Zweifel zu streuen und Ängste zu wecken. Aus Sicht mancher Befürworter sind sie auch vor Irreführungen und Falschaussagen nicht zurückgeschreckt.
Dass die Gewerkschaften ihren Kampf trotzdem verloren haben, könnte die politische Grosswetterlage über das Gesundheitsdossier hinaus beeinflussen. Nach den spektakulären Erfolgen in den Abstimmungskämpfen um die 13. AHV-Rente im März und die Pensionskassenreform im September schien es fast, als seien die Gewerkschaften unbesiegbar, als hätten sie innenpolitisch den Status einer Vetomacht erlangt.
Diesen Nimbus haben sie mit der Niederlage vom Sonntag verloren. Ob und wie sich dies auf die laufenden Debatten zum Beispiel über die AHV oder das EU-Dossier auswirkt, wird sich in den nächsten Monaten weisen. Die Gewerkschafter selbst werden allerdings den Ausgang der Efas-Abstimmung als Achtungserfolg für sich reklamieren, zumal sie praktisch alleine kämpften, und die Reform dennoch keine grosse Mehrheit fand. Alles andere wäre aber auch erstaunlich gewesen.
Oder eine historische Kontinuität?
Dass das Stimmvolk gesundheitspolitische Reformen gutheisst, die relevanten Einfluss auf die Versorgung und die Krankenkassenprämien haben können, kommt sehr selten vor. Dass es sie deutlich gutheisst, wäre eine historische Anomalie. Der Rückblick auf die Volksabstimmungen der jüngeren Vergangenheit zeigt ein eindrückliches Bild: Die letzte grundlegende Gesundheitsreform, die direktdemokratischen Segen erhalten hat, ist vor fast genau dreissig Jahren an die Urne gekommen. Am 4. Dezember 1994 hat das Stimmvolk die Einführung des heutigen Krankenversicherungsgesetzes (KVG) gutgeheissen – mit einem Ja-Stimmenanteil von 51,8 Prozent.
Danach ist nicht mehr viel gegangen. Das Volk hat zwar einzelne Gesundheitsvorlagen angenommen, aber diese betrafen Spezialthemen wie Organspenden, Komplementärmedizin, Epidemien oder die Besserstellung der Hausarztmedizin und der Pflege. Erfolgreiche Vorlagen mit grundlegender Bedeutung sucht man vergebens. Im Jahr 2012 ist eine Vorlage für den Ausbau der integrierten Versorgung mit 24 Prozent Ja-Stimmen richtiggehend versenkt worden, obwohl die Akteure des Gesundheitswesens zumindest anfänglich relativ geschlossen dahinter standen.
Wie gross die Auswirkungen der Efas-Reform tatsächlich sein werden, ist umstritten. Klar ist jedoch, dass sie durch die Neuordnung der Geldströme das Potenzial hat, die Organisation der Gesundheitsversorgung in ihrer ganzen Breite – von den Hausarztpraxen über die Spitäler bis zu den Pflegeheimen – zu beeinflussen. Man muss weit zurückblicken, um eine erfolgreiche Reform von vergleichbarer Bedeutung zu finden. Am ehesten trifft dies wohl auf die neue Spitalfinanzierung zu, die im Jahr 2012 ohne Referendum eingeführt werden konnte.
Wichtige Rolle der SVP
Bei der Efas-Reform zeichnete sich bereits früh ab, dass mit einem Referendum zu rechnen ist. Die Gewerkschaften hatten sich stets gegen den Einbezug der Pflegekosten gewehrt. Trotzdem fand die Vorlage im Parlament nach jahrelanger Vorarbeit eine ungewöhnlich breite Mehrheit: Von links bis rechts wurde sie von sämtlichen Fraktionen geschlossen oder zumindest mehrheitlich unterstützt. Im Nationalrat waren es lediglich Minderheiten der SP und der SVP, die Nein stimmten, im Ständerat sogar nur drei SP-Vertreter.
Dann aber, nach den Debatten im Parlament, ist es den Gewerkschaften gelungen, die SP-Basis auf ihre Seite zu ziehen. Die Partei beschloss die Nein-Parole, obwohl viele ihrer gesundheitspolitischen Exponenten die Vorlage mitgeprägt hatten.
Gleichzeitig rumorte es auch in der SVP. Um ein Haar hätte die Volkspartei die Reform ebenfalls zum Abschuss freigegeben. Einflussreiche Exponenten um den Fraktionschef Thomas Aeschi arbeiteten intern auf eine Nein-Parole hin. Nachdem sie sich in der Parteileitung bereits durchgesetzt hatten, sind sie buchstäblich in letzter Minute gescheitert: Es brauchte den Widerstand mehrerer kantonaler Gesundheitsdirektoren sowie eine Intervention von Christoph Blocher, um die SVP im Pro-Lager zu halten.
Rückblickend war dies der wohl entscheidende Augenblick. Wenn nicht nur die Gewerkschaften gegen die Vorlage Stimmung gemacht hätten, sondern auch die SVP vor einer angeblichen Prämienexplosion gewarnt hätte, wäre es an der Urne noch knapper geworden. Nun aber kam es anders. Damit hat die SVP zum einen verhindert, dass sie an diesem Abstimmungstag als einzige Partei bei allen vier Vorlagen verliert. Zum anderen hat sie mitgeholfen, den Beweis zu erbringen, dass in der Schweiz doch noch grössere Reformen möglich sind.