Freitag, Oktober 25

Der 62-jährige Hotelier Ernst Wyrsch sagt, die Jungen von heute seien verzogen und verweichlicht. Der 29-jährige Gastgeber Jamie Rizzi hält dagegen: «ganz im Gegenteil». Ein Generationen-Gespräch.

In Pontresina an der Delegiertenversammlung des Branchenverbands Hotelleriesuisse Graubünden (HSGR) sind sie Ende Januar aneinandergeraten: Jamie Rizzi, stellvertretender Gastgeber im Hotel Schweizerhof in Lenzerheide, und Ernst Wyrsch, HSGR-Präsident und ehemaliger Hotelier im «Belvédère» in Davos. Rizzi stürmte mit Vertretern des Netzwerks der jungen Bündner Touristiker die Bühne. Sie stellten sich gegen den Vorwurf von Wyrsch, der im Vorfeld die heutige Jugend als «verweichlicht» bezeichnet hatte.

Herr Wyrsch, die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sind Sie einverstanden?

Wyrsch: (lacht, überlegt) Grundsätzlich Ja.

Diese Aussage ist vom griechischen Philosophen Sokrates überliefert. Sie haben das Dauerthema aufgegriffen, als Sie in einem Interview mit der «Südostschweiz» die heutige Jugend als «verweichlicht» bezeichnet hatten. Meinten Sie damit Jamie Rizzi?

Nein, man darf nicht alle Jungen in einen Topf werfen. Die Aussage bezieht sich nicht auf die Hotelbranche, sondern es ist ein gesellschaftliches Phänomen. Es gibt eine Tendenz, dass viele Jugendliche verweichlicht sind.

Jamie Rizzi, sehen Sie das auch so?

Rizzi: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Die Jugend zeigt, dass sie in dieser Gesellschaft bestehen kann. Natürlich tickt sie anders als die Vorgänger-Generationen. Aber das ist normal, weil wir in einer anderen Zeit mit neuen Herausforderungen leben.

Herr Wyrsch, Sie sagen, die Jugendlichen seien falsch erzogen worden . . .

Wyrsch: Ja. Babyboomer, über 60-Jährige, und Generation X, 45- bis 60-Jährige, sind die Eltern der heutigen Jungen. Sie hatten in der Erziehung zu viel Geld und zu wenig Zeit. Aus dem Gefühl, dass man zu wenig Zeit für sie hat, versuchten die Eltern jedes Problem der Jugendlichen zu lösen. Das führte bei den Jungen nicht zu einer Widerstandsfähigkeit, sondern zu einer übersteigerten Empfindsamkeit.

Jamie Rizzi, wie sind Sie aufgewachsen?

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der unterschiedliche Meinungen am Küchentisch ausdiskutiert wurden. Ich habe früh Leistungssport betrieben. Dadurch entwickelte ich eine gewisse Selbständigkeit. Ich spreche für mich, aber meine Einschätzung von vielen Gleichaltrigen ist, dass meine Generation kritikfähig und bereit ist, einen aktiven Teil zu leisten.

Das wurde an der Delegiertenversammlung von Hotelleriesuisse Graubünden klar, als Sie zusammen mit vier weiteren Jungen aus der Branche die Bühne gestürmt hatten.

Wir wollten als Adressaten auf die Aussagen von Wyrsch reagieren. Gerade, weil er Präsident des Bündner Branchenverbands ist.

Herr Wyrsch, Sie gaben den Jungen keine Plattform, obwohl sie explizit angefragt hatten. Wie würden Sie das Programm heute gestalten, wenn die Delegiertenversammlung erst morgen wäre?

Ich würde nichts ändern. Wir hatten ein gutes Programm. Es war ein sympathischer Auftritt unter Varia der Jungen. Dass sie auf meine Aussagen im Interview reagieren, ist völlig legitim. Man muss meine Einschätzung nicht teilen. Ich will dem Netzwerk eine Plattform geben an der kommenden Vorstandssitzung im Juni. Dort können sie ihre Projekte und Einwände vorstellen.

Jamie Rizzi, Sie sagten an der Delegiertenversammlung, dass die Generationen zusammenstehen müssen. Das ist doch typisch: Die Jungen von heute scheuen den Konflikt.

Wir suchen nicht den Konflikt, wir suchen Lösungen. Der Tourismus lebt von allen Generationen, und die müssen zusammenarbeiten. Es geht nicht um Babyboomer gegen Generation Z in der Hotellerie.

