Dienstag, November 26

Rom im 5. Jahrhundert: Das Imperium schwächelt, ein Germanenfürst schickt den letzten Kaiser in Pension. Das Reich geht unter. Und besteht noch 1400 Jahre weiter.

Im November 1519 legte man beim Neubau von St. Peter in Rom die Fundamente für das südliche Seitenschiff. Dafür musste das spätantike Mausoleum abgebrochen werden, das mit der alten Basilika verbunden war. Es war der heiligen Petronilla geweiht, angeblich einer Schwester des Apostels Petrus. Dabei stiess man auf Sarkophage. In einem fand man Edelsteine, eine goldene Halskette mit einem Kreuz und Gebeine in einem goldgewirkten Gewand.

Man hielt sie für die eines christlichen Herrschers, konnte sie aber nicht identifizieren. Rund fünfzig Jahre vorher, 1458, hatte man am gleichen Ort einen Sarkophag mit versilberten Särgen entdeckt. Die Leichen, die bei der Öffnung zu Staub zerfielen, waren die einer erwachsenen Person und eines Kindes, wahrscheinlich die von Kaiser Konstantin dem Grossen und einem seiner Söhne.

Erheblich aufschlussreicher war der Fund eines weiteren Sarkophags im Februar 1544. In ihm waren zwei Personen beigesetzt, wie der Zürcher Reformator Heinrich Bullinger an den St. Galler Humanisten Joachim Vadian schrieb. Auch sie waren in goldene Gewänder gehüllt, neben ihnen lagen zwei Silberschatullen mit rund zweihundert wertvollen Grabbeigaben aus Gold, Silber und Juwelen.

Unter den Schmuckstücken fand sich ein Goldband mit den Namen Maria und Honorius, ein Smaragd mit der eingravierten Büste des Kaisers Honorius und ein Amulett, auf dem zu lesen war: «Honori, Maria, Stelicho, Serena vivatis (‹ihr sollt leben!›)» und «Stelicho, Serena, Thermantia, Eucheri, vivatis». Schon Bullinger hatte daraus gefolgert, bei den Bestatteten müsse es sich um die Ehefrauen von Kaiser Honorius handeln: Maria und Thermantia, die Töchter des Reichsfeldherrn Stilicho und seiner Gattin Serena.

Ein Kaiser, zwei Söhne

Auch die neuere Forschung betrachtet das Mausoleum als das des Honorius und die 1458 entdeckten Leichen als die von Honorius’ Halbschwester Galla Placidia und ihres im Säuglingsalter gestorbenen Sohnes Theodosius. In einem der 1519 gefundenen Sarkophage war vermutlich Honorius selbst beigesetzt, doch beweisen lässt sich das nicht.

Möglicherweise liegen Honorius und andere Mitglieder der theodosianischen Dynastie also noch immer unter dem südlichen Seitenschiff von St. Peter begraben. Das Gold, das damals gefunden worden war, wurde eingeschmolzen und für den Neubau des Petersdoms verwendet. Die Juwelen verschwanden spurlos. Nur das Amulett hat sich erhalten und wird heute im Louvre aufbewahrt.

Kaiser Theodosius I. hatte vor seinem Tod am 17. Januar 395 bestimmt, dass das Reich künftig von seinen Söhnen regiert werden soll: die Westhälfte von Honorius, der östliche Teil von Arcadius. Honorius war damals zehn, Arcadius siebzehn Jahre alt. Der Vater entschied deshalb, dass Stilicho die Vormundschaft für beide Söhne ausüben sollte. Das behauptet der Dichter Claudius Claudianus in einem Festgedicht, das er Anfang 396 in Mailand vortrug. Diese Behauptung führte zu längeren Auseinandersetzungen, und trotz der Betonung der Einheit des Reiches beförderte sie das Auseinanderdriften der beiden Reichsteile.

Honorius bedurfte einer leitenden Hand. Und Stilicho, selbst vandalischer Abstammung, war nur allzu bereit, sie ihm zu reichen. Er war mit einer Nichte von Theodosius verheiratet und bemüht, die Verbindung zum Kaiserhaus zu stärken. 398 verheiratete er seine Tochter Maria mit dem Kaiser, der damals vierzehn Jahre alt war. Claudianus schloss sein Hochzeitsgedicht für die beiden mit der Hoffnung auf einen Sohn und Nachfolger, die sich freilich nicht erfüllte: Die Ehe blieb kinderlos, sei es, weil die Braut noch zu jung war, sei es, weil der Bräutigam zeugungsunfähig war, wie spätantike Historiker spekulierten.

Flucht nach Ravenna

Beide Reichsteile befanden sich in einer schweren Krise. Sie wurden von germanischen Stämmen heimgesucht, die Siedlungsgebiete forderten. Besonders Alarich und seine Westgoten trieben ein Katz-und-Maus-Spiel. Bald zogen sie plündernd durch Griechenland, den Balkan und Oberitalien, bald kämpften sie mit Stilicho gegen andere germanische Stämme, dann wieder gegen Stilicho, wurden aber von seinen Truppen 402/3 bei Pollentia und Verona zurückgeworfen. Diese Ereignisse führten dazu, dass Honorius aus Mailand ins sichere Ravenna zog, das seitdem seine feste Residenz wurde, die er kaum noch verliess.

