Mittwoch, Oktober 9

Die Linke will Gelder von der zweiten in die erste Säule umschichten. Doch ein Leistungsvergleich zeigt: Künftig gerät die AHV immer mehr ins Hintertreffen.

Die Jungsozialisten haben mit ihrer Initiative für eine Erbschaftssteuer für Aufsehen gesorgt: 50 Prozent ihres Vermögens sollen reiche Erben dem Staat abliefern. Nicht weniger radikal allerdings sind ihre Pläne bei der Altersvorsorge: Sie wollen die zweite und die dritte Säule komplett abschaffen.

An der jüngsten Jahresversammlung haben die Juso eine Resolution unter dem Titel «Auf zur Volkspension» verabschiedet. Alle Rentner sollen in der AHV eine Mindestrente von 5000 Franken erhalten. «Allein schon mit der Überführung der gesamten Pensionskassenvermögen von rund 1000 Milliarden Franken in die erste Säule sollte die Finanzierung der Volkspension zu guten Teilen gedeckt werden», heisst es im Beschluss.

«Wir müssen unsere heutige Altersvorsorge grundlegend überdenken», erklärt die Juso-Präsidentin Mirjam Hostetmann. «Vor allem wollen wir verhindern, dass weiterhin viele Milliarden in die Finanzindustrie abfliessen. Diese Anlagen sind krisenanfällig und zwingen die Bevölkerung, sich am Casino der Finanzspekulation zu beteiligen.» Im Gegensatz dazu ermögliche die AHV eine solidarische und gerechte Vorsorge.

Die Volkspension ist eine traditionelle Forderung der Linken. Die Partei der Arbeit wollte sie mit einer Volksinitiative einführen, welche 1972 an der Urne jedoch scheiterte. Stattdessen entschied sich das Volk für das heutige Drei-Säulen-System mit AHV, beruflicher sowie privater Vorsorge. Dennoch geht das Seilziehen weiter. Auch die kommende Abstimmung zur BVG-Reform dreht sich letztlich um die Frage, wer mehr Geld erhalten soll: die erste oder die zweite Säule.

Zwar geben sich SP und Gewerkschaften moderater als die Juso: Eine Abschaffung der Pensionskassen steht nicht auf ihrem Programm. Sie begnügen sich mit der Forderung, man müsse die AHV auch nach Einführung der 13. Rente weiter ausbauen. Die erste Säule sei die «nachhaltigste Form der Altersvorsorge», argumentieren sie, zudem habe sie «das beste Preis-Leistungs-Verhältnis». Die SP-Vordenkerin Jacqueline Badran hat den Vorschlag lanciert, «ein paar Lohnprozente» von den Pensionskassen in die AHV umzuschichten – womit sich gar eine 14. Rente finanzieren liesse.

Die «biologische Rendite» sinkt

Die AHV geniesst eine enorme Popularität. Doch ist sie der zweiten Säule tatsächlich überlegen, wie es linke Politiker gerne darstellen? Diese Frage hat der Vorsorgespezialist Roger Baumann, Gründer der Beratungsfirma C-alm sowie Hochschuldozent, untersucht. In einem Leistungsvergleich stellt er fest, dass sich die beiden Säulen seit der Gründung der AHV 1948 ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert haben. Beide haben im Schnitt eine jährliche Nettorendite nach Kosten von 2,6 Prozent erzielt (vgl. Grafik). Für die Zeit bis zur Einführung des BVG-Obligatoriums 1985 stützt sich die Rechnung auf Näherungswerte.

Bei der beruflichen Vorsorge bestimmen die Erträge an den Finanzmärkten, wie hoch die Rendite ausfällt. Dagegen sind es bei der AHV die Lohnabzüge der aktiven Bevölkerung, welche die Renten finanzieren. Dieser Betrag ist umso höher, je mehr Menschen erwerbstätig sind und je mehr sie verdienen. Ökonomen sprechen daher von der «biologischen Rendite».

Was die Grafik verdeutlicht: Ihre beste Phase hatte die AHV bis in die 1980er Jahre, als ihre Rendite doppelt so hoch lag wie bei der zweiten Säule. «Das Sozialwerk profitierte vom grossen Aufschwung nach dem Krieg und dem Eintritt der Babyboomer ins Erwerbsleben», erklärt Baumann. Danach flachte die Rendite deutlich ab, wobei die Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt sowie die kräftige Zuwanderung durch Ausländer weiter für ein wachsendes Lohnvolumen sorgten.

Umgekehrt verlief die Entwicklung an den Finanzmärkten: Nach einer Baisse in den 1970er Jahren haben sie in letzter Zeit die klar bessere Rendite erwirtschaftet. «Dieser Vorteil zugunsten der zweiten Säule wird sich auch in Zukunft zeigen», ist Baumann überzeugt. Denn der demografische Rückenwind der letzten Jahrzehnte hat gedreht. Konkret erwartet der Ökonom, dass die «biologische Rendite» auf etwa 1 Prozent sinkt, während er für die Kapitalanlagen der Pensionskassen mit einer Nettorendite von gut 2 Prozent rechnet.

