Freitag, Dezember 27

Was lange Zeit ausser Mode war, soll jetzt Sicherheit bringen: Jede Weltregion produziert für sich selbst. Wer mitspielt, gewinnt – das zeigen Erfahrungen von Siemens und ABB.

Wenn es einen Preis dafür gäbe, sich in kurzer Zeit mit möglichst vielen Staaten anzulegen, wäre Donald Trump der klare Gewinner. Seit der vergangenen Woche hat der künftige US-Präsident gleich elf Ländern mit neuen Zöllen gedroht: von Widersachern wie China und Russland bis hin zu Nachbarn wie Mexiko und Kanada. Die Begründungen variieren ebenso wild wie die mögliche Höhe der Aufschläge.

Mit Trump ist nur sicher, dass vieles unsicherer wird – inklusive des Welthandels. Damit beschleunigt sich ein Paradigmenwechsel, der globale Unternehmen seit einer Weile umtreibt: Bis vor wenigen Jahren galt es für Firmen als optimal, die Produktion international zu konzentrieren und Grössenvorteile zu nutzen. Im Idealfall versorgte ein Standort die ganze Welt. Doch heute ist maximale Effizienz vor allem eines: ein potenzielles Risiko.

Produzieren für eine zerstückelte Welt

Ein Wasserventil zeigt, wie der Welthandel neu organisiert wird. Siemens, einer der weltgrössten Industriekonzerne, stellt die Ventile millionenfach her. Früher tat Siemens das in Europa und den USA und versorgte von dort auch Asien. Jetzt produziert Siemens die für Asien bestimmten Ventile in China. Das ist eine Sicherheitsmassnahme. «Durch die geopolitische Situation stehen wir vor neuen Herausforderungen. Als Unternehmen müssen wir damit umgehen», sagt der Siemens-Manager Walter Reinhardt.

Firmen müssen ihre Produktion für zerstückelte Wirtschaftsräume optimieren. Oft bedeutet das, etwas doppelt oder dreifach herzustellen: in Amerika für Amerika, in Europa für Europa, in Asien für Asien. «Wir werden wohl akzeptieren müssen, dass diese multipolare Welt eine Weile bestehen wird», sagt auch Timo Ihamuotila, Finanzchef des Industriekonzerns ABB.

Die Fragmentierung schreitet seit Jahren voran. Bereits in seiner ersten Amtszeit als US-Präsident von 2017 bis 2021 zettelte Trump den Handelsstreit mit China an. Es folgten die Corona-Krise und das abschreckende Durcheinander bei den globalen Lieferketten. Parallel wuchs der Protektionismus in den USA, inzwischen greift er auch in Europa um sich. Auch Peking schottet den eigenen Markt ab und päppelt die heimische Produktion seit Jahren mit grossen Beihilfen.

Das treibt auch Walter Reinhardt um. Er ist verantwortlich für die Produktions- und Lieferketten bei der Gebäudetechnik in der Infrastruktursparte von Siemens, deren Zentrale in Zug angesiedelt ist. Die Gebäudetechnik produziert mit 2000 Mitarbeitern an sieben Standorten: drei in Asien, einem in den USA und drei in Europa, darunter mit 350 Angestellten am Hauptsitz in Zug.

Nicht mehr alle Eier in einen Korb

Gewisse Produkte stellt Siemens traditionell lokal her – zum Beispiel sind Feuermelder für Südkorea so speziell, dass sie gleich vor Ort produziert werden. Weltweit ausgelieferte Güter produzierte der Konzern jedoch an dem Ort, wo es bislang am effizientesten war, etwa Thermostate in China.

Doch bei diesen weltweit gelieferten Sortimenten streut Siemens seit fünf Jahren die Produktion mehr in die Breite. Neue Produkte im Sortiment werden nach Bedarf gleich in der Region für die Region produziert. Und für alte Produkte werden im Zweifel zusätzliche Fertigungen aufgebaut. Ein Beispiel sind die erwähnten Wasserventile für China, die nun ausschliesslich in China hergestellt werden.

Was nach Mehraufwand klingt, hat auch Vorteile: Weil die Wege von der Produktion in die Endmärkte kürzer sind, spart Siemens nicht nur etwaige Zölle, sondern auch Logistikkosten. Transport ist in den vergangenen Jahren immer teurer geworden – da kommt diese Erleichterung gelegen. Auch fallen weniger klimaschädliche Emissionen an. Ausserdem schafft Siemens Back-up-Produktionskapazität für den Fall, dass ein Werk ausfällt.

Unternehmen wollen regionale Zulieferer, um ihre Risiken zu reduzieren. Das Bedürfnis nach Sicherheit steigt, wie die grosse Reederei Maersk im November in einer Studie beobachtet hat. Mehr als drei Viertel von 2060 befragten Firmenkunden aus Europa gaben an, sie hätten in den vergangenen zwölf Monaten Lieferkettenprobleme gehabt.

Die stärkste Ursache sei geopolitische Instabilität, so die Erhebung. Jedes dritte Unternehmen erwägt, sich neue Lieferanten in Europa oder in dessen Nähe zu suchen. Das ist verständlich: Gemessen an der Wirtschaftsleistung ist Europa stärker als die USA oder China mit dem Welthandel verflochten – und damit anfälliger.

