Samstag, Oktober 5

Ist eine Erbschaftssteuer sinnvoll? Und müssten wir unser Steuersystem ganz grundsätzlich umbauen, wenn wir könnten? Ein Gespräch mit der Ökonomin Monika Bütler.

Frau Bütler, wir sitzen in Ihrem Garten mitten in der Stadt Zürich – kann man sich einen solchen Garten heutzutage noch erarbeiten oder nur noch erben?

Der Garten ist nicht das Problem, eher das Haus! Wir kauften es vor sechzehn Jahren ohne Erbe, dann folgten einige harte Jahre. Mein Mann und ich haben voll gearbeitet, die Kinder waren klein, und die Hypothek für das Haus war gross. Ich sehe immer noch Leute, die ohne Erbe Wohneigentum kaufen – in der Stadt Zürich ist es fast unmöglich geworden. Die Hauseigentümerquote war in der Schweiz aber immer tief, in meiner Kindheit noch tiefer als heute. Für meine Eltern war ein eigenes Haus schon damals, auf dem Land, ein unerreichbarer Traum.

Ist Erben fair?

Das ist eine Frage der Perspektive. Ich habe eine Freundin, deren Eltern sich mit einem Gewerbebetrieb ein kleines Vermögen erarbeiteten. Die Kinder konnten es sich daher leisten, weniger zu arbeiten. Bei einer Diskussion darüber, wie der Staat eine bestimmte Aufgabe finanzieren sollte, meinte sie irgendwann: «Man müsste einfach mit den Steuern rauf . . .» Und ich sagte: «Mit der Erbschaftssteuer!?» Da explodierte sie: «Das ist Diebstahl, das ist unfair!»

Am Ende geht es darum, wie man Eigentum definiert?

Ja. Der Streit darüber, ob Erben gerecht ist, dauert schon sehr lange. Genauso wie die Diskussion über die ökonomischen Auswirkungen einer Erbschaftssteuer. Eine interessante Debatte kommt aus den USA. Da war einerseits die Eigentumsgarantie immer zentral – gleichzeitig fand man, die dynastische europäische Gesellschaft führe ins Verderben. So hatten die USA lange eine sehr hohe Erbschaftssteuer. Es wurde unterschieden zwischen selbst erarbeitetem, sogenannt gutem Wohlstand und unverdientem, weniger gutem Wohlstand. Die Frage ist, ob die Eigentumsgarantie nicht auch einschliesst, selbst zu entscheiden, was nach dem Tod mit dem Vermögen passiert.

Die Literatur ist voll von unglücklichen Erben. Wir scheinen unverdientem Geld nicht zu trauen.

Geerbtes Vermögen ist oft schneller wieder weg als erwartet – wegen Erbteilungen, wegen Besteuerung, weil die Erben nicht so erfolgreich sind wie ihre Vorfahren oder weil sie ihr Verhalten anpassen und etwa weniger arbeiten. Man spricht auch von einem Fluch der dritten Generation. Erbschaften, die über mehrere Generationen gehen, sind meist an eine Familienfirma und an einen Mechanismus gebunden, um das Vermögen zusammenzuhalten.

Vererben wir auf eine gute Art? Im Moment vererben alte Rentner an junge Rentner.

Zu diesem Zeitpunkt wird das Erbe übertragen, aber es wirkt sich ja viel früher aus. Die Erben in meinem Umfeld haben ihr Haus schon gekauft oder ihr Pensum schon reduziert, bevor sie geerbt haben. Sie wussten: Wir müssen weniger vorsorgen fürs Alter, wir können notfalls von unseren Eltern eine Bürgschaft oder einen Kredit bekommen. Das prägt.

Man verhält sich schon wie ein Erbe, bevor man einer ist? So geht die Schere auf zwischen Erben und Nichterben.

