Dienstag, März 18

Experten monieren, dass der grösste Teil der Indexavancen auf eine Handvoll Schwergewichte zurückzuführen sei. Die Hausse erfasst allerdings immer mehr Titel, wie die zunehmende Marktbreite signalisiert. Das spricht für eine Fortsetzung des Aufwärtstrends.

Die Märkte kennen derzeit kein Halten. In etwas mehr als drei Monaten ist das US-Leitbarometer S&P 500 von 4100 auf 5000 Punkte hochgeschnellt, nur um danach weiter zu steigen. Treiber der Avance sind die Tech-Schwergewichte, die unter dem Übernamen «die glorreichen Sieben» bekannt wurden und für den grössten Teil der Kursgewinne verantwortlich sind.

Während Wachstumswerte ihren Siegeszug fortsetzen, kommen defensive Branchen kaum vom Fleck. Seit Anfang Jahr mussten die als wenig konjunkturabhängig geltenden Sektoren Versorger und Grundstoffe Verluste hinnehmen, während Aktien aus den Sektoren Energie und Basiskonsum – zu Letzterem zählt etwa der Schweizer Nahrungsmittelmulti Nestlé – auf der Stelle traten.

Das Auseinanderdriften zwischen Wachstums- und defensiven Werten erinnert an die Zeit um die Jahrtausendwende, als die New-Economy-Segmente Technologie, Medien und Telecom in immer neue Sphären vorstiessen, wogegen Old-Economy-Titel aus praktisch allen anderen Branchen herbe Verluste einstecken mussten. So büssten die Valoren von Nestlé zwischen Juli 1998 und Februar 2000 fast 30% ein, während sich der Nasdaq 100 mehr als verdreifachte.

Was heute anders ist

Wiederholt sich die Geschichte also? Nicht unbedingt. Zwar stehen einzelne Segmente wie die Halbleiterwerte am Beginn einer Blasenbildung, wie der langjährige Marktbeobachter Alfons Cortés feststellt. Doch die Avance beschränkt sich nicht nur auf ein paar Highflyer aus dem IT-Bereich, sondern erfasst auch immer mehr Titel aus anderen Branchen. Im Jargon spricht man von einer zunehmenden Marktbreite.

Für eine gesunde Hausse ist eine hohe Marktbreite unabdingbar. Werden die Indizes nur noch von einigen wenigen Titeln in die Höhe getrieben, während der Rest des Marktes bereits in einer Baisse steckt, droht ein umso heftigerer Einbruch, wenn auch die «Generäle» einknicken. Eine abnehmende Marktbreite kann denn auch einen nahenden Bärenmarkt ankündigen.

Doch wie kann die Marktbreite gemessen werden, und was sagt sie derzeit aus? Das wohl geläufigste Mass ist die kumulative Advance-Decline-Linie, die von der New York Stock Exchange (NYSE) für sämtliche dort kotierten Aktien berechnet wird. Dabei wird täglich die Differenz zwischen der Anzahl steigender und derjenigen fallender Valoren ermittelt und über die Zeit aufaddiert.

Advance-Decline-Linie bestätigt Aufwärtstrend

Derzeit bewegt sich die AD-Linie im Einklang mit den US-Indizes aufwärts und zeigt damit eine gesunde Verfassung des Marktes an. Zwar hinkt sie den Indizes, die den Ausbruch auf neue Höchst bereits geschafft haben, leicht hinterher, doch es scheint nur eine Frage der Zeit, bis dies auch ihr gelingt.

Allerdings weist die AD-Linie Mängel auf. «Erfasst werden alle kotierten Aktien eines Börsenplatzes, unabhängig davon, ob es sich um Vorzugsaktien handelt oder um Doppelzählungen aus Zweitkotierungen», warnt Cortés.

Er verwendet deshalb ein eigenes Mass zur Bestimmung der Marktbreite. Vereinfacht ausgedrückt misst es, welcher Anteil der Vertreter eines Regionen-, Länder- oder Branchenindex sich in einem intakten Aufwärtstrend befindet. «In der Konsolidierung bis 19. Januar ist die Marktbreite von 61 auf 59% gefallen, sie hat sich seither aber auf 60% erholt. Die geringe Schwankung der Marktbreite ist ein sehr gutes Zeichen», sagt er.

Extremwerte sind ungesund

Cortés erachtet Werte zwischen 60 und 80% als gesund. Liegt die Zahl tiefer, werden die Indizes von wenigen Aktien getrieben und bewegen sich entweder seitwärts oder befinden sich in einer spekulativen Blase. «Letzteres ist dann der Fall, wenn nur ein bis maximal drei der elf von MSCI berechneten Sektoren ausserordentlich hohes Momentum aufweisen und ihre Gewichtung rasant ausdehnen, während die Gewichtung aller anderen Sektoren rückläufig ist, weil sie entweder schwaches Aufwärts- oder gar Abwärtsmomentum aufweisen», sagt Cotés.

Eine zu hohe Marktbreite in einzelnen Sektor- oder Länderindizes – Beispiele sind die TMT-Blase zur Jahrtausendwende oder die Blase in Japan Ende der Achtzigerjahre – sei deshalb ein Warnsignal. Derzeit macht Cortés nirgends eine Blase aus, auch bei den Halbleiterwerten nicht.

