Samstag, Februar 22

Europa erlebt eine Rekordzahl von Grippefällen, Kinder hat es besonders hart erwischt. Eine Impfung gegen die Influenza wird aber offiziell nicht empfohlen. Dabei gibt es viele gute Gründe dafür. Zum Beispiel den, dass die Impfung der Jungen die Alten schützt.

Die Vereinigten Staaten empfehlen sie schon seit fast zwanzig Jahren: Eine Grippeimpfung sollte jedes Kind bereits ab dem Alter von sechs Monaten bekommen, rät die US-Seuchenschutzbehörde CDC. Und das jedes Jahr bis zum Erwachsenenalter. Ähnliche Ratschläge werden auch Eltern in Finnland, Grossbritannien und anderen europäischen Staaten gegeben. Sogar die Weltgesundheitsorganisation ist der Meinung: Eine Impfung gegen die Influenza kann Kindern so viele Arztbesuche und lebensgefährliche Komplikationen ersparen, dass sie unabdingbar ist.

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In der Schweiz und in Deutschland haben sich die zuständigen Gremien anders entschieden. Die Schweizer Ekin, die Eidgenössische Kommission für Impffragen, und die deutsche Stiko, die Ständige Impfkommission, legen die Spritzen nur Eltern mit Kindern nahe, die besonders gefährdet sind, beispielsweise Frühgeborene oder Kinder mit einer chronischen Herz- oder Lungenerkrankung.

Vorletztes Jahr begann die Schweiz über «neue Strategien» nachzudenken. Die Ekin diskutierte eine «breite Impfung von Schulkindern». Der Grund: Man weiss, dass Influenzawellen oft in Gemeinschaftseinrichtungen, in Kindergärten und Schulen ihren Anfang nehmen. Die Kommission überlegte deshalb, ob eine Kinderimpfung die besonders bedrohten Senioren schützen könnte.

Grippekranke füllen die Betten in den Krankenhäusern

In diesem Winter hat das Virus den Befürwortern neue Argumente geliefert. Die Zahl der Grippekranken erreicht Rekordwerte – besonders betroffen sind Kinder. Die Kliniken berichten über ungewöhnlich viele Fälle unter Sechsjährigen, die mit Atemproblemen, starken Flüssigkeitsverlusten oder Krampfanfällen eingeliefert werden.

Wäre es deshalb nicht an der Zeit, auch in Deutschland und der Schweiz den Eltern einen solchen Schutz für ihre Kinder nahezulegen? Dazu haben Experten unterschiedliche Meinungen.

Der Stiko-Vorsitzende Reinhard Berner, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der TU Dresden, sagt: «In einer idealen Welt und wenn es nur um rein medizinische Fragen ginge, würde ich so eine Impfung empfehlen, da sie nutzen kann, aber nicht schadet.»

Jedes Jahr muss nachgeimpft werden

Aber so sei die Welt eben nicht, und deshalb zögert er, diese Empfehlung auszusprechen. Denn es lasse sich kaum leugnen, dass nur die wenigsten Eltern zu einer Impfung ihrer Kinder zu motivieren seien. Schon allein deshalb liesse sich der erhoffte Effekt nicht erzielen.

Hinzu kommt, dass es bei der Influenza eben nicht mit ein, zwei Spritzen getan wäre. Die Kinder müssten jährlich nachgeimpft werden. Die Erstimpfung von Säuglingen und Kleinkindern wäre sogar zweimal notwendig. Denn ihr Immunsystem ist noch völlig untrainiert für die Auseinandersetzung mit dem Erreger.

Und dann ist da noch die Frage, wie gut die Impfung wirklich wirkt. Im Vergleich zum Schutz gegen Masern, Mumps oder Röteln performt die Impfung gegen die Influenza unterdurchschnittlich. Das liegt vor allem daran, dass sich der Erreger jedes Jahr leicht verändert. Die Pharmaunternehmen müssen ihre Impfstoffe aber schon vor der Grippesaison herstellen, so dass sie Jahr für Jahr nur mutmassen können, wie sich der Erreger entwickeln wird. Manchmal liegen sie damit richtig, manchmal nicht.