Lohnabzüge müssten stark steigen

Der St. Galler Volkswirtschaftsprofessor Reto Föllmi geht ebenfalls davon aus, dass die AHV künftig stärker zurückfällt. «Deshalb wäre es geradezu desaströs, würden wir die zweite Säule aufgeben.» Ohne die Erträge der Pensionskassen müssten die Lohnabzüge für die Altersvorsorge stark steigen, betont er. «Das würde all jene Personen bestrafen, die sich im Erwerbsleben engagieren. Doch wenn die Arbeit an Attraktivität verliert, so schadet das unmittelbar auch der AHV, weil deren Einnahmen wegfallen.»

Föllmi erwähnt einen weiteren Vorteil der beruflichen Vorsorge: «Der Aktienbesitz ist dadurch breiter verteilt und konzentriert sich nicht auf wenige Reiche – das müsste eigentlich einem urlinken Anliegen entsprechen.» Laut einer Berechnung der Organisation für das Schweizer Asset-Management haben die Pensionskassen allein im letzten Jahr einen Nettoanlageertrag von 58 Milliarden Franken erwirtschaftet. Über zwanzig Jahre summieren sich die gesamten Gewinne gar auf über 500 Milliarden.

Angesichts dieser üppigen Einnahmen mag es verwundern, dass unter den linken Parteien gleichwohl eine tiefe Aversion gegen die zweite Säule herrscht. Dahinter steckt einerseits ein grundsätzlicher Argwohn gegenüber den Finanzmärkten. Hinzu kommt aber ein zweiter Faktor: In der beruflichen Vorsorge spart jeder für sich selbst, während bei der AHV eine starke Umverteilung stattfindet.

Um welche Summen es dabei geht, zeigen die Berechnungen des St. Galler AHV-Experten Andreas Zeller. Am Beispiel einer alleinstehenden Person mit einem durchschnittlichen Jahreslohn von 63 000 Franken: Bis zur Pensionierung musste sie 120 000 Franken in die AHV einzahlen. Umgekehrt aber bekommt sie bei einer mittleren Lebenserwartung 760 000 Franken Rente aus der ersten Säule vergütet. «Für Leute mit einem eher tiefen Lohn gilt somit: Pro bezahltem Beitragsfranken erhält man bis zu 6 Rentenfranken, für welche die aktive Erwerbsbevölkerung aufkommen muss», erklärt Zeller.

AHV als Einkommenssteuer

Die Kehrseite dieser Umverteilung: Nach oben ist die AHV-Rente begrenzt – bei 2450 Franken für Alleinstehende beziehungsweise 3675 Franken für Ehepaare ist Schluss. Von den Verheirateten in der Schweiz haben 88 Prozent eine plafonierte Rente. Das heisst, sie könnten auch weniger arbeiten, ohne dass ihr Einkommen aus der ersten Säule sinkt. «Aus diesem Grund entspricht die AHV für Leute mit höherem Einkommen einer stark progressiven Einkommenssteuer», so Zeller, «was international eine Ausnahme darstellt.» In Deutschland fallen die Lohnabzüge für die Rentenversicherung mit 18,6 Prozent zwar doppelt so hoch aus wie bei der AHV. Dafür unterliegen nur Monatslöhne bis 7500 Euro einer Beitragspflicht.

«Dass die AHV für Leute mit geringem Einkommen enorme Vorteile hat, ist unbestritten», sagt Roger Baumann. «Doch ebenso hätte es für den Mittelstand dramatische Folgen, wenn die zweite Säule geschwächt oder ganz eingestellt würde.» Denn, so hebt der Vorsorgeexperte hervor, auch bei der beruflichen Vorsorge spiele die Solidarität eine entscheidende Rolle, nämlich beim Tragen des Anlagerisikos: «Im Gegensatz zu Geldern, die ich privat an der Börse anlege, profitiert mein PK-Guthaben von einem Kapitalschutz. Fällt meine Pensionierung also zufällig in eine Börsenbaisse, dann erleide ich dank den angehäuften Reserven trotzdem keine Einbussen.»

Dieser Faktor sei von grosser Bedeutung: Durch die Bündelung der Ersparnisse in einer Pensionskasse könnten auch Kleinanleger mit den Reichen mithalten: «Jemand, der lediglich ein paar Zehntausend Franken auf der Seite hat, schreckt davon zurück, einen grossen Teil davon in Aktien zu halten. Ohne zweite Säule aber wären die Leute gezwungen, solche Investments auf eigenes Risiko zu tätigen.»

Pikanterweise versucht Deutschland verzweifelt, eine sogenannte Aktienrente aufzubauen. Bis heute läuft die Altersvorsorge primär über eine – stark defizitäre – Volkspension. Diese kostet den Staat jährliche Zuschüsse von über 100 Milliarden Euro. Bis in zehn Jahren, so hofft die Regierung nun, soll die neue zweite Säule ein Volumen von 200 Milliarden Euro erreichen – was einem Bruchteil der über 1000 Milliarden in der Schweiz entsprechen würde. Um einen solchen Kapitalstock aufzubauen, braucht es Jahrzehnte. Plündern dagegen lässt sich der Vorrat im Nu.

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