Montag, September 30

Bis in den Juli hinein eilten die führenden Börsenbarometer global noch von Rekord zu Rekord. Bereits zu dieser Zeit herrschten Zweifel an der Nachhaltigkeit des Booms, von denen sich viele Anleger aber nicht beirren liessen. Jetzt kippt die Stimmung von Euphorie zu Furcht.

«Risk happens fast», diese alte Börsen-Erkenntnis hat sich am Montag wieder bewahrheitet. Ausgehend von einem veritablen Crash an der japanischen Börse haben die Aktienkurse weltweit stark nachgegeben. Die kommenden Wochen werden nun zeigen, ob es sich um eine kurzzeitige Panikreaktion auf ernüchternde Konjunkturnachrichten handelte oder ob an den Finanzmärkten eine Neueinschätzung der wirtschaftlichen Chancen und Risiken begonnen hat. Derzeit spricht einiges dafür, dass kurzfristig gewisse Kipppunkte überschritten worden sind und die Anleger die Welt vorerst durch eine andere Brille sehen.

Schwarzer Montag an der japanischen Börse

In den USA und Europa haben die führenden Indizes bis zum Nachmittag um rund 2,5 bis 4 Prozent nachgegeben. Der amerikanische Dow Jones lag 2,6 Prozent, der DAX rund 3 Prozent und der Schweizer SMI sogar 3,5 Prozent im Minus. In Japan war zuvor der Nikkei um satte 12,4 Prozent abgestürzt, das war einer der grössten Rückschläge der Geschichte.

Zusammen mit den Verlusten an den beiden vorherigen Handelstagen ist das japanische Leitbarometer somit in der Spitze um 20 Prozent gesunken. Dabei hatte der Nikkei erst am 10. Juli mit rund 42 400 Zählern ein Rekordhoch erreicht. Seitdem geht es jedoch deutlich und schnell bergab.

Der Boom am Aktienmarkt in den zwei Jahren nach der Pandemie ist nun in eine Korrektur übergegangen. Ob daraus ein Bärenmarkt wird, von dem man ab einem Kursverlust von 20 Prozent, ausgehend vom letzten Höchststand, spricht, muss man abwarten. Mit dem Ende der Hausse geht ein Stimmungsumschwung von Euphorie zu Angst einher. Die tiefere Ursache ist, dass sich Anleger nun weniger über eine zu hohe und zähe Inflation sorgen, welche die Notenbanken von Zinsreduktionen abhält, als dass sie Furcht vor einem Wirtschaftsabschwung haben.

Das Börsenbeben mit dem schwarzen Montag in Japan hat verschiedene konkrete Gründe. Aus der Sicht vieler Marktteilnehmer ist in den vergangenen Tagen eine Rezession in den USA wahrscheinlicher geworden. Dabei spielten vor allem die enttäuschenden Arbeitsmarktdaten in den USA vom vergangenen Freitag eine wichtige Rolle. Die Arbeitslosenrate stieg von 4,1 auf 4,3 Prozent. Das ist zwar immer noch niedrig, liegt aber deutlich über dem Tiefstwert von 3,4 Prozent, der im Mai 2023 erreicht worden war. Zugleich hatte die Zahl der neu geschaffenen Stellen ausserhalb der Landwirtschaft die Erwartungen der Marktteilnehmer am Freitag deutlich verfehlt.

Von Nvidia getriebener KI-Boom

Dazu kommen Sorgen darüber, dass sich der Boom der künstlichen Intelligenz (KI) abschwächt oder zu Ende geht. Der starke Anstieg der Technologiewerte in den vergangenen Quartalen wurde sehr stark von KI-Titeln wie jenen des Chipherstellers Nvidia getrieben. Die Titel dieser Firma waren sein Anfang 2023 zeitweise um rund 700 Prozent gestiegen. Das Rally hatte auch Tech-Schwergewichte wie die «glorreichen sieben» (Alphabet/Google, Amazon, Apple, Meta, Microsoft, Nvidia und zum Teil auch Tesla) erfasst sowie den Gesamtmarkt mit in die Höhe getrieben.

Inzwischen mehren sich aber Stimmen, die vor einer KI-Blase am amerikanischen Aktienmarkt warnen, etwa von der Investmentbank Goldman Sachs oder vom Hedge-Fund Elliott. Einige Beobachter glauben inzwischen, dass sich die Milliardeninvestitionen in KI durch Firmen wie Amazon, Google oder Microsoft vorerst nicht amortisieren, was schliesslich auch die Nachfrage nach Halbleitern belasten dürfte.

