Donnerstag, Januar 30

In Nepal schreitet der Strassenbau stetig voran. Einheimische versprechen sich davon mehr Touristen, tiefere Preise, ein besseres Leben.

Mitte Oktober mussten 1300 Touristen, die zum Everest-Basislager wandern wollten, mehrere Tage in Kathmandu und am Flugplatz von Manthali warten. Das schlechte Wetter verhinderte Flüge in die Everest-Region. Bereits im Jahr 2011 ging am Flugplatz in Lukla mehr als eine Woche lang nichts, 3000 Touristen waren dort wegen des Wetters gestrandet. Die Essensvorräte gingen zur Neige, einige Touristen versuchten mit einem Helikopter wegzukommen, andere machten sich in einem mehrtägigen Fussmarsch auf den Weg zur nächsten Strasse, um rechtzeitig ihren Heimflug zu erreichen.

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Es sind keine Einzelfälle. Immer wieder gibt es in den bei Alpinisten beliebten Touristenorten in Nepal solche Verzögerungen.

Lukla ist das Tor zur Everest-Region und der Ausgangspunkt für Expeditionen zu Mount Everest und Lhotse. Trekkings zum Everest-Basecamp oder zu den heiligen Seen von Gokyo beginnen und enden normalerweise in dem Dorf. Und: Lukla ist nur mit dem Flugzeug zu erreichen. Der Flugplatz in dem Dorf gilt als einer der gefährlichsten der Welt. Die Landebahn endet an einer Felswand, die Startbahn bricht abrupt mehrere hundert Meter tief ab.

Die Abgeschiedenheit geht ins Geld

Lukla ist ein Nadelöhr. Die Kapazitäten des Flugplatzes limitieren das Touristenaufkommen in der Everest-Region. Die Einheimischen haben es schwer, in die Hauptstadt Kathmandu zu kommen. Der Hin- und Rückflug kostet für die Einheimischen 10 500 Rupien, das sind etwa 70 Schweizerfranken. Doch Tickets sind für sie kaum zu ergattern.

Die Fluggesellschaften verkaufen sie in der Trekkingsaison im Frühjahr und Herbst bevorzugt an Touristen, die deutlich mehr bezahlen. Und vor allem ist aufgrund der Abgeschiedenheit das Leben in der Region teuer. Alles, was gebraucht wird, muss entweder mit dem Flugzeug oder von Trägern oder Mulikarawanen antransportiert werden. Ein Kilogramm Luftfracht von Kathmandu nach Lukla kostet 1,5 Dollar.

Seit wenigen Wochen führt nun eine Strasse bis Surkhe. Das Dorf liegt weniger als eine Stunde Fussmarsch unterhalb von Lukla. Anfang Januar gab Ministerpräsident Sharma Oli das letzte Teilstück für den Verkehr frei.

Unter einer Strasse darf man sich in Nepal zwar nicht zu viel vorstellen. Es ist eine unbefestigte, acht Meter breite Schotterpiste. Rund acht Stunden dauert die Fahrt von Salleri, wohin die asphaltierte Strasse aus Kathmandu führt, bis in das 64 Kilometer entfernte Surkhe. Doch die Menschen in der Everest-Region verbinden mit der Jeep-Piste viele Hoffnungen.

Die einen wollen schneller in die Städte kommen. Die anderen hoffen auf Lebensmittel und all das, was sie für ihr alltägliches Leben brauchen, zu deutlich günstigeren Preisen. Und schliesslich verbinden die Menschen mit der Strasse auch die Hoffnung, dass mehr Touristen in ihre Region kommen.

Bessere Strassen, besseres Leben

Die Piste nach Surkhe ist nur ein Beispiel. Im ganzen Land schreitet der Strassenbau mit grossen Schritten voran. Und damit die Hoffnung der Politik auf einen gesellschaftlichen Wandel. In der Erwartung auf ein besseres Leben in der Stadt verlassen viele Menschen ihre Dörfer in den Bergen. Zwei Drittel der Nepalesen leben mittlerweile in Städten, nur mehr ein Drittel auf dem Land. Das ist der Befund der jüngsten Volkszählung.

Beim Anflug auf den Flughafen der Hauptstadt Kathmandu kann man die Veränderungen erahnen. Wo sich vor wenigen Jahren noch grüne Wiesen erstreckten, stehen heute mehrstöckige Häuser. In der Hauptstadtregion, zu der auch die Städte Lalitpur und Bhaktapur gehören, wird die Landwirtschaft zugunsten von Bauland immer weiter zurückgedrängt.

5100 Einwohner werden auf einem Quadratkilometer gezählt. Zum Vergleich: In Zürich sind es etwa 4900. Gemäss Schätzungen leben im Kathmandu-Tal mittlerweile fünf Millionen Menschen, während in den Dörfern die Alten zurückbleiben. Die Hoffnung der Politiker: Mit dem Strassenbau bleiben die Menschen in ihren Dörfern.

Ramesh Pokharel stammt aus Nepal und forscht an der Universität von Toronto zu Stadtentwicklung und Verkehrsinfrastruktur. All jenen, die meinen, mit Strassen lasse sich die Abwanderung aus den Dörfern in die Städte verlangsamen oder gar stoppen, nimmt er die Illusion. Er erklärt: «Strassen werden die Abwanderung sogar noch beschleunigen.»

Weil Strassen oft alte Pfade ersetzten, die auch von Trekkingtouristen begangen würden, gebe es weniger Arbeit für Träger und Guides. Neue Wanderwege, wie der Wissenschafter empfiehlt, werden jedoch nicht erschlossen. In der Annapurna-Region sind etablierte Trekking-Routen durch den Strassenbau verlorengegangen. Am Manaslu, wo der Strassenbau ebenfalls voranschreitet, zeichnet sich die gleiche Entwicklung ab.

In der Everest-Region besteht diese Gefahr noch nicht. Die Strasse soll von Surkhe aus nur um weitere fünf Kilometer bis Chaurikharka verlängert werden, ein Dorf auf dem Weg Richtung Namche Bazaar, zum Hauptort der Everest-Region.

Die Erwartungen sind auch in touristischer Hinsicht hoch. 60 000 Touristen besuchten die Everest-Region pro Jahr. Durch die Strasse können nun mehr Menschen kommen und in der Region weitere Einkommensmöglichkeiten eröffnen. Erfüllen sich die Hoffnungen der Touristiker, sollen es schon bald 500 000 pro Jahr sein. So lässt sich auch erklären, warum sogar der Ministerpräsident zur Eröffnung der Strasse kam.

Die Einheimischen spüren bereits erste Erleichterungen. Laut einem Bericht der englischsprachigen Tageszeitung «Kathmandu Post» sinken die Preise. Gas, das Holz als Brennmaterial abgelöst hat, kostet in Surkhe statt 4000 Rupien nur mehr 2600. Der Preis für das Kilogramm Mandarinen ist von 500 auf 100 Rupien gesunken.

Jedoch kennt man am Fuss des höchsten Bergs der Welt auch die negativen Auswirkungen des Tourismus. Anfang Januar errichteten Einheimische Gebetsfahnen an den Helikopterlandeplätzen in der Region. Damit demonstrierten sie gegen kommerzielle Helikopterflüge, die Touristen für einen Tagesausflug ins Everest-Basecamp bringen und die in den vergangenen Jahren zu einem immer grösseren Ärgernis wurden. Der Fluglärm stört nicht nur die Menschen, sondern auch die Fauna in dem 1976 gegründeten Nationalpark am Fuss des Mount Everest. Doch noch überwiegen in der Region die Hoffnungen.

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