Es war Stilichos Aufgabe, den westlichen Reichsteil gegen die eindringenden Goten, Vandalen, Sueben, Burgunder, Alanen und Hunnen zu sichern. Zugleich musste er es gegen aufständische Militärs wie den Warlord Gildo in Africa verteidigen. Und schliesslich galt es, für den minderjährigen Kaiser Intrigen abzuwehren, die die Berater von Honorius’ Bruder Arcadius in Konstantinopel anzettelten.

Dazu kamen Usurpatoren, die sich in Gallien und Germanien zum Kaiser ausrufen liessen. In Rom, dem früheren Zentrum des Reichs, zwang Alarich den Stadtpräfekten Attalus, als Marionettenkaiser Honorius herauszufordern. Nach dem Tod von Arcadius kam es zum Zerwürfnis zwischen Stilicho und Honorius. Angeblich hatte Stilicho mit Alarich sympathisiert und wollte seinen eigenen Sohn zum Kaiser ausrufen lassen.

Am 22. August 408 wurde Stilicho in Ravenna ermordet, im Auftrag des Kaisers. Unter den Nachfolgern, die über den entscheidungsschwachen Honorius bestimmten, wurde es nicht besser: Während Stilicho erkannt hatte, dass das Reich die Germanen brauchte, um sich gegen diese zu verteidigen, gab Honorius den antigermanischen Ratgebern nach. So machte Alarich weiterhin das Reich unsicher und plünderte im August 410 Rom.

Ein Kaiser genügt

Für viele Zeitgenossen war das ein Zeichen des nahenden Endes. Nicht so für Honorius. Laut einer hundertfünfzig Jahre später überlieferten Anekdote reagierte er auf die Meldung, Rom sei zugrunde gegangen, mit dem entsetzten Ausruf «Aber jüngst hat er noch aus meinen Händen gefressen!»: Er soll gemeint haben, es sei von seinem Lieblingshahn Roma die Rede. Laut der Anekdote war er erleichtert, als er hörte, dass es nur um die Stadt ging. Friedrich Dürrenmatt hat die Szene 1949 in der Komödie «Romulus der Grosse» auf den letzten Kaiser Westroms übertragen.

Nach Stilichos Hinrichtung machte Honorius sich von anderen Beratern abhängig, die aber nicht verhindern konnten, dass durch die Ansiedlung der germanischen Stämme und durch Aufstände der Provinzialen das Westreich langsam zerfiel. Zwar gelang es ihm ab 411 mithilfe des Heermeisters Constantius, Gallien und Britannien zu halten. Aber auch diese Provinzen entzogen sich um die Jahrhundertmitte wie vorher schon Spanien und Africa der Oberhoheit seiner Nachfolger.

Im Spätsommer 423 starb Honorius an der Wassersucht. Kaum fünfzig Jahre später wurde der letzte weströmische Kaiser abgesetzt: Im Jahr 476 schickte der germanische Truppenführer Odoaker den Kaiser Romulus Augustulus ins Exil nach Neapel. Die kaiserlichen Insignien sandte er an Zenon, den Kaiser im Ostteil des Reiches: weil ja ein Kaiser für das Reich genüge.

Damit hatte vorerst nur das westliche Kaisertum ein Ende gefunden, nicht das westliche Reich. Aber schnell zeigte sich, dass die Einheit des Reiches nachhaltig gestört war. Während das Ostreich weiterbestand und erst 1453 von den Türken erobert wurde, begannen im Westen verschiedene germanische Stämme zu siedeln. Zuletzt seit 568 die Langobarden in Italien. Ihr Reich wurde 774 von Karl dem Grossen erobert, der dann am Weihnachtstag 800 in Rom von Papst Leo III. zum römischen Kaiser gekrönt wurde. Wenige Jahre später anerkannte ihn der Ostkaiser Michael I. als gleichberechtigten Kaiser des Westens.

Der letzte Römer

Mit der Übertragung der Herrschaft von den Römern auf die Franken gab es auch im Westreich wieder einen Kaiser, und seit Otto I. (962) blieben im wiederhergestellten Imperium Romanum Titel und Funktion mit dem deutschen Königtum verbunden. Dies bis zur letzten päpstlichen Kaiserkrönung, derjenigen Karls V. 1530 in Bologna.

1512 tauchte erstmals der Name «Heiliges Römisches Reich Teutscher Nation» auf und blieb bestehen. So lange, bis Franz II., der letzte «von Gottes Gnaden erwählte Kaiser der Römer, allzeit Mehrer des Reichs», 1806 die Kaiserkrone niederlegte. Damit fand das Weströmische Reich sein definitives Ende, 1400 Jahre nach dem Tod von Kaiser Honorius. Der legitimierende Rückbezug auf die römische Antike war schon lange nur noch eine staatsrechtliche Fiktion gewesen.

Heinz Hofmann ist emeritierter Professor für lateinische Philologie an der Universität Tübingen.

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