Dienstag, April 29

Der Stromausfall in Spanien und Portugal dürfte in der Schweiz die Debatte um das Abkommen mit der EU neu anheizen.

Der Blackout in Spanien wird die Diskussion um die Sicherheit der Stromversorgung europaweit befeuern. Auch in der Schweiz. Hier dürfte das mit der EU ausgehandelte Stromabkommen nebst dem breiteren Dachvertrag etwa 2028 vor das Volk kommen.

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Die internationale Vernetzung kann die Stabilität des inländischen Stromnetzes stärken, weil es mehr Möglichkeiten zum Ausgleich von Netzschwankungen gibt. Doch die Vernetzung kann auch das Risiko von Ansteckungen erhöhen. So wurde Portugal diese Woche vom Stromausfall in Spanien angesteckt. Und 2003 stand der Ausfall einer Stromleitung in der Schweiz am Anfang einer Kaskade, die zu einem grossflächigen Stromausfall in Norditalien mit über 50 Millionen betroffenen Konsumenten führte. In diesen beiden Fällen waren die getroffenen Länder indes international relativ schwach diversifiziert. Portugal ist an der Peripherie von Westeuropa ungünstig gelegen, und Italien hing stark von wenigen Stromleitungen aus der Schweiz ab.

Vernetzung fördert Stabilität

Die Schweiz sei international deutlich stärker vernetzt als Portugal und Spanien und im Verhältnis zum Verbrauch auch stärker als Deutschland und Frankreich, betont Michael Bhend, Leiter der Sektion Netze und Europa in der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom): «Die starke internationale Vernetzung erhöht die Stabilität des inländischen Stromnetzes.» Massgebende Kriterien für das Ausmass der internationalen Vernetzung sind laut Bhend die geografische Lage, die Anzahl der grenzüberschreitenden Stromleitungen sowie die internationale Transportkapazität im Verhältnis zum inländischen Stromverbrauch. Hilfreich für die Stabilität des Schweizer Stromnetzes ist laut Bhend zudem, dass die Schweiz drei grosse Nachbarn hat und deshalb nicht von einem einzelnen Land abhängig ist.

Das Risiko von Ansteckungen aufgrund von Netzproblemen im Ausland sei stark reduziert durch die hohe Zahl von grenzüberschreitenden Verbindungsleitungen, ergänzt der Elcom-Experte: «Wir haben 41 Verbindungsleitungen. Fällt eine davon aus, gibt es potenziell viele Ausweichmöglichkeiten.» Als wesentliche Faktoren der Netzstabilität gelten zudem das Ausmass der internationalen Kooperation, das Netzmanagement, die Speicherkapazitäten sowie die Qualität und Dichte des inländischen Stromnetzes. Auch der inländische Strommix spielt eine Rolle – nicht zuletzt im Verhältnis zwischen planbarer Energie und wetterabhängiger Energie. Tendenz: je grösser der Anteil planbarer Stromproduktion, desto höher die Systemstabilität. In der Schweiz ist dies laut Bhend indes von geringerer Bedeutung als in den grösseren europäischen Staaten, weil die Importkapazität im Verhältnis zur wetterabhängigen Produktion hierzulande viel stärker ins Gewicht falle.

«Je grösser, umso stabiler»

«Je stärker die Schweiz mit dem internationalen Stromnetz vernetzt ist, desto stabiler ist die Stromversorgung, weil mit der Vernetzung die Transportkapazitäten zunehmen», sagt auch Daniel Brand, Leiter Netzbetrieb im Berner Stromkonzern BKW: «Es kommt viel öfter vor, dass wir froh sind über die Vernetzung, als dass diese zu einem Problem wird. Und wenn es zu einem Problem wird, können wir entsprechend eingreifen.»

Die nationale Netzgesellschaft Swissgrid beruhigte am Dienstag: «Ein flächendeckender, stundenlanger Stromausfall ist in der Schweiz ein sehr unwahrscheinliches Szenario. Die Schweiz verfügt über eines der stabilsten Stromnetze Europas, dank einer robusten Netzinfrastruktur, umfassenden Überwachungs- und Schutzsystemen sowie einer engen Vernetzung mit dem europäischen Verbundnetz.» Zur Bedeutung der internationalen Vernetzung verweist Swissgrid auf einen Grundsatz: «Je grösser der Verbund, umso stabiler ist das Gesamtsystem.» Denn: «Ausfälle und andere Störungen können in einer grossen Gemeinschaft leichter bewältigt werden.» Das Schweizer Stromnetz sei Teil des europäischen Verbundnetzes: «Wenn irgendwo in Europa kurzfristig weniger Strom zur Verfügung steht, können andere Länder aushelfen. So werden Schwankungen oder Ausfälle schneller ausgeglichen.»

Swissgrid hatte in der Vergangenheit wiederholt das Fehlen eines Stromabkommens mit der EU beklagt – etwa unter den Mottos «Mittendrin, aber nicht dabei» und «Das Stromabkommen erhöht die Netzstabilität». Am Dienstag bekräftigte die Netzgesellschaft, dass das Abkommen die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Europa auf allen Ebenen stärken würde – wie etwa beim technischen Betrieb des Netzes und bei der Planung der Stromflüsse.

Die Zahl der grenzüberschreitenden Leitungen und die Produktionsvolumen der EU-Länder würden mit dem Abkommen nicht zunehmen, aber «die verfügbare Import- und Exportkapazität würde durch die verbesserte Kooperation und die Vermeidung von ungeplanten Flüssen steigen», sagt der Elcom-Experte Michael Bhend: «Mit diesem Anstieg sowie der besseren Verfügbarkeit von Regelenergie steigt auch die Systemstabilität der Schweiz, weil bei Schwankungen im inländischen Netz das grenzüberschreitende Ausgleichspotenzial zunimmt.»

«An der Netzinfrastruktur würde sich mit dem EU-Abkommen nichts ändern», sagt BKW-Manager Daniel Brand: Aber bei der Benutzung der Infrastruktur könne die Schweiz ohne Abkommen nicht genügend mitreden. «Es ist wie mit den Autobahnen», ergänzt Brand: «Die gut ausgebaute Infrastruktur in der Schweiz zieht auch Verkehr aus dem Ausland an. Die Schweiz sollte dabei mitreden können, wie viele Lastwagen über unsere Stromautobahnen fahren.»

Nur kurzfristiger Ersatz?

Immerhin hatte Swissgrid 2024 nach mehrjährigen Verhandlungen mit den dreizehn EU-Ländern der Region «Core» auf technischer Ebene eine Einigung erreicht. Das führt zu einer Verstärkung der Zusammenarbeit, und die Schweiz wird damit in die Kapazitätsberechnung der EU-Länder einbezogen. Kurzfristig dient dies sozusagen als Ersatz für ein vollwertiges EU-Abkommen. Die Elcom sieht diese Vereinbarung indes nur als Übergangslösung: Die technische Einigung müsse jährlich erneuert werden, jedes einzelne der dreizehn Partnerländer könne sein Veto dagegen einlegen, in den Details der Umsetzung blieben Unsicherheiten, und die geplante Zusammenlegung der Region «Core» mit der Region Norditalien würde eine neue Vereinbarung erfordern.

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