Samstag, September 28

Nasrallah hatte sich offenbar in einem Bunker im Süden der libanesischen Hauptstadt aufgehalten, als Israel diesen mit angeblich bunkerbrechenden Projektilen beschoss. In Beirut herrscht Chaos, israelische Quellen äussern sich vorsichtig zum Hergang des Angriffs.

Es ist ein Paukenschlag im Nahen Osten, der noch nicht abzusehende Folgen für die Region haben wird: Hassan Nasrallah, der mächtige Chef der Schiitenmiliz Hizbullah, ist tot. Dies hat die israelische Armee am Samstagmorgen mitgeteilt. Überprüfen lässt sich dies nicht – der Hizbullah hat den Tod noch nicht bestätigt.

Das israelische Militär verfüge über eine Kombination von Geheimdienstinformationen, die den Tod zweifelsfrei bestätigen, sagte ein Sprecher am Samstagmittag. Weitere Details könne er nicht nennen. «Wenn wir es nicht wissen, warten wir ab und sagen, dass wir es nicht wissen», teilte der israelische Armeesprecher mit. «In diesem Fall haben wir eine Bestätigung.» Laut israelischen Angaben wurden noch weitere Hizbullah-Kommandanten getötet, unter ihnen ist auch Ali Karaki, der die Südfront kommandiert haben soll.

Am frühen Freitagabend hatte eine gewaltige Explosion Beiruts südliche Vorstadt Dahiye erschüttert. Es war die grösste Detonation in der libanesischen Hauptstadt seit Kriegsbeginn vor einem Jahr. Über der Stadt waren gigantische Rauchwolken zu sehen. Israels Armeesprecher Daniel Hagari sagte, die Luftwaffe seines Landes habe das Hauptquartier des Hizbullah angegriffen. Wenig später stellte sich heraus, dass der Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah das Ziel des Angriffs gewesen war.

Noch keine Bestätigung des Hizbullah

Offenbar hatte sich Nasrallah gemeinsam mit anderen Kommandanten in der unterirdischen Bunkeranlage befunden. Zunächst hatten mehrere iranische und libanesische Quellen gemeldet, dass der Milizenführer überlebt habe. Doch rasch gab es daran grosse Zweifel. Quellen aus israelischen Sicherheitskreisen gaben sich überzeugt, dass Nasrallah einen solch massiven Angriff nicht überlebt haben konnte.

Vonseiten der Schiitenmiliz herrscht Funkstille, was eher ungewöhnlich ist. Nach früheren Angriffen auf Dahiye hatte der Hizbullah jeweils innert weniger Stunden den Tod ihrer Kommandanten bestätigt.

Laut dem Armeesprecher Hagari befand sich das Hizbullah-Hauptquartier unterhalb mehrerer Wohngebäude in Dahiye, einem vom Hizbullah kontrollierten, schiitischen Viertel in Beirut. Videos vom Ort des Angriffs zeigen grosse Zerstörungen. Laut Berichten wurden sechs Gebäude dem Erdboden gleichgemacht. Bei den verwendeten Geschossen habe es sich um mehrere bunkerbrechende Bomben gehandelt, schreiben libanesische Medien. Verlässliche Zahlen zu Toten und Verletzten gibt es noch nicht.

Nasrallahs Tod ist ein gewaltiger Schlag

Hassan Nasrallah ist nicht nur der unbestrittene Chef des Hizbullah und der spirituelle Führer der libanesischen Schiiten. Er hat auch eine wichtige Rolle innerhalb des iranischen Milizen-Systems inne. Spätestens seit der Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani durch die Amerikaner im Jahr 2020 gilt Nasrallah hinter Ayatollah Khamenei als bedeutendster Anführer dieser selbsterklärten «Achse des Widerstands».

Seit Jahren war er nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten, sein Aufenthaltsort war stets ein gut gehütetes Geheimnis. Israel verfügte laut Militärquellen am Freitagabend über «Echtzeit-Informationen und eine operative Möglichkeit, die es uns ermöglichte, den Schlag durchzuführen.»

