Der neue Bundesrat Martin Pfister wird höchstwahrscheinlich das Verteidigungsdepartement übernehmen. Schon jetzt ist klar: Für die drängendsten Probleme werden ab dem ersten Tag konkrete Lösungsvorschläge erwartet.
Das Wort «aufräumen» kam in den letzten Wochen auffällig oft im Zusammenhang mit dem bundesrätlichen Wahlkampf vor. Das ist kein Zufall: Das per Ende März frei werdende Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) ist nicht nur das grösste Departement des Bundes, es hat auch etliche Baustellen. Diese haben in letzter Zeit immer wieder für Negativschlagzeilen und Unmut im Parlament gesorgt. Die drei grössten muss voraussichtlich Martin Pfister anpacken, so schnell als möglich:
- Armee: Drei wichtige Kaderleute der Armeespitze treten ab. Allen voran der Chef der Armee, Korpskommandant Thomas Süssli, der per Ende Jahr geht. Auch sein Stellvertreter und Chef Ausbildung, Korpskommandant Hans-Peter Walser, tritt ab auf Ende Jahr, er wird pensioniert. Gekündigt hat auch der Chef Luftwaffe, Peter Merz. Er geht per Ende September. Diese drei Abgänge bedeuten auch einen erheblichen Know-how-Verlust. Walser und Merz sind seit den neunziger Jahren beruflich für die Armee tätig. Dazu kommt: In den letzten drei Jahrzehnten wurde massiv gespart in der Verteidigung. Ein Krieg in Europa schien unrealistisch, deshalb wurde das Geld an anderen Orten ausgegeben. Heute hat die Armee deshalb immer noch uralte Systeme in Betrieb, teilweise beschafft im Kalten Krieg. Auch an Ausrüstung fehlt es: Im Kriegsfall könnte nur gerade ein Drittel aller Soldatinnen und Soldaten vollständig ausgerüstet werden. Es fehlt an allen möglichen Dingen: Sturmgewehren, Kampffahrzeugen oder auch Schutzwesten. Würde die Schweiz die Lücken in der Ausrüstung stopfen sowie alle alten Systeme ersetzen wollen, kostete dies gemäss der Armee rund 50 Milliarden Franken. Das Parlament hat sich geeinigt, bis 2032 ein Prozent des Bruttoinlandproduktes für die Nachrüstung der Armee ausgeben zu wollen. Der Bundesrat plädierte für 2035. Beim schnelleren Aufwuchs ist allerdings die Finanzierung nicht gesichert. Ausserdem kann das Parlament das Budget der Armee jedes Jahr kürzen, trotz Finanzrahmen über vier Jahre. Das macht eine langfristige Planung der Armeeausgaben schwierig und verkompliziert Beschaffungen. Ausserdem verlangen Parlament und Bundesrat eine Gesamtstrategie vom VBS.
- Nachrichtendienst: Viola Amherd ernannte 2022 den Genfer Diplomaten Christian Dussey zum Direktor des Nachrichtendiensts des Bundes (NDB). Er sollte den Dienst völlig umbauen, ihn agiler und robuster machen für die künftigen Herausforderungen. Aufgaben und Kaderstellen wurden neu verteilt, Teams umgestellt. Der grundlegende Umbau führte zu Unsicherheit und schlechter Stimmung bei den Mitarbeitenden. Die Produktivität stieg nicht wie erhofft durch die Transformation, sie blockierte den Dienst regelrecht. Die Kantone schlugen Alarm. Der NDB sei mehr mit sich selbst beschäftigt als mit der Sicherheit des Landes. Direktor Dussey erhielt einen Führungscoach an die Seite: Marc Siegenthaler, der stellvertretende Generalsekretär im VBS. Dieser sollte den Transformationsprozess begleiten und Dussey entlasten. An einer Mitarbeiterversammlung Ende Februar soll Siegenthaler die Transformation gemäss einem Insider als Misserfolg bezeichnet haben. Einen Tag später machte die NZZ publik, dass Dussey zurücktritt. An der Medienkonferenz erklärter er, er sei «müde». Dennoch bleibt er auf Bitten der abtretenden Bundesrätin Viola Amherd noch bis im März 2026 im Amt. Ein müder Nachrichtendienstchef und unzufriedene Mitarbeitende sind ein Sicherheitsrisiko für die Schweiz.