Kinder haben eine Schwachstelle, die das neue Virus ausnützt

Eine Rolle spielt auch, wann die Impfung verabreicht wird, weil mit der Zeit die Wirkung nachlässt. In manchen Jahren können deshalb durchschnittlich 60 Prozent aller Kinderarzt- und Klinikbesuche verhindert werden, in anderen nur 10. «Man kann den Eltern deshalb nie sagen, ihr Kind sei mit hoher Sicherheit geschützt», sagt Berner.

In diesem Winter haben die Pharmaunternehmen vergleichsweise gut spekuliert. Auf 50 Prozent schätzen erste Studien den aktuellen Schutzeffekt. Nur sind die meisten Kinder eben ungeimpft. Was die Rekordepidemie ausserdem zu erklären hilft: Gerade Minderjährige sind für den Virustyp, der derzeit besonders aktiv ist, ausgesprochen anfällig. Das deutsche Nationale Referenzzentrum für Influenzaviren hat herausgefunden, dass viele Kinder genau für diesen Influenza-B-Erreger diesmal eine Schwachstelle im Immunitätsschutz besitzen.

Beigetragen zu dieser Schwäche hat wahrscheinlich, dass während der Corona-Pandemie die Influenzasaisons 2020/21 und 2021/22 ausgefallen sind. In einer kritischen Zeit seiner Entwicklung hatte das Immunsystem der Jungen und Mädchen deshalb keine Chance, zu lernen, wie dieser Erreger zu bekämpfen ist. Und muss deshalb jetzt nachsitzen.

Für viele Geimpfte verläuft die Krankheit milder

Ulrich Heininger, Leiter der Pädiatrischen Infektiologie und Vakzinologie am Universitäts-Kinderspital beider Basel, vertritt die andere Fraktion. Er persönlich würde allen Eltern die Impfung empfehlen. «Weil sie nachweislich das Risiko für schwere Verläufe senkt.» Zwar nur um besagte 10 bis 60 Prozent, aber immerhin.

Laut Studien wird jedes Jahr jedes tausendste Kind mit einer Grippe in ein Krankenhaus eingeliefert. 46 von 1000 infizierten Minderjährigen erkranken an einer bakteriellen Mittelohrentzündung, weil ein von einer Influenza erschöpftes Immunsystem sich schlechter gegen Bakterien wehrt. Besonders gefährdet sind Säuglinge und Kleinkinder.

Doch selbst diejenigen, die nicht so schwer betroffen sind, könnten laut Heininger von der Impfung profitieren. «Weil bei geschützten Kindern Krankheitsverläufe häufiger milde sind.» Schwere Nebenwirkungen sind wiederum sehr selten.

Der beliebteste Impfstoff ist in der Schweiz nicht erhältlich

Es ist jetzt an den beiden Impfkommissionen Ekin und Stiko, dieses Für und Wider abzuwägen. Stehen die Ausgaben für die Impfstoffe gesamtgesellschaftlich gesehen im Verhältnis zu den eingesparten Therapiekosten? Auch solche Dinge müssen bedacht werden. Aufgabe von Kommissionen ist es eben auch, im grösseren Rahmen zu denken. Oder: Ist damit zu rechnen, dass die gesamte Gesellschaft profitiert? Weil die Ausbreitung der Erreger gebremst wird. Schaut man in Länder wie Grossbritannien, ist mit Impfquoten zu rechnen, die das nicht leisten werden.

Was diese Überlegungen noch zusätzlich erschwert, sagt der Ekin-Präsident Christoph Berger vom Universitäts-Kinderspital Zürich: Einen der unter Kinderärzten beliebtesten Impfstoffe gibt es in der Schweiz nicht. Er wurde vom Hersteller zurückgezogen. Das Spray der Firma AstraZeneca wirkt ähnlich gut wie die Konkurrenzprodukte, ist genauso sicher, schmerzt aber weniger. In Deutschland kann das Spray Kindern ab dem Alter von zwei Jahren in die Nase gesprüht werden.