Ja, deshalb hatten die USA eine hohe Erbschaftssteuer: um die Chancengleichheit zu vergrössern. Geld ist allerdings nur eine Dimension des Erbens. Der Ökonom Milton Friedman meinte: Die angeborene Intelligenz, die Familiensituation, das Aussehen – all diese Dimensionen werden nicht besteuert. Er fragte: Wieso sollte man nur den Wohlstand besteuern? Ich finde dieses Argument gegen eine Erbschaftssteuer allerdings etwas gesucht.

Mit Geld kann man andere Dimensionen kompensieren.

Bestimmt. Aber in Ländern wie der Schweiz braucht es kein Vermögen, um gute Startchancen zu haben. Ich würde behaupten: Unsere Kinder hatten nicht wegen des Geldes gute Startchancen – als sie klein waren, mussten wir finanziell noch zirkeln –, sondern weil sie ein stimulierendes Umfeld haben, weil sie gesund sind. Das lässt sich nicht steuerlich ausgleichen.

Der Ökonom Thomas Piketty schlägt vor, dass alle mit 25 Jahren ein Erbe von 120 000 Euro bekommen sollten – so könne Chancengleichheit hergestellt werden.

Die Idee von Piketty hat etwas Bestechendes, mit 25 Jahren kommt das Geld allerdings zu spät. Falls überhaupt, müsste es vor dem Studium und den Weiterbildungen ausbezahlt werden und dürfte nur für bestimmte Dinge ausgegeben werden. Gute Schulen, insbesondere Primarschulen, und Zugang zu guter vorschulischer Betreuung sind viel grössere Hebel für Chancengleichheit als Umverteilung zu einem späteren Zeitpunkt.

Die Juso sind nicht die Ersten, die eine nationale Erbschaftssteuer fordern. Die Diskussion kehrt regelmässig zurück, aber die Ablehnung war immer gross: Letztmals ist eine Erbschaftssteuer im Jahr 2015 deutlich gescheitert.

Die Idee, dass man dem Staat mit dem Tod noch etwas schuldet, ist vielen Leuten zuwider. Man findet, auf dem erarbeiteten Vermögen schon genug Steuern bezahlt zu haben: zuerst Einkommenssteuer, dann Vermögenssteuer, auf gewissen Vermögenserträgen fallen Kapitalgewinnsteuern an. Beim Tod nochmals Vermögenssteuern zahlen zu müssen – und die Erbschaftssteuer ist nichts anderes als das –, fühlt sich unfair an.

Aber wäre es nicht fairer, Erbe zu besteuern statt Leistung?

Die Erbschaftssteuer trifft teilweise auch die, die etwas geleistet haben. Einfach erst nach dem Tod.

Okay, aber warum wird Leistung so stark besteuert?

Bei der Einkommenssteuer: weil es einfach messbar ist. Letztlich wird immer eine Leistung besteuert, manchmal einfach später und nicht immer bei der richtigen Person. Eigentlich müsste nicht Leistung besteuert werden, sondern Leistungsfähigkeit – Ihr Potenzial, wie viel Sie machen könnten. Freizeit gehört auch zur Leistungsfähigkeit, wird aber nicht besteuert. Steuern beeinflussen zudem das Verhalten der Leute, auch die Erbschaftssteuer: Wenn die Leistung beim Tod besteuert wird, kann das ein Anreiz sein, vorher weniger zu leisten und mehr zu konsumieren.

Wenn Sie unser Steuersystem neu aufbauen könnten: Wie sähe es aus?

Ich bin kein Fan von Grüne-Wiesen-Strategien. Steuern oder Transferzahlungen hängen stark von gewachsenen Werten einer Gesellschaft ab. Das Steuersystem sollte sicher so einfach und transparent wie möglich sein. Die Leistungsfähigkeit sollte in den Steuererträgen gut abgebildet werden. Und es ist besser, wenn eine möglichst breite Basis besteuert wird, dafür nicht allzu hoch.

Gibt es Länder, die es ganz anders machen als wir?

