Fliegen war früher ein Luxus. Heute ist es Mittel zum Zweck. Welche Marktkräfte dazu geführt haben.
Champagner wird entkorkt, Hummer drapiert, die Flugbegleiterin im Deux-Pièces und mit hohen Schuhen serviert dem Passagier ein Entrecôte. Diese Bilder liegen im Archiv von SRF. Sie zeigen den Service der Swissair, der legendären Schweizer Airline, in den sechziger und siebziger Jahren. Es sind Szenen, die heute schwer vorstellbar sind.
Christian Fröscher hat 45 Jahre als Maître de Cabine gearbeitet. Erst bei der Swissair, dann bei der Swiss, zuletzt bei der auf Ferienflüge spezialisierten Edelweiss bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2019. «Die Rindsfilets mussten wir jeweils vor den Passagieren tranchieren», sagt er über seine Arbeit bei der Swissair. Das Kalbsgeschnetzelte hätten sie damals noch vor den Gästen mit Cognac flambiert. Im Jumbo-Jet geleiteten sie die Passagiere nach dem Dinner-Service in die Lounge im Oberdeck. Da gab es dann Raclette.
Fliegen war damals Luxus. Wer eine Swissair-Maschine bestieg, putzte sich heraus. Heute reisen viele in Trainerhosen.
Wenig ist geblieben vom alten Glanz der Premium-Airlines wie der Swissair oder später der Swiss. Wie ist es so weit gekommen?
Der Markt
Der Markt für Passagierflugverkehr in Europa wurde über die Jahrzehnte gleich mehrfach umgewälzt. Erst von der Liberalisierung zwischen den Jahren 1987 und 1992, die die nationalen Fluggesellschaften um ihre Monopolmacht brachte. «Die Airlines hatten damals den Markt aufgeteilt – die Swissair machte den Morgen, die Air France den Nachmittag», sagt der Aviatik-Experte Cord Schellenberg. Die Ticketpreise mussten den Behörden zur Bestätigung eingereicht werden, die Entscheidung über ihre Zulassung lag bei den Regierungen.
Nachdem die EU die europaweite Liberalisierung des Luftverkehrs durchgesetzt hatte, durfte eine Swissair plötzlich auch nationale Flüge in anderen Ländern anbieten und etwa von Mailand nach Rom fliegen. Dafür brauchte sie weder eine behördliche Genehmigung, noch musste sie Tarife bestätigen lassen. Schellenberg sagt: «Dieses liberalisierte Flugnetz in Europa hat die Preise heruntergebracht.»
Früher waren Flugzeuge fliegende Hotels. Links eine zum Bett umgebaute Schlafkoje in der Firstclass-Kabine der Swissair aus den späten fünfziger Jahren. Rechts die Vorbereitung des Frühstücksservice, mit Kaffee aus der bordeigenen Kaffeemaschine.
Billig-Airlines wie Ryanair oder Easy Jet drängten Preisbrecher in den Markt. Sie verkauften Fliegen nicht als Erlebnis, sondern als effizienten Transport von A nach B. Mit ihrer aggressiven Preispolitik läuteten sie den Wettbewerb um die geringsten Kosten ein. Der ehemalige Chef der Schweizer Regional-Airline Crossair sowie erste CEO der 2002 gegründeten Swiss, André Dosé, sagte in einem Interview gegenüber SRF: «Keine Airline ist noch dieselbe wie vor zwanzig Jahren.» Der Kostendruck sei enorm.
Die Passagiere
Auch die Kundenbedürfnisse veränderten sich. Als Passagiere merkten, wie günstig Fliegen sein konnte, waren sie nicht mehr bereit, so viel wie bisher für einen Flug zu bezahlen. Durch das Internet und Online-Vergleichsportale wie Skyscanner hatten sie plötzlich Zugriff auf mehr Informationen, wussten, bei wem ein Flug wie viel kostete. Dank Online-Buchungen wurde es einfach, jeweils zum günstigsten Fluganbieter zu wechseln.
