Mittwoch, Februar 5

Die Traditionsfirma Vetropack hat am Genfersee über 100 Jahre lang Weinflaschen gefertigt. Doch vor allem Rotwein hat bei Konsumenten zunehmend einen schweren Stand. Vetropack dürfte in der Schweiz bald nichts mehr produzieren.

In Europa wird immer weniger Wein getrunken, und das schon seit über fünfzehn Jahren. Laut Erhebungen der EU schrumpfte der Weinkonsum allein von 2010 bis 2020 um fast ein Viertel. Ein Ende des Abwärtstrends ist nicht in Sicht, auch wenn Marktbeobachter in den nächsten Jahren mit einer deutlichen Verlangsamung des Konsumrückgangs rechnen.

Wenn schon, dann lieber Bier

Besonders schwer hat es der Rotwein, weil vor allem jüngere Konsumenten verstärkt auf die Gesundheit achten. Wenn sie überhaupt noch Alkohol konsumieren, trinken sie – wegen des geringeren Alkoholgehalts – lieber Bier, Weisswein oder Rosé. Insgesamt dürfte der Weinkonsum laut Prognosen der EU bis 2030 Jahr für Jahr um weitere 0,2 Prozent zurückgehen.

«Es ändert sich etwas bei den Konsumgewohnheiten», stellt auch der Chef des letzten verbliebenen Schweizer Glasflaschenherstellers Vetropack, Johann Reiter, fest. Das Traditionsunternehmen produziert seit seiner Gründung im Jahr 1911 in St-Prex mitten im Weingebiet des Genfersees Flaschen vor allem für die Weinwirtschaft. Doch die Rechnung geht für die Firma, deren Produktionsbetriebe sich mittlerweile primär in Ostmittel- und Südosteuropa befinden, an diesem Standort nicht mehr auf. Vor zweieinhalb Wochen kündigte die Geschäftsleitung an, im Rahmen eines Konsultationsverfahrens mit Vertretern der rund 180 Beschäftigten über eine Schliessung des Werks zu verhandeln.

Dritte Schliessung in der Schweiz

Reiter, der aus Österreich stammt und seit Anfang 2018 der Konzernführung von Vetropack vorsteht, will dabei keine Zeit verlieren. Das Konsultationsverfahren soll, so hat er sich vorgenommen, bis Ende März und damit bis zu den Osterfeiertagen abgeschlossen werden. Die Stilllegung der Fabrik scheint so gut wie besiegelt zu sein. Das Unternehmen plant, den Betrieb in der zweiten Hälfte dieses Jahres einzustellen. Hoffnungen auf eine Weiterbeschäftigung können sich nur wenige Angestellte machen.

Bereits vor rund dreissig Jahren hatte Vetropack ihr erstes von damals noch drei Schweizer Werken, im luzernischen Wauwil, dichtgemacht. 2002 folgte die Schliessung der Glashütte in Bülach. Geblieben ist in der Zürcher Gemeinde der Hauptsitz mitsamt der Verkaufs- und Immobilienabteilung. Er zählt 120 Angestellte.

Dass die Fabrik in St-Prex bis heute den Betrieb aufrechterhalten konnte, dürfte vor allem mit der besonderen Stellung zusammenhängen, die sie als Stammwerk geniesst. Offenbar hinderte eine gewisse Nostalgie das Management daran, den Stecker schon viel früher zu ziehen.

Bereits die Aufgabe der Produktion in Bülach vor gut zwanzig Jahren wurde, wie in der Chronik von Vetropack nachzulesen ist, mit dem «generell hohen Kostenniveau in der Schweiz» begründet. Die Standortbedingungen im Werk am Genfersee sind nicht günstiger. Sie dürften sich im Zuge der fortgesetzten Frankenstärke über die vergangenen zwei Dekaden eher noch verschlechtert haben.

Zu klein für einen effizienten Betrieb

Laut Reiter kämpft das Werk in St-Prex auch damit, stark von Exporten abhängig zu sein. Nicht alle produzierten Flaschen, gibt der Firmenchef zu bedenken, könnten in der Schweiz abgesetzt werden. Die Folge davon seien höhere Kosten wegen des zusätzlichen Transports, was sich negativ auf die Margen auswirke.

Ein weiterer Faktor, der die Produktion an diesem Standort nach Einschätzung von Reiter unwirtschaftlich macht, ist die Kleinheit des Werks. Normalerweise verfügen Fabriken für die Herstellung von Glasbehältern über mindestens zwei oder sogar drei Wannen, in denen das Glas geschmolzen wird. Dies ermöglicht Skaleneffekte in den verschiedensten Bereichen. In St-Prex ist hingegen nur eine Wanne vorhanden.

Schweizer Altglas wird weiterhin gern genommen

Obschon auch in der Schweiz der Weinkonsum rückläufig ist, liegt die Sammelquote beim Altglas in kaum einem anderen Land höher. Vorletztes Jahr erreichte sie rekordhohe 97 Prozent. Insgesamt wurden 305 000 Tonnen Altglas verwertet. Vetropack rezykliert laut eigenen Angaben allein 100 000 Tonnen in der Schweiz pro Jahr.