Gerade bei der Erbschaftssteuer sieht man die kulturellen Eigenheiten: Die nordischen Staaten haben keine Erbschaftssteuer, obwohl sie eine hohe Vermögenskonzentration haben, teilweise höher als in der Schweiz oder in Amerika. Dieser Vermögenskonzentration steht ein sehr grosszügiger Sozialstaat gegenüber. In vielen ärmeren Ländern ist der Staat zu wenig vertrauenswürdig, um überhaupt Steuern einziehen zu können. Tiefe Steuern sind daher oft das Resultat eines dysfunktionalen Staates.

Im Moment fehlt Geld im Schweizer Staat – dann beginnt steuertechnisch die kreative Phase. Der erste Reflex, letztmals bei der Finanzierung der 13. AHV-Rente, ist oft: Mehrwertsteuer erhöhen. Zu Recht?

Die Mehrwertsteuer ist sinnvoll, wenn sie in ein progressives Steuersystem eingebettet ist. Sie deckt alle gesellschaftlichen Schichten ab, trifft aber die tiefer Verdienenden tendenziell mehr als die Gutverdienenden. In der Schweiz ist die direkte Bundessteuer sehr progressiv – und gemeinsam mit der Mehrwertsteuer, die ebenfalls der Bund erhebt, ergibt das Sinn. Der Reflex, die Mehrwertsteuer laufend zu erhöhen, ist aber heikel. Bei uns, wo sie tief ist, lohnt es sich nicht, die Mehrwertsteuer zu hinterziehen. Wenn Sie hingegen, wie in Griechenland, eine Beiz haben und von den Einnahmen vierundzwanzig Prozent an den Staat abliefern müssen, begreife ich jeden, der ab und zu hintenrum Bargeld kassiert.

Warum müssen, wie bei der Mehrwertsteuer, eigentlich auch die Ärmsten Steuern bezahlen?

Es gibt das Argument, dass jede und jeder sich an den Kosten des Staats beteiligen soll. Das passiert in der Schweiz über die Mehrwertsteuer. Auch meine jüngsten beiden Kinder bezahlen ihre 24 Franken Kopfsteuer – ich finde das gut. Zudem führt eine möglichst breite Steuerbasis dazu, dass die Steuersätze tiefer sind und dass deswegen weniger hinterzogen wird – oder vermieden, indem man etwa weniger arbeitet.

Anders gesagt: Die Schweiz ist nicht weit weg vom idealen Steuersystem?

Ja, ich glaube, es ist ziemlich gut ausbalanciert. Ein System mit Vermögens-, Einkommens-, Kapitalgewinn- und leichter Erbschaftssteuer, die wir in vielen Kantonen ja bereits haben, ist ziemlich intelligent.

Inwiefern muss es ein Ziel von Steuerpolitik sein, die Ungleichheit zu verkleinern?

Zur Steuerpolitik gehören immer Einnahmen und Ausgaben. Sie können ein superprogressives Steuersystem haben, aber wenn Sie nachher den Reichen das Geld zurückgeben, haben Sie nichts erreicht. Die Schweiz fällt im internationalen Vergleich auf: Wir haben bei den Einkommen vor Umverteilung viel weniger Ungleichheit als andere Länder und müssen deshalb weniger umverteilen via Steuern, um die gleiche Verteilung zu erreichen. Das ist ideal.

Bei welcher Steuer wird am meisten getrickst?

Wohl bei der Vermögenssteuer – weil man Vermögen leicht verlagern kann. Verlagerung ist auch eine Möglichkeit, die Steuern zu optimieren. Zum Beispiel bei den Selbständigen: Wird die Einkommenssteuer erhöht, wird weniger als Lohn und mehr als Kapital ausbezahlt. Und umgekehrt.

Überlegen Sie sich auch persönlich: Wie kann ich meinen Garten, mein Haus weitergeben, ohne dass viel davon besteuert wird?

Nein.

Wirklich?

Da bin ich viel zu wenig reich. Ich will einfach unabhängig sein, auch im Alter nicht in finanzielle Schwierigkeiten hineingeraten. Deshalb bin ich sehr vorsichtig in der Finanzplanung. Wahrscheinlich werde ich etwas hinterlassen – aber nicht, weil ich für das Erbe der Kinder spare. Ich mache mir da keine grossen Gedanken.

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