Das vorläufige Ende der Carry-Trades

Darüber hinaus dürfte in den vergangenen Tagen die Auflösung sogenannter Carry-Trades einen grossen Einfluss auf das Marktgeschehen gehabt haben. Bei Carry-Trades verschulden sich Anleger in einer Währung mit sehr tiefem Zinsniveau, wie beispielsweise in Japan.

Die Gelder werden in andere Währungen von Ländern mit einem hohen Zinsniveau umgetauscht, wie etwa jene der USA. Dort bleiben die Mittel entweder am Devisenmarkt oder werden in riskantere Anlagen wie Aktien oder Krypto-Token wie Bitcoin, Ethereum oder Solana investiert. Dieser Trade funktioniert ausgezeichnet, solange sich die Zinsdifferenz zwischen den betreffenden Währungsräumen ausweitet oder zumindest konstant bleibt.

Jüngst hatte jedoch die Bank of Japan die Obergrenze ihres geldpolitischen Zielbandes von 0,1 auf 0,25 Prozent erhöht. Zugleich rechnen die Anleger aufgrund der sich abschwächen Konjunktur in den USA und der enttäuschenden Arbeitsmarktdaten mit schnelleren Zinssenkungen durch die amerikanische Notenbank Fed.

Dadurch dürfte sich die Zinsdifferenz zwischen Japan und den USA in den kommenden Quartalen deutlich reduzieren. Entsprechend ist der Yen gegenüber dem Dollar bereits deutlich erstarkt. Mitte Juli kostete ein Dollar noch 162 Yen, jetzt sind es nur noch 142 Yen. Der Höhenflug des Yen sorgt für tendenziell sinkende Gewinne der stark international tätigen japanischen Konzerne, was ihre Aktienkurse belastet.

Der starke Yen macht zugleich Carry-Trades unattraktiver oder führt bei ihren Investoren sogar zu Verlusten, weshalb sie diese auflösen. Dazu müssen jedoch auch die Vermögenswerte verkauft werden, in die das Geld investiert wurde, also beispielsweise Aktien und Krypto-Token. Niemand weiss jedoch genau, wo Anleger die Gelder investiert haben.

Wirtschaftsschwäche in China, Stagflation in Deutschland

Zu dieser Gemengelage gesellen sich zunehmende geopolitische Spannungen im Nahen Osten. Sollte sich der Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten, vor allem Iran, zu einem handfesten Krieg entwickeln, würden sich die Augen der Anleger vor allem auf den Erdölmarkt richten. Aus dem Nahen Osten kommt immer noch rund ein Drittel des globalen Erdölangebots.

Ein stark steigender Ölpreis hätte Auswirkungen auf die ohnehin laue Weltkonjunktur. In China steigen die Staatsschulden, die Wirtschaft wächst für dortige Verhältnisse nur mässig, und die Probleme am Immobilienmarkt sind immer noch nicht bereinigt. In Europa steckt mit Deutschland die grösste Volkswirtschaft seit zwei Jahren in einer Stagflation, bei der eine stagnierende Wirtschaft auf eine hohe Inflation trifft. Auch für das zweite Halbjahr erwarten Beobachter keine Belebung der deutschen Konjunktur. In den anderen grossen Euro-Ländern Frankreich, Italien und Spanien läuft die Wirtschaft zwar besser, doch diese Länder sind teilweise hoch verschuldet, was den Anlegern seit Jahren latent Kopfschmerzen bereitet.

Als sehr guter Rezessionsindikator für die USA hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine inverse Zinsstrukturkurve erwiesen. Diese ist invers, wenn Anleihen mit kurzer Laufzeit höher rentieren als Anleihen mit einer langen Laufzeit von zehn Jahren. Genau das war in den vergangenen rund zwei Jahren der Fall. Sollte sich eine Rezession realisieren, was jedoch noch in den Sternen steht, hätten amerikanische Aktien mittelfristig wohl weiteren Anpassungsbedarf. Der Dow Jones und das Technologie-Barometer Nasdaq 100 haben von ihren jüngsten Rekordhochs bisher erst rund 7 Prozent und 15 Prozent korrigiert.

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