Der Internationale Strafgerichtshof setzt den israelischen Ministerpräsidenten auf die Anklagebank der Weltöffentlichkeit. Damit wird der Ruf Israels befleckt, aber im Nahen Osten nichts verbessert.
Was sich im Mai mit dem Antrag des Chefanklägers angekündigt hatte, ist nun Realität geworden: Richter am Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag haben Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und den früheren Verteidigungsminister Yoav Gallant erlassen. Den beiden Politikern werden Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter Mord, vorgeworfen. Sie befinden sich damit ab sofort auf der Anklagebank der Weltöffentlichkeit und werden in ihrer internationalen Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
Natürlich argumentiert das Gericht, wie das Juristen jeweils tun, allein mit rechtlichen Argumenten, um diesen kolossalen Angriff auf demokratisch gewählte Regierungsmitglieder Israels zu begründen. Es besteht auf seiner Zuständigkeit, obschon Israel den ICC nie anerkannt hat. Und es sieht genügend Evidenz für die Vorwürfe des Anklägers: Die beiden Beschuldigten sollen absichtlich militärisch nicht begründete Angriffe auf die Zivilbevölkerung in Gaza angeordnet haben sowie die Versorgung der Bevölkerung mit dem Kriegsziel des Aushungerns unterbunden und damit viel Leid verursacht haben.
Kein Respekt vor Israels Rechtsstaat
Was das Gericht völlig ignoriert, ist allerdings der juristische, militärische und politische Kontext der untersuchten Fälle. Da ist erstens die Tatsache, dass Israel als einziger demokratischer Staat im Nahen Osten selbst über einen Rechtsstaat und eine unabhängige Justiz verfügt. Diese muss gemäss dem Römer Statut Priorität haben, um solche Vorwürfe zu untersuchen und vor Gericht zu bringen. Doch der ICC greift mit seinem forschen Vorgehen der örtlichen Justiz vor – und das in einem Land, dessen Bevölkerung breit und demokratisch abgestützt die Jurisdiktion des ICC nicht anerkennt. Das ist eine unerklärliche Respektlosigkeit gegenüber Israel.
Zweitens masst sich das Gericht im fernen Den Haag an, die militärische Lage im Gaza-Krieg so klar beurteilen zu können, dass es zwischen zulässigen und unzulässigen Opfern in der Zivilbevölkerung unterscheiden kann. Und das in einem Krieg, den die Aggressoren Hamas und Islamistischer Jihad mit einem hinterhältigen Überraschungsangriff auf die israelische Zivilbevölkerung, mit Mord, Geiselnahmen und sexueller Gewalt begonnen haben. In diesem Krieg versteckt sich die Hamas systematisch inmitten der Bevölkerung Gazas und nutzt menschliche Schutzschilde und zivile Einrichtungen, um aus dieser Deckung heraus zu operieren. Da ist es wenig Trost, dass auch ein Haftbefehl gegen den Hamas-Anführer Mohammed Deif erlassen wurde, der nach israelischen Angaben gar nicht mehr am Leben ist.
Drittens ist nicht ersichtlich, wie das Vorgehen des ICC irgendeinen positiven Beitrag zur humanitären Lage oder zum Frieden im Nahen Osten leisten könnte. Israel ist ein entscheidender Machtfaktor in der Region, gegen dessen Willen nichts geschieht. Ähnlich ist es mit den USA, die den ICC ebenfalls nicht anerkannt haben und fest hinter Israel stehen. Das Gericht bringt beide Staaten gegen sich auf und bewirkt mit seinen Haftbefehlen nichts. Ausser dass der Ruf Israels weiter beschädigt wird – als ob es nicht genug Hass auf den israelischen Staat und die Juden in der Welt gäbe. Der Vorstoss wird in Israel deshalb zu Recht empört abgelehnt.
Eine untergehende Weltordnung
Der ICC wurde in einer Zeit nach dem Kalten Krieg gegründet, in der noch grosse Hoffnungen auf eine neue Weltordnung kursierten, in der internationales Recht und Kooperation eine bessere, gerechtere Welt ermöglichten. Doch das war schon damals eine Illusion. Das Abseitsstehen der Grossmächte USA, Russland und China machte deutlich, dass diese im Konfliktfall lieber der Macht des Stärkeren als der des internationalen Rechts vertrauen.
Heute wirkt der ICC mit seinem Vorgehen gegen Israel als Relikt aus einer vergangenen Zeit. Russland führt seit bald drei Jahren einen brutalen Angriffskrieg gegen das Nachbarland Ukraine mit weit mehr als 100 000 Toten, wird aber trotzdem von zahlreichen Staaten direkt oder indirekt unterstützt. Chinas Regime drangsaliert ethnische Minderheiten und ignoriert internationales Recht im Südchinesischen Meer, völlig ungestraft. Mit der Rückkehr Donald Trumps ins Weisse Haus werden die Isolationisten in den USA gestärkt. Die Devise der nächsten Regierung wird der «gute Deal» für ihre eigenen Interessen und nicht das internationale Recht sein. In dieser neuen Welt rufen die Juristen in Den Haag bloss ihre eigene Irrelevanz in Erinnerung.