Sonntag, November 24

Ein wildes Konzert in Zürich: Hiromi schafft etwas Eigenes, weg von den Konventionen des Jazz. Weg von der Musik, die sie bisher gespielt hat.

Kurz sitzt man in einem Technokonzert. So hört es sich an. Ein Beat und tiefe, schnelle Tonabfolgen vom Synthesizer. Rasch wird es dann aber jazzig, funkig. Der Song heisst «Sonicwonderland». Die Pianistin Hiromi Uehara, Künstlername Hiromi, sitzt, steht, hüpft auf und ab, rast wie eine besessene Organistin abwechselnd auf dem Flügel oder auf den beiden Synthesizern herum, einer steht rechts neben ihr, der andere liegt auf dem Klavier.

Es gibt keinen Halt an diesem Abend im Volkshaus Zürich. Hiromi haut auf die drei Tastaturen und dirigiert die eigens für ihr neues Album zusammengestellte Band. Der Grundton ist beschwingend, energiegeladen glücklich. Verkörpert wird er von Hiromi, die nur so von Energie strotzt. Sie schafft etwas Eigenes, weg von den Konventionen des Jazz. Weg von der Musik, die sie bisher gespielt hat.

Hiromi, 45 Jahre alt, lebt in Tokio und New York. Sie ist in Japan aufgewachsen und erhält zunächst klassischen Klavierunterricht. Als «enfant prodige» spielt sie schon mit zwölf Jahren als Solistin mit grossen Symphonieorchestern. Ihre Lehrerin öffnet ihr dann die Augen für Jazz.

Mit 17 trifft sie Chick Corea, einen der grössten Jazzpianisten unserer Zeit, und nimmt mit ihm zusammen eine Improvisation für zwei Klaviere auf. Corea, der im Jazz verschiedene Abzweigungen machte, wie etwa zum Jazzrock, und Ahmad Jamal mit seinem subtilen Fusion-Jazz, haben sie inspiriert. 1999 zieht Hiromi in die USA, wo sie am renommierten Berklee College of Music in Boston studiert.

Grosse Grimassen

Am Konzert im Volkshaus in Zürich beweist sie, dass sie inzwischen eine der grössten Jazzpianistinnen der Gegenwart ist. Es wird viel gestaunt und gelacht. Denn mit der Musik, die sie selber für ihr neues Album komponiert hat, hat Hiromi viel Neues gewagt. So spielt sie auf dem Synthesizer teilweise Melodien, die mit abgefahrenen elektronischen Klängen an Musik aus dem Spielautomaten oder den alten Gameboy erinnern. Eingängige, witzige Melodien.

Dazu zieht Hiromi dem Publikum grosse Grimassen, um dann mit ihm zusammen zu lachen, wenn etwas unerwartet Schräges in ihrer Musik stattfindet oder wenn ein Vorhalt besonders neckisch klingt.

«Sonicwonderland» ist Hiromis funkigstes Album bisher. Es ist komplett anders als ihr letztes, das zusammen mit Streichinstrumenten sehr nahe bei der klassischen Musik ist. Im ersten Song «Wanted» präsentiert sie ihr neues Quartett, ein Instrument nach dem anderen steigt ein.

Von Hiromi inspiriert, holen auch die drei mehr aus ihren Instrumenten heraus, als man erwarten würde. «Eine Platte aufzunehmen, ist wie einen Film zu drehen, und ich bin die Regisseurin, die für jede Rolle den perfekten Schauspieler sucht», sagt Hiromi. Für ihr neues Quartett, «Hiromi’s Sonicwonder», hat sie den Bassisten Hadrien Feraud, den Schlagzeuger Gene Coye und den Trompeter Adam O’Farrill gecastet.

Erschlagende Wucht

Der Schlagzeuger Gene Coye spielt mit grosser Leichtigkeit und steht im ständigen Kontakt mit Hiromi, immer humorvoll, laut und frech. Der Trompeter spielt introvertiert, in vielen chromatischen Wirrungen, aber meistens angenehm sanft. Der Bassist ist zunächst unscheinbar. Aber in der Frage-Antwort-Improvisation mit Hiromi beweist er eine erstaunliche Technik und, wohl von Hiromi angesteckt, auch viel Humor. Er spielt Akkorde, als wäre sein Bass ein Klavier, vorsichtig, überraschend.

Die Lieder mit viel Synthesizer-Anteil spielt die Gruppe überzeugend. Zwischendurch lässt die Spannung in den langen wie Big Band anmutenden experimentellen Passagen etwas nach. Hiromi fliegt über die Tasten, spielt schneller, als man gucken kann. Das macht Eindruck, aber die Schnelligkeit, die Wucht und die Lautstärke sind teilweise fast erschlagend. Neben den humoristischen, beseelten Passagen schafft sie in ihren Kompositionen auch immer wieder erfreulich melancholische, atmosphärische Momente mit langem Aufbau, die an Orchestermusik erinnern.

Und dann zeigt Hiromi, dass sie alles kann. Nach der Darbietung dieses verrückten, witzigen Albums wird es plötzlich intim. Ihre Interpretation von «Blackbird» der Beatles ist berührend kleinteilig, feinfühlig, weich. Und nicht kitschig. Ein entschleunigender Schluss, der wohltut.

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