Eine Zunahme der Marktbreite beobachtet auch Daniel Haase vom Düsseldorfer Vermögensverwalter WBS Hünicke. «Der Aufschwung gewinnt erkennbar an Breite: In 58 von 65 Sektoren verbesserten sich die Daten im Januar, nur in gerade einmal sieben Sektoren verschlechterten sie sich», schreibt er in seinem jüngsten Empiria-Brief. Dabei habe die Verbesserung nicht nur grosse Aktien erfasst, sondern vor kurzem auch kleine und mittelgrosse Werte. Schwach seien einzig die Cluster China und Energie.

Small und Mid Caps sind ein guter Konjunkturseismograf

Das relative Abschneiden von Small und Mid Caps gegenüber Large Caps ist denn auch eine weitere Möglichkeit, die Marktbreite zu bestimmen. Der Vergleich ist besonders beliebt, weil kleine und mittelgrosse Unternehmen als guter Konjunkturseismograf gelten. Hinken sie den Large Caps hinterher, kann das eine Abkühlung oder gar eine Rezession signalisieren, die später auch die Leitbarometer belastet.

In den USA stehen für den Vergleich mehrere Indizes wie der Russell 2000, der die 2000 kleinsten Werte aus dem Russell 3000 enthält, oder der S&P 600 Small Cap und der S&P 400 Mid Cap zur Verfügung. Sie können Indizes mit grosskapitalisierten Papieren wie dem Russell 1000, dem S&P 500 oder dem S&P 100 gegenübergestellt werden. Bis vor kurzem hatten Small Caps das Nachsehen. Erst kürzlich zeigen sie zaghafte Anzeichen einer Trendwende:

Für Haase handelte es sich bei der Schwäche der Nebenwerte «wahrscheinlich nur um eine Korrektur in einem weiter intakten Aufwärtstrend». Solange sich seine Trendstrukturdaten Tag für Tag, Woche für Woche stetig verbesserten, bestehe kein Grund für Absicherungen. «Mögliche Rücksetzer sollten sowohl in der Dauer als auch im Umfang begrenzt bleiben und als Nachkaufgelegenheit betrachtet werden», schreibt er.

Dominanz der Large Caps brechen

Eng verwandt mit dem Vergleich von Small und Mid Caps mit Large Caps ist die Gegenüberstellung eines gleich gewichteten Index, der jede Aktie mit dem gleichen Gewicht versieht, und der geläufigen Barometer, die die Titel nach ihrer Marktkapitalisierung gewichten. Für Cortés ist das die beste Art, die Marktbreite zu bestimmen, weil so die Dominanz der Schwergewichte gebrochen wird. Zeigt die Linie aufwärts, schneidet die durchschnittliche Aktie besser ab als die Large Caps.

Derzeit präsentiert sich nicht überraschend das gleiche Bild wie beim Vergleich zwischen klein- und mittelkapitalisierten Werten und Large Caps – der gleich gewichtete S&P 500 hat Mühe, mit seinem kapitalisierungsgewichteten Pendant mitzuhalten:

«In den USA war der Markt tatsächlich stark von den Large Caps getrieben», sagt Cortés. Für ihn sind aber die globalen Daten ausschlaggebend, und «die liegen bei 60%, trotz des Einbruchs von Versorgeraktien auf nur noch 27,3%». Ohne Versorger wären es 61,8%.

Dass auch kleinere Valoren an der Hausse teilhaben, zeigt der Anteil der Aktien, deren Kurs sich über dem gleitenden Durchschnitt von 200 Tagen bewegt. Derzeit ist das bei fast 60% der über 2000 Papiere der Fall, die an der NYSE kotiert sind. Damit fällt der Wert fast gleich hoch aus wie das von Cortés ermittelte globale Mass für die Marktbreite.

Fehlen von Divergenz als positives Signal

Auch hier gilt, dass zu hohe Werte einen überkauften Markt anzeigen. So wie Ende 2020, als mehr als 80% aller NYSE-Titel über der 200-Tage-Linie handelten. Der Einbruch folgte Anfang 2022, nachdem der Anteil der Aktien im Aufwärtstrend über das Jahr 2021 stetig gesunken und schliesslich unter 40% gefallen war, wogegen die Leitindizes dank des Höhenflugs der Schwergewichte weiter zulegen konnten:

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Marktbreite derzeit zwar nicht sonderlich hoch ist. Dennoch gibt es Anzeichen einer Verbesserung, was für eine Fortsetzung der Hausse spricht. Noch deutlicher wäre das positive Signal, wenn sich klein- und mittelkapitalisierte Werte weiter erholen würden. Der Beginn eines ausgewachsenen Bärenmarktes ist höchst unwahrscheinlich, solange immer mehr Aktien am Aufschwung partizipieren. Jederzeit möglich und nicht vorhersehbar sind zeitlich und kursmässig begrenzte Korrekturen. Sie gelten als Kaufgelegenheit, solange Small und Mid Caps keinen weiteren Schwächeanfall erleiden.

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