Ernst Wyrsch, Sie haben es anders formuliert. Sie sagten, es sei wunderbar, wenn sich die Generationen reiben.

Ich bin insofern mit Jamie Rizzi einig, dass wir aufeinander zugehen müssen. Das kann man erreichen, indem man etwas provoziert. Aber mir geht es nicht um die Provokation als solche, sondern darum, die Unterschiede zwischen den Generationen auszudiskutieren. Wir Babyboomer sind uns bewusst, dass wir ein Auslaufmodell sind und die Jungen übernehmen.

Jamie Rizzi, wie zeigen sich die Unterschiede zwischen den Generationen im Hotel Schweizerhof in Lenzerheide?

Rizzi: Ich sehe die Unterschiede zwischen den Generationen nicht als entscheidend an. Im «Schweizerhof» ist es vielmehr ein gesellschaftlicher Wandel, der sich zeigt. Unsere Mitarbeitenden gewichten die Vereinbarkeit von Freizeit und Beruf heute stärker als früher. Damals wurden materielle Anreize höher priorisiert, heute ist die Sinnhaftigkeit der Arbeit entscheidend.

Ist es heute noch angebracht, eine Speisekarte ohne veganes Menu zu führen?

Rizzi: Das ist ein Entscheid, den jedes Unternehmen selber treffen muss. Wenn man kein veganes Menu anbietet, obwohl es gewünscht wäre, läuft man Gefahr, einen Teil der Gäste zu verlieren.

Wyrsch: Es kommt darauf an. Der Hotelier muss auf die Gäste hören. Ist ein veganes Gericht ausreichend, oder braucht es sogar eine attraktive Veganer-Küche?

In der Hotellerie herrscht Personalmangel, viele Lehrstellen können nicht besetzt werden. Woran liegt das?

Wyrsch: Wir haben in der Hotellerie ein paar technische Probleme. Am Morgen, am Abend und an Wochenenden zu arbeiten, ist nicht für alle attraktiv. Gerade die Generation Z wertet den Freundeskreis und das persönliche Umfeld höher als ihre Vorgänger. Aber es liegt auch an der Betriebsführung. Es gibt Hotels, die fast keine Probleme haben, Mitarbeitende zu finden. Dann gibt es im gleichen Ort, zehn Meter daneben, Gaststuben, die müssen die Küche schliessen, weil sie zu wenig Mitarbeitende finden.

Liegt es nicht am tiefen Lohn in der Branche? Ein 20- bis 29-Jähriger verdient im Median in der Hotelbranche 3600 Franken pro Monat.

Wyrsch: Wir sind eine Exportindustrie, die in Konkurrenz mit dem Ausland steht. Beim Lohn sind uns deswegen die Hände gebunden. Aber die erfolgreichen Hotels bezahlen in der Regel höhere Löhne, indem sie die Preise erhöhen. Da müssen wir mutig weitermachen. Ein Preiskampf würde der Hotellerie und den Mitarbeitenden schaden.

Hier im Hotel Stern, wo das Gespräch stattfindet, sind die Preise und die Entlöhnung des Personals am Sonntag höher. Ist das der richtige Ansatz?

Wyrsch: An einem Standort wie Chur, wo an einem Sonntagmittag viele Restaurants geschlossen sind, ist es eine sinnvolle Massnahme. Aber als flächendeckende Aktion für die Hotellerie sehe ich das nicht.

Rizzi: In Saisonbetrieben, wie wir ihn auf der Lenzerheide haben, sehe ich es ebenfalls nicht als geeignete Lösung gegen den Arbeitskräftemangel.

Ist es noch zeitgemäss, dass Lernende in der Hotellerie drei Wochenenden im Monat arbeiten?

Rizzi: Wir müssen die alten Arbeitsmodelle infrage stellen, weil es neue Bedürfnisse gibt. Zum Beispiel ist der Wunsch gross, Teilzeit zu arbeiten. Das müssen wir als Chance sehen. Wo kannst du sonst als Mutter 20 Prozent am Abend von 18 bis 22 Uhr in einem Büro arbeiten?

Wyrsch: Wir müssen flexiblere Arbeitsmodelle schaffen. Lernende sollen dosiert an Schichten herangeführt werden. So, dass sie nicht jeden Abend und jedes Wochenende arbeiten müssen. Das erlaubt es ihnen, ihr gewohntes Umfeld zu pflegen.

