Mittwoch, Januar 15

«Mischung aus Schlange und Katze» gehörte zu den harmloseren Beschimpfungen, die Dichter und Kritiker ihren Kolleginnen an den Tagungen zuteilwerden liessen.

Die Anekdoten kommen aus Zeiten, als Herrenwitze noch nicht als das Gegenteil von Humor galten. 1951 betrat Ilse Aichinger bei der Herbsttagung der Gruppe 47 in Laufenmühle spätnachts ihr Zimmer. Das Bett war mit einem nackten jungen Lyriker garniert. Im Fauteuil daneben sass Heinrich Böll, der sich schlafend stellte. Die Schriftstellerin musste die unverhofften Präsente erst aus dem Zimmer schaffen lassen, bevor sie sich zur Ruhe begeben konnte.

Ein Jahr später, als Aichinger in Niendorf den Preis der Gruppe 47 bekam, feierten die männlichen Mitglieder noch ausgelassener. Gemeinsam ging man ins Bordell und konnte sich noch lange darüber amüsieren, wie ratlos «die beiden neu entdeckten Dichterinnen» Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann zwischen all den professionellen Strumpfbandträgerinnen sassen.

Ohne Zweifel hatte gerade jener 1947 gegründete Zirkel, der die deutsche Literatur von den historischen Altlasten des Herrentums befreien sollte, ein Frauenproblem. Ilse Aichinger war eingeladen worden, weil sie beim Schreiben etwas Avantgardistisches verkörperte, das den Männern fehlte. Was den Männern noch fehlte: «Contenance», um sich der Reize Aichingers zu erwehren. So erinnert sich Hans Werner Richter.

Richter war der Zeremonienmeister bei den Treffen der Gruppe 47 und als Patriarch der deutschen Nachkriegsliteratur noch einmal in einer Doppelrolle. Väterlich schaute er auf junge weibliche Talente, während sein Blick vor allem an den körperlich virulenten Ausformungen dieser Jugend hängenblieb. Allein aus den Aufzeichnungen des Ober-47ers könnte man ein Lexikon lüstern verbrämter Misogynie zusammenstellen, die ebenso zum Geist der Zeit gehörte, wie sie sich heute leicht als deren Ungeist entlarven lässt.

Niedrigste Motive

Zur Entlarvung der Gruppe 47 hat die Literaturwissenschafterin Nicole Seifert jetzt ein grossartiges Buch geschrieben und darin die wahrscheinlich subtilste Methode gewählt. Oft genügen Zitate. Man staunt über die Klischees, die Deutschlands versammelte Spracharbeiter ihren vernebelten Hirnen entwanden, wenn es um die Schriftstellerinnen ging, die bei den Treffen der Gruppe anwesend waren.

Viele waren es in den Jahren 1947 bis 1967 nicht, aber Nicole Seifert bringt einige von ihnen wieder in Erinnerung. Lässt den Autorinnen jenen Respekt zukommen, der ihnen zu ihrer Zeit aus mitunter niedrigsten Motiven verwehrt wurde. Ilse Aichinger hat ihren Weg gemacht und konnte mit dem Gruppe-47-Preis eine Karriere beginnen. Bei Ingeborg Bachmann, die 1953 den Preis bekam, war es nicht anders. Aber auch da standen am Anfang definitorische Übergriffe. Intellektuelle Leistungen wurden mit Verweisen auf weibliche Attraktivität eingehegt.

Gerade bei Bachmann haben die Anfänge bei der Gruppe 47 einen Mythos begründet, der bis heute nachwirkt. Zitate von einst könnten Überschriften von heute sein: «Arme, überdrehte Inge», schreibt Hans Werner Richter in sein Autorinnen-Bestiarium. Wenn es um Frauen geht, einigt sich der Stosstrupp der deutschen Literatur schnell auf klischierte Eigenschaften. Niemals hätte jemand Günter Grass als überdreht bezeichnet.

Bei Ersteinlieferung in den Schreibbetrieb gehört zur männlichen Textkritik auch die psychische Diagnose. Ruth Rehmann, die spätere Suhrkamp-Autorin, wird von einem Kritiker als «bacchantisch und scheu» beschrieben. «Parfum ist auch dabei!» Barbara König, eine der leider vergessenen Autorinnen, wird von Richter eine «Mischung aus Schlange und Katze» genannt. Tatsächlich wehrt sich König bei der Tagung von 1960 in Aschaffenburg gegen männliche Zudringlichkeiten durch Gegenschläge, die Spuren hinterlassen.

Gabriele Wohmann liest ebenfalls 1960 und wird vom Kritiker Jürgen Serke als «Vulkan mit zugepfropftem Krater» bezeichnet, «der literarischen Kaltdampf ablässt». Gisela Elsner wird «geistige Lüsternheit» unterstellt. Ilse Schneider-Lengyel, Gastgeberin der ersten Tagung der Gruppe 47 am Bannwaldsee, wird als «Hexe» diffamiert.

Patriarchale Traumwelt

Die Treffen der Gruppe 47 werden immer grösser und pompöser, die Frauen bleiben Staffage. Der Kritiker Joachim Kaiser übt sich im zeitüblichen Chauvinismus: «Die Dichters-Gattinnen, oft in Hosen, umschlingen laookonisch ihre Sessel, lagern sich auf Teppichen jenseits der Lampe, lassen rote Fingernägel schimmern und schweigen depressiv.»

1962 wünscht sich Hans Werner Richter «schöne Mädchen von 15 bis 45 für das Fest». Fünfzehn Jahre Gruppentreffen sind zu feiern. Er habe schon «einen ganzen Stoss Ehefrauen ausgeladen», die immer ganz vorne sässen und «mich mit ihren gekreuzten Butterbeinen in meinem Halbschlaf stören».

Nicole Seifert hat mit sehr viel Material und geradezu trotziger Gelassenheit eine Kulturgeschichte geschrieben, die vielleicht deutscher nicht sein könnte. Die Gruppe 47, der Think-Tank der Literatur, hat ganz systematisch Karrieren versenkt, hat weibliche Störenfriede aus seiner patriarchalen Traumwelt verbannt.

Doch das böse Erwachen naht. 1967 hat Renate Rasp bei der Tagung in Waischenfeld gelesen und wurde dort für ihre «eiskalt daherkommende Aggressivität» angegriffen. 1968 nimmt Renate Rasp ihr Frausein an der Frankfurter Buchmesse selbst in die Hand und entblösst bei einer Lesung ihrer Gedichte den Oberkörper. Die männlichen Kritiker schauen benommen, fassen sich aber schnell: «Reiner Publicity-Gag!»

Nicole Seifert: Einige Herren sagten etwas dazu. Die Autorinnen der Gruppe 47. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024. 352 S., Fr. 34.90.

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