Samstag, August 23

Dating ist zum Desaster geworden. Dabei leiden vor allem die Frauen an den Männern, die ihre Ansprüche nicht erfüllen. Und wenden sich von ihnen ab. Das Phänomen hat einen Namen: Heterofatalismus.

Die Liebe ist eine Frage von ein paar Zentimetern. Sie hängt ab davon, wie gross ein Mann ist. Die Grösse, aber auch volles Haar und als Drittes ein dickes Portemonnaie entscheiden darüber, ob ihn eine Frau begehren kann.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Dann sollte er sich aber auch wirklich binden wollen. Er darf einer Frau nicht das Gefühl vermitteln, dass er auf sie gewartet habe, um sich anderntags nicht mehr an seine Beteuerung zu erinnern. Oder gar auf stumm zu schalten, sie zu ghosten.

Im Film «Materialists» von Celine Song muss die Heiratsvermittlerin Lucy ihren Kundinnen erste Hilfe leisten, wenn wieder einer dieser potenziellen Ehemänner abgesprungen ist, ohne dass die beiden genau verstehen, warum.

Lucy erspart New Yorker Singles die erschöpfende Erfahrung, auf Dating-Apps wie Tinder einen Partner zu suchen und mögliche Kandidaten mit einem Wisch nach rechts auszusortieren. Sie arbeitet für eine Agentur, die Bindungswillige persönlich füreinander auswählt. Das heisst aber nicht, dass ihre Kundschaft weniger Ansprüche hätte.

Die Frauen und Männer präsentieren dem Dating-Profi ihre Vorstellungen wie eine Checkliste für die Ausstattung des künftigen Haushalts. Der Wunschpartner sollte ein Hundetyp sein. Eine Vorliebe für Katzen, selbst wenn sonst alles stimmt? Ausgeschlossen. Die Wunschpartnerin darf nicht älter als 29 sein. 31 ist schon zu alt.

Die Ambivalenz der Männer

«Materialists», der plakative Titel ist Programm, verhandelt das Ende der Romantik, obwohl sich der Film eine romantische Komödie nennt. Können Frau und Mann noch zueinanderfinden und, wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Die Fremdheit zwischen den Geschlechtern beginnt damit, dass heute viele schon das Dating als Desaster erleben. Die Verfügbarkeit von möglichen Partnern mittels des Internets führt dazu, dass Beziehungen enden, bevor sie überhaupt beginnen. Man hat vielleicht Sex beim ersten Treffen, zu vieles stimmt dann aber doch nicht, und also war es das auch schon. Das hat zu einer Kultur der Lieblosigkeit geführt.

Dabei beklagen vor allem Frauen, dass die Männer nicht wüssten, was sie wollten. Heutige Männer seien bindungsscheu, heisst es in Erfahrungsberichten in den Medien und im Freundinnenkreis. Sie hätten Angst, sich zu einem einzigen Menschen zu bekennen, blieben unverbindlich und legten eine Ambivalenz an den Tag, wenn es um Zukunftsfragen wie das Kinderhaben gehe.

Es scheint eine ausweglose Situation. Denn irgendwie geht es ja nicht ohne Männer, zumindest nicht für Frauen, die Männer lieben.

Für dieses Dilemma gibt es nun einen Begriff: Heterofatalismus. Geprägt hat ihn die Gender-Theoretikerin Asa Seresin 2019, wobei sie zuerst von Heteropessimismus sprach. Ein gewisser Fatalismus ist gemäss diesem nötig, wenn eine Frau eine heterosexuelle Beziehung eingehen will: Sie schickt sich hinein.