- Ruag: Der bundeseigene Rüstungskonzern Ruag MRO entstand ursprünglich aus verschiedenen Rüstungsunternehmen des Bundes. Diese einzelnen Abteilungen führten lange ein Eigenleben, auch nach der Fusion zur AG. Drei Berichte der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) offenbarten Ende Februar das grosse Ausmass der Mängel im Konzern mit klaren Hinweisen auf strafrechtlich relevantes Verhalten. Im Fokus steht ein früherer Mitarbeiter, gegen den in Deutschland wegen Korruption ermittelt wird. Der damalige Kadermitarbeiter soll selbständig Ersatzteile von Panzern eingekauft, massiv unter- oder überbewertet und weiterverkauft haben. Der finanzielle Schaden durch die bisher bekannten Fälle liege «im hohen zweistelligen Millionenbereich», schreibt die EFK. Es habe «schwere organisatorische Versäumnisse» und «eine fragwürdige Kultur» vorgeherrscht im Rüstungskonzern. Nicht nur, weil der ehemalige Mitarbeiter offenbar ein korruptes System über Jahre betreiben konnte, sondern auch, weil die Ruag und das VBS eine Whistleblowing-Meldung 2019 nicht genug ernst genommen hatten. Der Bundesrat gab Ende 2024 bekannt, dass er die Rechtsform der Aktiengesellschaft, die zu hundert Prozent dem Bund gehört, überprüfen wolle. Dies, um künftig mehr Kontrolle über den eigenen Rüstungskonzern ausüben zu können.
- Rüstungsindustrie: Das Bundesamt für Rüstung (Armasuisse) erstellt im Auftrag des Bundesrates momentan eine rüstungspolitische Strategie. Diese soll unter anderem aufzeigen, wie die Schweiz im Rüstungsbereich zur Sicherheit Europas beitragen und damit ihre eigene Sicherheit und Unabhängigkeit stärken kann. Die Hoffnung privater Rüstungsfirmen ist, dass als Konsequenz auch das restriktive Kriegsmaterialgesetz gelockert wird. Im letzten Jahr hat die Schweiz 5 Prozent weniger Kriegsmaterial exportiert, 2023 waren es rund 27 Prozent weniger verglichen mit dem Vorjahr. Dies ist erstaunlich, rüsten doch diverse Länder seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine auf. Gemäss dem Friedensforschungsinstituts Sipri haben europäische Staaten in den Jahren 2020 bis 2024 satte 155 Prozent mehr Waffensysteme importiert als in den vorhergehenden fünf Jahren. Die rigiden Exportbedingungen stellen für die Schweizer Rüstungsindustrie einen deutlichen Wettbewerbsnachteil dar. Einige Länder meiden die Schweiz sogar komplett. Damit die Rüstungsindustrie hierzulande überleben kann, braucht es eine Gesetzesanpassung. Das Parlament konnte sich bislang nur auf eine Ausnahmeregelung für den Bundesrat einigen.
Zu all diesen Punkten kommt eine gröbere Vertrauenskrise. Während der letzten Monate kam es zu diversen Indiskretionen und Kommunikationspannen im VBS. Schafft es Martin Pfister als höchstwahrscheinlich neuer Chef, kommunikativ besser zu agieren und das Vertrauen von Politik und Öffentlichkeit wiederherzustellen, könnte er glücklich werden im grössten Departement des Bundes.
Die Departementsverteilung im Bundesrat wird am kommenden Freitag stattfinden.