Der pensionierte Flugbegleiter Christian Fröscher sagt, früher seien neben Wohlhabenden und Personen der oberen Mittelschicht vor allem internationale Geschäftsleute, Diplomaten und Regierungsleute mit der Swissair geflogen. Flugreisen waren denjenigen vorbehalten, die oder deren Firma über die nötigen finanziellen Mittel verfügten. Das Flugzeug ähnelte damals denn auch einem fliegenden Hotel.
Heute können sich auch Personen mit geringerem Einkommen einen Flug leisten. Wer früh bucht und auf Gepäck verzichtet, kann beispielsweise bei Ryanair eine Verbindung von Basel nach Dublin zum Basistarif von vierzehn Franken finden.
Aber auch im Premiumsegment haben sich die Bedürfnisse verändert. Schellenberg sagt, heute wollten die Leute auch in der First- und der Businessclass nicht mehr drei Stunden lang dinieren und Champagner trinken. Sondern eine komfortable Liege, Privatsphäre und möglichst gut schlafen, um am nächsten Tag erholt arbeiten zu können.
Man könnte meinen, mit der Klimakrise seien neue Ängste ins Bewusstsein der Kundinnen und Kunden gerückt. Doch derzeit fliegen besonders viele Menschen, und die Zahl der Flüge nimmt zu. Gemäss dem internationalen Dachverband der Fluggesellschaften Iata meldeten europäische Fluggesellschaften für das dritte Quartal letzten Jahres einen Anstieg des Passagieraufkommens um 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
In der Schweiz verzeichneten die Flughäfen laut Bundesamt für Statistik im Jahr 2023 53,3 Millionen ankommende oder abfliegende Passagiere, 22 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit liegt das Passagieraufkommen wieder nahe am Vor-Corona-Niveau.
Die mächtige Mutterfirma
Auch die Beziehungen zwischen den Anbietern haben den Markt verändert. Seit der Jahrhundertwende ist es im europäischen Airline-Markt zu einer Konsolidierung gekommen. Die niederländische KLM übernahm die Air France im Jahr 2003, British Airways und die spanische Iberia schlossen sich 2011 zur Holdinggesellschaft zusammen. Die Swiss wurde 2005 von der Lufthansa übernommen, danach kamen Austrian, Eurowings und Edelweiss dazu und wurden für die Swiss zu Schwesterfirmen.
Die Übernahme der Swiss durch die Lufthansa führte im Konzern schrittweise zu mehr Zentralisierung. Interne Prozesse werden von Deutschland aus gesteuert, Führungskräfte der Swiss müssen auch an den Lufthansa-CEO in Frankfurt rapportieren. Dafür werden Synergien genutzt: Die App ist dieselbe, Flugzeuge werden zentral eingekauft und von der Lufthansa verteilt, die Sitze der neuen Kabinenausstattung «Swiss Senses» sind identisch mit denjenigen bei der Lufthansa.
Andreas Wittmer, Aviatik-Experte an der Universität St. Gallen, sagt, die Swiss sei von der Lufthansa abhängig. Die Zugehörigkeit zur Mutterfirma biete zwar viele Vorteile wie etwa den Zugang zum globalen Luftverkehrsnetzwerk. Sie sorge aber auch dafür, dass die Swiss nicht vollständig flexibel und agil im Markt agieren könne. «Die Lufthansa ist zentral für die Swiss. Sie ermöglicht ihr Dinge, ist aber auch ihr Handicap.»
Die Holzklasse
Das veränderte Marktumfeld stellt neue Herausforderungen. Heute müssen Airlines vor allem schnell, billig und pünktlich sein. Wer dieser Tage in ein Flugzeug steigt, wird effizient an seinen Platz verwiesen, bekommt in der Economy ein abgepacktes Menu auf der Langstrecke und einen Plastikbecher mit Wasser auf der Kurzstrecke. Gleichzeitig bekommen diejenigen, die es sich leisten können, in der Firstclass einer Premium-Airline wie der Swiss noch immer Champagner im Glas.
Diesen Spagat zwischen Premium und preiswert zu schaffen, ist schwierig. Airlines wie die Swiss wollen preislich mithalten können mit den Billigen. Und gleichzeitig besser sein als sie. Das führt zu einer Hybridisierung, einer Ausdifferenzierung des Produkts ins obere und ins untere Preissegment.