Liebe in Zeiten des Kapitalismus

Die unerfüllbaren Erwartungen ihrer Kundschaft sind in «Materialists» auch Lucy vertraut. Die Mittdreissigerin, gespielt von Dakota Johnson, ist selbst Teilnehmerin an einem Markt, in dem Beziehungen nach einem Warenwert bemessen werden. Lucy hat ihren Freund John (Chris Evans), einen brotlosen Theaterschauspieler, verlassen, weil ihr das Prekariat wenig verlockend scheint. Sie lernt den reichen Geschäftsmann Harry (Pedro Pascal) kennen, «eine 10 von 10». Hoher Marktwert, ein Mann fürs gute Leben.

Lucy redet in Wirtschaftsbegriffen von der Liebe. Man «investiert» in den Körper, um auf dem Beziehungsmarkt bessere Chancen zu haben. Sie hat sich Nase und Brüste machen lassen. Sie fühlt sich «wertvoll», weil ein reicher Mann sie will. An der Höhe der Restaurantrechnung könne man ablesen, wie romantisch die Ehe sei, sagt Lucy, die sich nun zu Kerzenlicht-Dinners in die teuersten Lokale einladen lässt.

Geld, so hat es die Soziologin Eva Illouz analysiert, erzeugt die grossen Gefühle. Ob das nun der Diamantring ist oder das Fitness-Abo für einen sexy Körper. So liess sich auch Harry, der Geschäftsmann mit den Millionen, die Beine brechen und verlängern, um auf 1,80 Meter anzuwachsen.

Das Mängelwesen Mann

Das Dating ist nur der Startpunkt für die wachsende Skepsis von Frauen gegenüber Männern. Die Liste der weiteren Gründe, die gegen Männer vorgebracht werden, ist fast so lang wie die Wunschlisten von Lucys Kundinnen, wie ein Mann zu sein habe, um ihr Interesse zu verdienen.

Männer, so ein Vorwurf des Heterofatalismus, können nicht über ihre Gefühle sprechen. Sie überlassen die emotionale Arbeit in einer Beziehung den Frauen. Männer sind unfähig, die sexuellen Bedürfnisse der Frauen zu erfüllen. Männer tun Frauen Gewalt an.

Natürlich wird auch in «Materialists» ein Mann übergriffig und stalkt sein Date. Ein Schlenker zu #MeToo, das einen Bruch im Geschlechterverhältnis markiert, macht sich auch in einem Unterhaltungsfilm gut.

Der Horror des Anbändelns setzt sich fort, wenn man dann doch Ja zueinander gesagt hat. Männer drücken sich vor der Arbeit im Haushalt. Sie engagieren sich halbherzig bei der Kinderbetreuung, selbst wenn die Frau ebenfalls berufstätig ist.

Lesbisch werden als Ausweg

Aus genau diesem Grund hat die Ökonomin und Autorin Corinne Low aufgehört, Männer zu daten. Sie liess sich von ihrem Mann scheiden und lebt heute mit einer Frau zusammen. Sie habe sich in ihrer Ehe völlig verausgabt, immer darauf bedacht, seine Bedürfnisse zu erfüllen, obwohl sie die Hauptverdienerin gewesen sei, erzählte sie dem Magazin «New York». Als sie ein Kind bekam, wurde es noch schlimmer: Alles blieb an ihr hängen.

Darüber hat Low das Buch «Having it All» geschrieben, das im September erscheint. Es ist eine ökonomische Betrachtung des Heteropessimismus, der Enttäuschung und Frustration über die Männer. Anhand von Statistiken und Daten zeigt Low auf, dass Frauen in heterosexuellen Beziehungen immer das Nachsehen haben.

Als Frau alles haben zu können, so hat sich Low entschieden, heisst in ihrem Fall: auf Männer zu verzichten. Erst dann sei ein erfülltes Leben möglich. «Ich finde Männer körperlich nicht abstossend», sagt Low. «Sie stossen mich sozial und politisch ab.»

Frauen wie sie sind offenbar so verzweifelt, dass sie sich Frauen zuwenden, obwohl sie Männer begehren. Sie zelebrieren «Freundinnenschaften» oder schreiben Ratgeber wie «Lesbisch werden in zehn Schritten» (Louise Morel), als wäre die sexuelle Umorientierung so einfach wie die Frage, was man am Morgen anzieht.

