Der französisch-libanesische Intendant und Regisseur hat die Opernwelt in Europa geprägt, dreissig Jahre lang als Opernchef in Amsterdam, zuletzt in Aix-en-Provence. In der Nacht zum 3. Mai ist Pierre Audi im Alter von 67 Jahren in Peking gestorben.
«Ich habe sehr viel mehr Erfahrung heute als vor 30 Jahren, als ich in Amsterdam anfing, aber ich lerne auch neue Dinge hier, und das ist schön!» Das sagte Pierre Audi im Interview zu Beginn seiner Intendanz beim Festival in Aix-en-Provence, das er 2019 mit Romeo Castelluccis fulminanter Inszenierung von Mozarts «Requiem» eröffnete. Mit diesem rätselhaft-faszinierenden Abend läutete er einen Paradigmenwechsel des wichtigsten französischen Klassik-Festivals ein, das zuvor als musikalisch hochwertig, aber in Sachen Regie nicht gerade als richtungsweisend galt. Seither hat sich Aix indes zum interessantesten und ambitioniertesten Festival unter den grossen Musikfestspielen entwickelt.
Auch die Anfang Juli beginnende Ausgabe dieses Jahres hat Audi noch verheissungsvoll programmiert, trotz knappem Budget. Der renommierte Theatermacher hatte also seinen Zenit noch längst nicht überschritten, sondern war mit seiner spürbaren Lust auf immer neue künstlerische Abenteuer und Impulse auf dem Gipfel seiner Möglichkeiten angelangt: als bestens vernetzte Schlüsselfigur im internationalen Musik- und Theaterbetrieb und als ein Trendsetter, der Risiken nicht scheute und der Kunst immer neue Wirkungsräume erschloss. Audis Werdegang war so wundersam und steil, wie er gleichzeitig beständig war in seinen Grundüberzeugungen.
Ein Kosmopolit
Pierre Audi wurde 1957 in Beirut als Sohn eines Bankiers geboren, die Familie übersiedelte später nach Paris. In Oxford studierte er Geschichte und versuchte sich an ersten Inszenierungen. 1979 gründete er in London das Almeida Theatre, ein experimentelles Ur- und Erstaufführungs-Theater, das alsbald für Furore sorgte. 1988 folgte sein kühnster Karrieresprung, mit gerade 30 Jahren wurde Audi zum Intendanten der Niederländischen Nationaloper in Amsterdam berufen, die er unglaubliche drei Jahrzehnte lang leiten sollte.
Es gelang ihm, das Haus an der Amstel in die erste Reihe der international führenden Opernhäuser zu katapultieren. Er inszenierte dort selbst einen Monteverdi-, einen Mozart- und einen «Ring»-Zyklus. Zudem prägte er das Profil des Hauses mit Gastengagements bedeutender Regisseure und Dirigenten. Nebenher arbeitete Audi als Regisseur an den grössten Häusern wie der New Yorker Metropolitan Opera, der Mailänder Scala, der Wiener und der Bayerischen Staatsoper. Von 2005 bis 2016 war er zudem künstlerischer Leiter des Holland-Festivals, 2016 gründete er das Opera Forward Festival als Fortschritts-Labor für die Weiterentwicklung der Gattung und war künstlerischer Leiter der Park Avenue Armory in New York.
Sein Repertoire als Regisseur entsprach dabei der weitgespannten Interessenlage des Intendanten, es reichte vom Frühbarock bis in die unmittelbare Gegenwart. Seine breiten künstlerischen und intellektuellen Interessen äusserten sich auch in einer kontinuierlichen Partnerschaft mit bildenden Künstlern wie Georg Baselitz, Anish Kapoor, William Kentridge, Jonathan Meese oder dem Architekten-Duo Herzog & De Meuron.
Oper für die Gegenwart
Er vergab zahlreiche Kompositionsaufträge, unter anderem an Tan Dun, Pascal Dusapin, Kaija Saariaho, Louis Andriessen, Alfred Schnittke, Manfred Trojahn, John Adams und György Kurtág. Und er inszenierte im Amsterdamer Gashouder eine 15-stündige Auswahl aus dem «Licht»-Zyklus von Karlheinz Stockhausen, was das Feld für eine immer noch ausstehende Gesamtaufführung des siebenteiligen Riesenwerks bereitete.
Ausserdem verantwortete er die Regie bei der Mailänder Uraufführung von György Kurtágs Beckett-Oper «Fin de Partie» und half noch jüngst seinem Intendantenkollegen Peter de Caluwe in Brüssel aus der Bredouille, als er die letzten beiden Teile des «Ring»-Zyklus von Romeo Castellucci übernahm, dessen Vorstellungen sich als rahmensprengend erwiesen hatten.
Zuletzt hielt er sich in Peking auf, um die Übernahme einer seiner Produktionen vorzubereiten, als ihn in der Nacht zum Samstag ein plötzlicher Tod ereilte. Pierre Audi war ein freundlicher Mann, der selbst in der fieberhaften Premierenwoche in Aix noch freimütig Interviews gewährte. Er redete bestimmt, aber nicht laut, seine Mimik blieb dabei unergründlich, aber er erinnerte sich noch Jahre später an Gesichter und Gespräche. Er wird dem europäischen Musiktheater fehlen.