Jamie Rizzi, eines Tages werden Sie vielleicht selber ein Hotel führen. Würden Sie die Viertagewoche einführen?

Ob die Viertagewoche passt, findet man nur heraus, indem man mit den Mitarbeitenden spricht. Das haben wir im «Schweizerhof» gemacht. Unser Küchenteam ist zum Schluss gekommen, dass im Moment die Viertagewoche nicht die richtige Lösung für sie ist. Genau gleich ist es beim Zimmerstundenmodell, in dem die Mitarbeitenden zwischen Mittag und Nachmittag frei haben. Unser Sous-Chef sagt, er bevorzuge dieses Modell, andere wiederum nicht. Es braucht individuelle Lösungen.

Herr Wyrsch, wie sollte die Hierarchie in einem Hotel sein?

Flach. Die Führungskraft muss die Einstellung haben: «Ich bin die Person, welche die Mitarbeitenden starkmacht.» Das ist moderne Führung. Selbst Babyboomer wollen nicht mit alten Methoden geführt werden.

In der Hotelküche fliegen die Pfannen, wenn die Sauce versalzen ist.

Rizzi: Die Zeit der fliegenden Pfannen ist definitiv vorbei. Natürlich hat man Druckphasen in der Küche, gerade dann, wenn der Service die Gerichte serviert. Aber mittlerweile ist es eine gut geführte Abteilung wie alle anderen auch.

Wyrsch: Es gibt nur noch ganz wenige Küchen, die so geführt werden. Gerade die jungen Küchenchefs haben einen neuen Führungsstil. Es geht immer noch heiss zu und her in der Küche, aber in einem wertschätzenden Umgangston.

Wer ist schuld, wenn ein Betrieb keine Lernenden findet?

Rizzi: Für mich ist es keine Schuldfrage. Der demografische Wandel ist eine Tatsache. Um die Lehre attraktiver zu gestalten, müssen wir weg von der reinen Berufslehre und gesamtheitlich für eine berufliche Laufbahn ausbilden. Eine Koch-Lernende muss nach der Ausbildung nicht 40 Jahre lang als Köchin arbeiten. Ihr stehen viele spannende Berufe offen.

Wyrsch: Dem stimme ich zu. Neben dem demografischen Wandel sehe ich den Wohlstand der Gesellschaft als mitverantwortlich. Dadurch sind die Menschen wählerischer geworden. Die Jungen wollen lieber Influencer als Chef de Service werden. Sie wollen mit möglichst wenig Aufwand viel Geld verdienen. Das macht es für uns Hoteliers schwieriger, Mitarbeitende zu finden.

Wir kommen zur Schlussrunde: Ernst Wyrsch, was konnten Sie von Jamie Rizzi und seiner Generation lernen?

Mir gefallen die eigenständigen, reifen Analysen seiner Generation. Generation Z und Y sagen, was ihnen passt und was nicht. Das finde ich gut. Trotzdem liegen wir bei gewissen Themen auseinander. Ich kann nicht denken wie er und er nicht wie ich.

Jamie Rizzi, was nehmen Sie mit aus diesem Gespräch?

Wir sind uns uneins in der Analyse der Ausgangslage, aber es ist schön zu sehen, dass wir den gleichen Weg für die Zukunft sehen.

Vom Torhüter zum Gastgeber

Jamie Rizzi (29) ist seit vergangenem Jahr stellvertretender Gastgeber im Hotel Schweizerhof in Lenzerheide. Den Einstieg in die Hotellerie machte er mit 22 Jahren, als er im Service im «Schweizerhof» begann. Er studierte Tourismus an der Fachhochschule Graubünden und hütete das Tor der U-18-Auswahl des Liechtensteinischen Fussballverbands. (nay)

Vom Hotelier zum Lebenscoach

Ernst Wyrsch (62) hatte 15 Jahre lang zusammen mit seiner Frau Sylvia Wyrsch das Steigenberger Grand-Hotel Belvédère in Davos geführt. 2011 machte er sich selbständig und gründete seine eigene Beratungsfirma. Gleichzeitig begann er an der St. Galler Business School zum Thema Führung zu unterrichten. Er ist seit 2013 Präsident von Hotelleriesuisse Graubünden. (nay)

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