Sie habe sich nie ausschliesslich heterosexuell gefühlt, rechtfertigt sich Low. Heute schliesse sie Männer aber bewusst aus ihren Optionen für eine Partnerschaft aus, weil die Daten zum ungleichen Investment in Beziehungen zu eindeutig seien. «Lesbisch werden war eine evidenzbasierte Entscheidung.»

Damit wird die Liebe zu Frauen zu einem politischen Akt, wie es bereits der Feminismus der 1970er Jahre propagierte. Die feministische 4B-Bewegung aus Südkorea knüpft hier an: Frauen verweigern sich dem Dating von Männern, dem Sex mit ihnen, der Ehe und dem Gebären.

Wo bleibt die Männeremanzipation?

Viele Heterofatalistinnen betonen, dass sie Männer nicht hassen würden. Sondern sie geben dem Patriarchat die Schuld an der Geschlechtermisere. Es sei das System, das auch die Männer einenge. Diese hätten mit der weiblichen Emanzipation nicht Schritt gehalten.

Das Ziel für Frauen wie Low ist also nicht, Heterosexualität zu bekämpfen. Diese wird es immer geben, und daher rührt der Fatalismus der Frauen. Deshalb fordert die Ökonomin, dass es «einen zweiten Teil der Geschlechterrevolution» brauche.

Sie und ihre Partnerin, die sich im Gegensatz zu ihr schon immer ausschliesslich von Frauen angezogen fühlte, gehen mit Lows achtjährigem Sohn voran: Er packt in der Küche schon richtig mit an. So erzögen sie ihn zum «nicht nutzlosen Mann».

Liebe als Verhängnis

Liest man solche Bekenntnisse, fragt man sich, wie es mit der Eigenverantwortung bei der Partnerwahl steht. Statt aufgrund eigener schlechter Erfahrungen zu pauschalisieren und Männer als mangelhafte Wesen zu beschreiben, könnte man den richtigen Partner wählen. Trotz gegenteiliger Beteuerung ist das männerfeindliche Denken im heutigen Geschlechterdiskurs ausgeprägt.

Queere Beziehungen gelten nun als allein glücklich machend, weil in ihnen die Paare angeblich egalitärer lebten und nie diesem Machtverhältnis ausgesetzt seien, das sich durch die traditionellen Geschlechterrollen eher ergebe.

Die ungute «heterosexuelle Dynamik» besteht beim Dating etwa darin, so erzählen es Frauen, dass Männer ihnen das Gefühl gäben, bedürftig zu sein. Sobald eine Frau einem Mann zeige, dass sie ihn wolle, ziehe er sich zurück. Sie wird zur Wartenden, zur Gedemütigten. Als ob Warten etwas ist, was nur Männer den Frauen antun.

Im Film «Materialists» behandeln immerhin auch die Frauen die Männer schlecht. Sie genügen einfach ihren Ansprüchen nicht. John, der erfolglose Schauspieler, nimmt es vorweg, wenn er Lucy, die er liebt, sagt: «Ich kann mir nicht leisten, mit dir zusammen zu sein.» Lucy ist weniger selbstgerecht als die Frauen in der Realität, die den Männern entsagen: Sie verachtet sich selbst für ihre Kälte.

Wie sich die Romantik in «Materialists» dann doch durchsetzt, hat etwas Altmodisches. Und wirkt heute darum schon fast kühn.

Vielleicht muss man Heterofatalismus ganz wörtlich verstehen: Man wird wieder schicksalsgläubiger. Statt von vornherein zu resignieren, lässt man sich ein. Statt zu berechnen, ob sich eine Beziehung lohnt, versteht man sie als Verhängnis. Mutig sind die Fatalisten der Liebe.

Exit mobile version