Donnerstag, November 21

Die Partner betreiben den Motorsport als laufende Gewinnausschüttung. Das drittletzte Saisonrennen verspricht heuer aber auch sportliche Brisanz.

Es braucht nur ein wenig Phantasie, um im Strecken-Layout des Las Vegas Strip Circuit ein auf dem Rücken liegendes Schwein zu erkennen. Auch die damit verbundene Assoziation ist leicht: Bei einem Formel-1-Rennen mitten in der Zocker-Metropole muss es sich unzweifelhaft um ein Glücksschwein handeln. In Wahrheit aber, und um im Bild zu bleiben, ist es ein riesiges Sparschwein.

Beim Debüt des jüngsten WM-Rennens im Formel-1-Kalender haben die 316 000 Zuschauer im vergangenen Jahr etwa dreieinhalb Mal so viel Geld ausgegeben wie der durchschnittliche Vegas-Besucher – zusammen über 880 Millionen Dollar. Mit Las Vegas und der Formel 1 haben sich offenbar die perfekten Partner gefunden, gemeinschaftlich betreiben sie den Motorsport nun als grosse Geldvermehrungsmaschine.

Norris muss drei Punkte gutmachen

In diesem Jahr kommt dem drittletzten Saisonrennen eine noch grössere Bedeutung zu, weil es dieses Mal auch sportliche Brisanz verspricht: Max Verstappen könnte sich im Grand Prix von Las Vegas am Samstagabend (Ortszeit) vorzeitig zum vierten Mal in Folge zum Weltmeister krönen, die Gastgeber haben bereits Vorbereitungen für eine Champion-Party getroffen.

Wenn es der Herausforderer Lando Norris mit seinem Rückstand von 62 Punkten in Las Vegas nicht schafft, mindestens drei Zähler wettzumachen, dann kann er den Vorsprung des Niederländers in den letzten zwei Saisonrennen nicht mehr aufholen. Im vergangenen Jahr hatte der Sieger Verstappen bereits vor dem Rennen als Weltmeister festgestanden.

Die strategische Platzierung von Las Vegas, dem dritten Formel-1-Rennen in den USA, zahlt sich diesmal richtig aus: Der Vorverkauf hat noch einmal spürbar angezogen, es konnten auch viele Stehplätze verkauft werden. Das grosse Geld wird aber mit den Zehntausenden VIP-Tickets gemacht, wobei für diese Zuschauer Terrassen im XXL-Format gebaut wurden.

Nicht nur die Kasinos machen dort ein gutes Geschäft, das Formula-One-Management tritt selbst als Veranstalter auf und hat einen ganzen Strassenblock gekauft und bebaut. Das Fahrerlager selbst wirkt auf diesem Areal fast bescheiden, die Glitzer-Applikationen hingegen riesig. Auch eine Heiratskapelle darf nicht fehlen – zur Eröffnung liess sich dort der frühere Weltmeister Jacques Villeneuve trauen. Dieser Grand Prix zeigt es exemplarisch auf: Die minuziös vom Hollywood-Konzern Liberty Media orchestrierte Kommerzialisierung hat trotz einem seit der Corona-Pandemie anhaltenden Boom offenbar immer noch nicht ihre Spitze erreicht.

Im vergangenen Jahr konnte das erste Training in Las Vegas erst um 2 Uhr 30 in der Nacht gestartet werden, da auf der improvisierten Piste Gullydeckel aus der Verankerung gerissen worden waren. Kurz bevor es dann endlich losgehen konnte, wurden die letzten der enttäuschten Zuschauer von den Tribünen vertrieben. Die offizielle Begründung lautete, es sei zu gefährlich gewesen. Die Wahrheit war, dass die Platzordner Feierabend machten, da sie nicht für Überstunden gebucht worden waren. Danach entwickelte sich aber eines der spannendsten Rennen der letzten Saison, es war geprägt von allerlei Zufälligkeiten wie am Roulette-Tisch.

Der grosse Schlussverkauf der Formel 1

Ausgerechnet an einem Ort des grossen Illusionstheaters die Seele eines immens teuren Sports zu suchen, dessen Fluch und Segen schon immer die Nähe zum Kapital war, erscheint gewagt. Doch bei aller rasenden Gewinnausschüttung mehren sich auch im Fahrerlager mahnende Stimmen. Die einen klagen die Reisestrapazen fürs Personal und die Klimabelastung an, wenn innerhalb von einer Woche zwei Rennen ausgetragen werden müssen und zwischen den Veranstaltungsorten 13 000 Kilometer, elf Zeitzonen und bis zu zwanzig Stunden Flug liegen.

Diese Terminplanung ist keineswegs unüberlegt geschehen. Doch Las Vegas hat auf dem Renn-Termin an diesem Wochenende bestanden, da die Umsätze vor Thanksgiving sonst die schwächsten im Jahr sind. Doha und Abu Dhabi wiederum lassen für die Austragung der letzten zwei Saisonrennen ein Extra-Startgeld in zweistelliger Millionenhöhe springen.

Toto Wolff, Mitinhaber des Mercedes-Werksteams und seit Jahrzehnten erfolgreicher Grossinvestor, gehört zwar zu denen, die vom immer weiter gesteigerten Entertainment-Faktor profitieren, doch der Österreicher hinterfragt regelmässig die Zukunftsfähigkeit der Formel 1: «Ich glaube, das Wichtigste ist, niemals an den eigenen Hype zu glauben. Wir diskutieren immer wieder die Ingredienzien, die es für den fortgesetzten Erfolg braucht.»

Dazu zählen vor allem eine gute Show auf der Piste, starke Persönlichkeiten, ein hoher Unterhaltungswert aus mehreren Blickwinkeln. Für Wolff ist aber klar, dass sich grundsätzlich weiterhin alles um das Rennfahren drehen muss: «Der Sport muss unterhalten, er muss Emotionen erzeugen und polarisieren, er darf auch kontrovers sein. Aber er muss immer Sport bleiben.»

Der PS-Poker geht immer weiter

Bei der Eröffnungsfeier im vergangenen Jahr waren die Rennfahrer nur Statisten, sie beklagten sich über die Umkehr der Verhältnisse. Das Management der Formel 1 aber trägt die Idee der Show-Time aus der Wüste bereits weiter. Zum Auftakt des 75-Jahr-Jubiläums werden Mitte Februar in London alle neuen Rennwagen auf einmal im Rahmen eines Mega-Events in der O2-Arena präsentiert.

Max Verstappen und Lando Norris haben bereits angekündigt, dass sie sich für diesen Abend am liebsten krankmelden würden. Im Rennen am Samstag aber würde ihnen schon ein Blick zur Seite aus ihren Cockpits genügen, um zu erkennen, wohin die Reise geht. Die rot-weissen Randsteine in Las Vegas tragen die Symbole der Spielkartenfarben Herz, Pik, Karo und Kreuz. Die Botschaft ist eindeutig: Der PS-Poker geht immer weiter. Und er scheint aufzugehen.

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