Der Trend zur Regionalisierung greift auch in den USA. Zum Beispiel baut der Schienenfahrzeughersteller Stadler Rail jetzt sein Werk in Salt Lake City aus, um das Wachstum im amerikanischen Markt zu bewältigen. Neu werden dort auch die Wagenkästen gefertigt. Errichtet wurde das Werk im Jahr 2016, um jene lokale Wertschöpfung zu leisten, die bei Aufträgen mit staatlicher Finanzierung vorgeschrieben ist – also schon damals als Reaktion auf Protektionismus.

ABB hat nicht mitgemacht – und sieht sich bestätigt

Dass die Kunden mehr regional hergestellte Produkte wünschen, sieht auch ABB. Nur wenige täten das aus patriotischen Gründen, erklärt der Finanzchef Timo Ihamuotila. Stattdessen sei vielen eine garantiert pünktliche Lieferung sehr wichtig. ABB fertigt zum Beispiel Ausrüstung für die Elektrifizierung, darunter Sicherungen, Stecker oder Schalter. Wenn diese Produkte fehlen, können ganze Anlagen, etwa neue Rechenzentren, nicht in Betrieb gehen.

ABB verfolgt seit rund fünf Jahren eine systematische «Local for local»-Strategie, bei der die drei Märkte USA, Europa und China weitgehend autonom für sich selbst produzieren. Das fiel ABB leicht: Der Konzern arbeitete aus historischen Gründen nach diesem Muster, ohne dass es die explizite Strategie war. Der Konzern war rund dreissig Jahre lang durch internationale Übernahmen gewachsen, hatte die Firmen aber nur leicht integriert.

«Als die Wertschöpfungsketten global wurden, sind wir nicht aufgesprungen», sagt Ihamuotila. «Deshalb haben wir heute einen Wettbewerbsvorteil.» Vielleicht habe man ein paar Synergien verloren, die eine global funktionierende, optimierte Lieferkette bieten würde. «Aber wir glauben, dass wir das durch die Geschwindigkeit, mit der wir in jedem Fall liefern können, mehr als wettmachen.»

Heute produziert ABB bereits etwa 85 Prozent der für China bestimmten Waren in China. Zwischen China und den USA schickt der Konzern sehr wenig hin und her. In den USA liegt der Selbstversorgungsgrad bei 75 bis 80 Prozent. Rund 10 Prozent der ABB-Produkte für die Vereinigten Staaten werden aus Mexiko und Kanada bezogen, wo eine Freihandelszone existiert.

Hat Regionalisierung Grenzen?

Jedenfalls bis jetzt. Donald Trump droht den beiden Nachbarländern mit generellen Einfuhrzöllen von 25 Prozent. Zeigt dies nicht, dass eine regionale Strategie an ihre Grenzen stösst, wenn die Schrauben immer weiter angezogen werden? Ihamuotila gibt sich gelassen. Entscheidend sei, ob man sich relativ zum nächsten Wettbewerber verschlechtere: «Wenn alle gleich getroffen werden, sind wir recht gut aufgestellt», sagt er optimistisch.

Ganz am Optimum ist ABB noch nicht: Die Absicht sei, noch etwas lokaler zu werden, sagt der Finanzchef. Ein Endziel von 100 Prozent sei aber nicht erstrebenswert. Etwas Flexibilität, um Produkte weltweit umlenken zu können, sei effizient.

Auch Siemens hat dank den robusteren Lieferketten in der Gebäudetechnik Marktanteile gewonnen. «Das allein wäre schon ein Vorteil», sagt Reinhardt. Aber diese höhere Resilienz ist auch keine finanzielle Belastung. Ein Grund dafür: Die Automatisierung der Herstellung ist immer billiger geworden, zum Beispiel durch fallende Preise für Industrieroboter. Das machte es günstiger, Werkstätten auszubauen.

Vor zehn Jahren wäre die Regionalisierung der Produktion deutlich teurer gewesen, erläutert Reinhardt. Damals hätte man zum Beispiel bei gewissen Produkten nicht unter einer Stückzahl von einer Million Einheiten pro Jahr automatisiert. Heute liege die Schwelle bei 100 000 Stück. So sei es viel einfacher geworden, eine Produktion parallel an verschiedenen Standorten zu unterhalten.

Es gibt keine Standardlösung

Jedoch: Das gilt nicht für alle Branchen und alle Produkte. Die Fertigung von Wasserventilen ist eine Sache – jene von Batterien für Elektroautos oder Halbleitern eine andere. Dort sind die Minimalinvestitionen in die Werke so gross, dass jede Verlagerung gut überlegt sein will.

Andere Branchen sind extrem auf eine Weltregion fokussiert, zum Beispiel die Elektronikherstellung auf Asien. Dort die Zelte abzubrechen, ist für einen Hersteller nicht so einfach. Es wäre auch merkwürdig, wenn der Rückbau der Globalisierung nur Vorteile hätte.

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