Eine Empfehlung würde den Eltern helfen, Geld zu sparen

Sollten die Kommissionen demnächst die Grippeimpfung für alle Kinder empfehlen, würden die Eltern von sinkenden Kosten profitieren. Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland müssen die Kassen die Massnahme bislang nur für Kinder zahlen, denen die Spritze schon jetzt offiziell nahegelegt wird. Lassen Eltern ihre Kinder impfen, die nicht zu einer Risikogruppe gehören, liegt es im Ermessen der Krankenkassen, ob sie sich an den Kosten beteiligen. In Deutschland können sich Eltern in der Regel darauf verlassen, in der Schweiz gibt es grosszügige und geizige Kassen. In dieser Diskussion würde eine Ekin-Entscheidung den Betroffenen mindestens gute Argumente liefern. Die Freiheit, sich für oder gegen eine Impfung zu entscheiden, bliebe dabei völlig unberührt.

Bei Kindern, die jünger sind als ein halbes Jahr, darf in beiden Ländern keine Impfung verwendet werden. Sie können nur über Umwege geimpft werden. Wenn sich Mütter während der Schwangerschaft gegen die Influenza schützen, bildet ihr Immunsystem Antikörper, die dann auf das Kind übertragen werden. Für mehrere Monate ist dieses deshalb in der Lage, Grippeviren abzuwehren. Eine Massnahme, die schon jetzt allen Müttern von beiden Impfkommissionen empfohlen wird.

Wie man die Grippe bei einem Kind erkennt und was man gegen die Krankheit tun kann

Es ist nicht immer einfach, die Grippe von anderen Erkältungskrankheiten zu unterscheiden. Symptome wie Husten, Halsschmerzen, Schnupfen, Kopfschmerzen, Fieber, Schüttelfrost können auch bei anderen Infektionen auftreten.

Für eine Grippe spricht jedoch, wenn alles zusammen auftritt, wenn Gliederschmerzen dazukommen und das Fieber ungewöhnlich hoch ist. Ein weiteres typisches Kennzeichen ist der abrupte Symptombeginn innerhalb von ein paar Stunden. Gastrointestinale Beschwerden wie Durchfall oder Erbrechen können von Influenzaviren ebenfalls verursacht werden. In der Regel sind die meisten Symptome bei Kindern nach fünf bis sechs Tagen verschwunden, ein Reizhusten kann aber auch bis zu zehn Tage anhalten.

«Achten Sie unbedingt darauf, dass Ihr Kind genug trinkt» ist Roland Ellings erster Behandlungstipp. Ein, zwei Tage nichts zu essen, sei für ein krankes Kind nicht so schlimm, «das holen die alles wieder auf». Aber Flüssigkeitsmangel ist einer der häufigsten Gründe für die Aufnahme von Kindern mit Grippe im Spital. Ein Grund dafür ist, dass sie durch das Fieber viel Flüssigkeit verlieren.

Der zweite Tipp des pädiatrischen Infektiologen der Kinder- und Jugendklinik des Universitätsklinikums Freiburg: «Achten Sie mehr auf Ihr Kind als auf das Thermometer.» Man solle nicht mit aller Gewalt versuchen, das Fieber zu senken, insbesondere wenn das Kind sonst einen halbwegs guten Eindruck mache. «Die Körpertemperatur muss nicht unbedingt unter 38,5 Grad liegen, ein Fieber hat auch seinen Sinn.»

Fiebersenkende Medikamente wie Paracetamol oder Ibuprofen können manchmal trotzdem hilfreich sein, zum Beispiel wenn die Temperatur über 40 Grad ansteigt oder wenn das Kind nicht schlafen kann. Eine Studie liefert noch einen weiteren Rat, um dem Kind zu einem besseren Schlaf zu verhelfen. Ein Löffel Honig vor dem Schlafengehen könne den Hustenreiz lindern.

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