Nasrallahs mutmasslicher Tod ist ein harter Schlag für die Terrororganisation und dürfte auch regional unabsehbare Konsequenzen haben. Selbst wenn der Hizbullah-Chef mit dem Leben davongekommen ist, könnte der Konflikt zwischen Israel und dem Hizbullah – der sich seit knapp einer Woche zu einem offenen Krieg ausgeweitet hat – nach diesen Angriffen endgültig ausser Kontrolle geraten. Es waren die schwersten Schläge gegen Dahiye seit dem Libanonkrieg von 2006.

Israels Armeechef Herzl Halevi gab sich am Samstagmorgen kämpferisch: «Die Nachricht ist simpel: Wir werden jeden erreichen, der die Bürger Israels bedroht.»

Wie der Hizbullah auf den massiven Angriff in Beirut reagieren wird, ist völlig unklar. Bisher hatte die Miliz den israelischen Luftangriffen, die seit Tagen auf ihre Stellungen niedergehen, wenig entgegenzusetzen. Experten vermuten aber, dass der Hizbullah seine besten Waffen noch in der Hinterhand hält. In der Nacht auf Samstag und auch am Samstagmorgen feuerte die Miliz mehrere Raketen in Richtung Israel, auch solche mit höherer Reichweite. Auch aus dem von Israel besetzten Westjordanland wurde ein Einschlag gemeldet. Berichte über Verletzte gab es zunächst keine.

Auch das israelische Militär gibt keine Entwarnung. Ein Armeesprecher sagte am Samstag, der Hizbullah verfüge weiterhin über Tausende Raketen und die Möglichkeiten, diese gleichzeitig auf Israel abzuschiessen.

In der Nacht kam es derweil zu mehreren weiteren Luftschlägen Israels gegen angebliche Einrichtungen des Hizbullah in Dahiye. Nach israelischen Angaben wurden dabei mehrere unterirdische Waffenlager des Hizbullah in dem Schiitenviertel getroffen. Videos zeigen Einschläge, auf die mehrere sekundäre Explosionen folgten – was darauf hindeutet, dass sich dort Munitionslager befanden. Zuvor hatte Israel die Bewohner der betroffenen Gebiete aufgerufen, diese umgehend zu verlassen.

Wie reagiert Iran?

Ob der Hizbullah nun auch seine fortgeschrittenen Waffensysteme in grossem Masse einsetzen wird, ist ungewiss. Viele vermuten, dass auch Iran – der wichtigste Verbündete und Sponsor des Hizbullah – die libanesischen Schiiten davon abgehalten hat, ihre Feuerkraft zu erhöhen. Bisher schien Iran trotz den schweren Schlägen, die der Hizbullah hinnehmen musste, nicht geneigt, aufseiten seiner Alliierten in den Krieg gegen Israel einzugreifen.

Ob Teheran diese Position angesichts des zunehmen israelischen Drucks auf den Hizbullah durchhalten kann, ist jedoch fraglich. Iran befindet sich deutlich in der Defensive – und befürchtet offenbar weitere Schläge. Laut der Nachrichtenagentur Reuters wurde Irans oberster Führer Ayatollah Ali Khamenei am Samstag an einen sicheren Ort gebracht.

Israel und der Hizbullah fechten seit letztem Oktober einen Grenzkrieg aus, nachdem die Schiitenmiliz zur Unterstützung der Hamas in Gaza eine zweite Front eröffnet hatte. Der Krieg führte auf beiden Seiten der Grenze zu grösseren Fluchtbewegungen. Israel startete am vergangenen Montag schwere Luftangriffe gegen den Hizbullah. Dabei sind in Libanon im Verlauf dieser Woche Hunderte Menschen getötet worden. Die israelischen Angriffe gingen auch am Samstag weiter. So wurden offenbar mehrere Ziele in Südlibanon und in der weiter nördlich gelegenen Bekaa-Ebene beschossen.

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