Das Unternehmen will auch künftig auf den Wertstoff Altglas in der Schweiz zurückgreifen. Man habe nicht vor, das bisher bezogene Volumen zu reduzieren, betont Reiter. Aus dem Schweizer Altglas sollen neu Glasbehälter in ausländischen Werken von Vetropack geformt werden. Die damit verbundenen längeren Transportwege per Bahn und Lastwagen nimmt die Firma in Kauf.

Während die letzte Produktionsstätte in der Schweiz vor der Abwicklung steht, hat der Konzern jüngst in Italien die grösste Investition in seiner Geschichte getätigt. Für das neue Werk in Boffalora sopra Ticino unweit des Mailänder Flughafens Malpensa wurden über 400 Millionen Franken ausgegeben. Dabei kam es zu erheblichen Budgetüberschreitungen. Bei der Ankündigung des Bauprojekts 2018 hatte man mit Kosten von 200 Millionen Franken gerechnet.

Für ein Unternehmen, dessen Umsatz bei 900 Millionen Franken liegt, bedeutet eine solche Investition ein Kraftakt. Und Reiter macht auch kein Hehl daraus, dass man «einige Jahre» benötigen werde, um die Aufwendungen zu amortisieren.

Anlaufschwierigkeiten in Italien

Den Verdacht, dass das Werk extra errichtet wurde, um die veraltete Schweizer Produktionsstätte zu ersetzen, weist das Management von sich. Den Ausschlag für den Neubau gaben laut Reiter vielmehr die knappen Platzverhältnisse im bisherigen italienischen Werk in Trezzano sul Naviglio, das 2015 im Rahmen einer Akquisition zu Vetropack stiess. Die Fläche beschränkte sich dort auf 90 000 Quadratmeter. Am neuen Standort, der lediglich 25 Kilometer vom bisherigen entfernt liegt, stehen dem Unternehmen 340 000 Quadratmeter zur Verfügung, und es können bis zu 70 Prozent mehr Glas produziert werden.

Noch kämpft das neue Werk, das einen hohen Automatisierungsgrad aufweist und damit neue Massstäbe im Konzernverbund von Vetropack setzt, aber mit Anlaufschwierigkeiten. Im Umfeld des Unternehmens ist auch die Rede davon, dass etliche Beschäftigte nicht bereit gewesen seien, den Umzug vom alten an den neuen Standort mitzumachen. Reiter verneint dies. Es sei gelungen, 80 Prozent der Mitarbeiter zu halten. Zugleich räumt der Firmenchef ein, dass man den Trainings- und Ausbildungsaufwand unterschätzt habe. «Wir intensivieren dies nun und gehen davon aus, dass wir das Werk in einigen Monaten dort haben werden, wo wir sein wollen.»

Italien bildet zusammen mit Frankreich die Spitze bei der Weinproduktion in Europa. Weltweit sind die beiden Länder nach den USA auch die zwei Nationen mit dem höchsten Weinkonsum. «Italien ist ein Glasland», sagt Reiter. Dies liege nicht nur am Weinbau, sondern auch an der Produktion hochwertiger Mineralwasser sowie weiterer Lebensmittel wie Passata und Olivenöl.

Beim Weinkonsum liegen Frankreich und Italien beinahe gleichauf

Weltweite Anteile in Prozent

Zugleich spürt auch Italien schmerzhaft die sinkende Nachfrage vor allem nach Rotwein. Um überschüssige Mengen vom Markt fernzuhalten, wurden im vergangenen Jahr mehrere Millionen Liter italienischen ebenso wie französischen, portugiesischen und süddeutschen Weins zu Industriealkohol verarbeitet. Zur Entschädigung der betroffenen Winzer entrichtete die EU Subventionen.

Erwartete Erholung blieb aus

Wie Vetropack im Kundenmagazin «Vetrotime» hoffnungsfroh ausführt, wurde das neue Werk in Italien gebaut, «um der steigenden Nachfrage auf dem italienischen Markt einen Schritt voraus zu sein». Vorläufig muss der Konzern indes europaweit mit einer hartnäckigen Flaute fertigwerden. Die Erwartung, dass Kunden ab Mitte vergangenen Jahres wieder mehr Glas bestellen würden, erfüllte sich nicht.

Grossen Teilen der Lebensmittelindustrie macht weiterhin die Inflation und die damit verbundene gestiegene Zurückhaltung vieler Konsumenten beim Einkauf sowie bei Restaurantbesuchen zu schaffen. Vetropack rechnet damit, dass sich die Nachfrage nach Glasverpackungen im laufenden Jahr nur langsam erholen wird. Und fügt im jüngsten Geschäftsbericht warnend hinzu: «Dies wird weiterhin zu einer deutlichen Minderauslastung unserer Kapazitäten führen.»

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