Entsprechend hat die Swiss das Basisprodukt in der Economyclass nach unten angepasst und Ballast abgeworfen: Services wie eine Sitzplatzreservierung, zusätzliches Gepäck, mehr Beinfreiheit und Speisen auf den Kurzstrecken müssen extra bezahlt werden. Dies, damit die Airlines auf Vergleichsportalen wie Skyscanner, die die Angebote aufsteigend nach Preis auflisten, möglichst weit oben erscheinen.
Der ehemalige Swiss-Flugbegleiter Christian Fröscher hat die Umstellung miterlebt. Er sagt: «Nach dem Preisverfall vor etwa 20 Jahren gab es pro Flugzeug weniger Flight-Attendants und einen reduzierten Service auf der Kurzstrecke.» Anstelle der Speisen auf dem Tablett hätten sie bei der Swiss dann Sandwiches verteilt.
Der Aviatik-Experte Wittmer sagt, die Kundinnen und Kunden nähmen den Preis durch die Auslagerung von Extrakosten als günstiger wahr. Doch durch die anfallenden Zusatzkosten zahlten sie am Ende im Durchschnitt insgesamt mehr. «Mit diesen Kosten machen die Airlines Gewinn, weil sie den günstigen Preis überkompensieren können.»
Das Premiumprodukt
Gleichzeitig wird in der First- und der Businessclass aufgerüstet. Gemäss Iata sind Premiumkunden und -kundinnen weltweit für 20 Prozent des Gesamtgewinns aus dem Kundengeschäft verantwortlich. Wittmer beobachtet auch in Bezug auf die verwendete Fläche innerhalb der Flugzeuge eine Verschiebung hin zum Premiumsegment.
Die Swiss wird dieses Jahr eine neue Kabinenausstattung namens «Swiss Senses» einführen, mit ausgekleideten Holzwänden und Flachbildschirmen in der Firstclass. In den A330-Langstreckenflugzeugen wird die neue Kabine im Premiumsegment an der Flugzeugspitze so schwer, dass zum Ausgleich im Heck schwere Metallplatten verlegt werden müssen.
Das Ungleichgewicht im Flugzeug steht für das Auseinanderdriften der ganzen Airline. Die Swiss hat nicht mehr nur ein Produkt, sondern zwei.
Vor dem Abflug kommt der Check-in: 1948 wurde der Flughafen Zürich Kloten der Heimatflughafen der Swiss.
Warum die Swiss nicht die Swissair ist
Der deutsche Airlines-Experte Cord Schellenberg hält die Differenzierung zwischen Premiumsegment und Massenmarkt für sinnvoll. «Das Giesskannenprinzip hat in der Airline-Industrie nie funktioniert», sagt er.
Durch die Ausgliederung von Extrakosten wie jenen für einen besseren Sitzplatz könnten Passagiere nun zu günstigeren Tarifen fliegen, und mehr Menschen könnten sich eine Flugreise zum Basistarif leisten. Gleichzeitig versteht er die Frustration der Passagiere, die etwa für das Gepäck Zusatzkosten tragen müssen, die es zuvor nicht gab: «Die Fluggäste haben über die Jahre das Gefühl bekommen, ihnen sei etwas weggenommen worden.»
Trotzdem will die Swiss ihre Swissness betonen – oder das, was sie darunter versteht. Das Schöggeli vom Migros-Schokoladenhersteller Frey, Kaffee von der Zürcher Hipster-Rösterei und überall das Schweizerkreuz: Die Swiss erhofft sich, sich mit der Swissness von den Schwesterfirmen innerhalb des Lufthansa-Konzerns abzuheben – und gleichzeitig von der kaufkräftigen Schweizer Kundschaft hohe Preise verlangen zu können.
Denn der Markt hat sich gewandelt. Um der Konkurrenz davonzufliegen, reicht es heute nicht mehr, das beste Essen und ein Cüpli beim Einsteigen zu servieren. Es geht um kluges Gewinn- und Kostenmanagement.