Sonntag, November 24

In «Siebte Etage», dem neuen «Tatort» aus Köln, hat sich das Opfer weitherum unbeliebt gemacht, der Kreis der Verdächtigen ist gross. Aber der Film interessiert sich mehr für das Milieu als für den Mörder.

Vor einem Hochhaus liegt ein Toter. Sieben Stockwerke höher steht ein Fenster offen. Es war Mord und kein Selbstmord, das steht für die Kölner Kripo gleich fest. Das Opfer, Malik Zeman (Mehdi Salim) arbeitete als Haustechniker im Eroscenter, und damit hat der neue «Tatort» seinen Schauplatz gefunden. Als Täterinnen kommen die Frauen des Hauses infrage – drei Sexarbeiterinnen (Jasmin Backes, Maddy Forst, Senita Huskić), eine Nagelstudiobesitzerin (Sabrina Setlur) und eine Friseurin (Nuriye Jendrossek).

Aber eigentlich hätte es jeder und jede sein können, der oder die Malik kannte. Denn er war allgemein verhasst, und «wahrscheinlich hatte Gott einen schlechten Tag, als seine Eltern ihn gemacht haben», wie eine der Verdächtigen erklärt. Ein paar Videoclips, die der Haustechniker in einer Kumpel-Chatgruppe postet, skizzieren ihn als aggressiven Frauenhasser und Liebhaber unterster Sprachebenen. Insgesamt ist der neue «Tatort» Freunden gehobener Wortwahl nicht zu empfehlen. Auch räumt er mögliche Sympathien für das Opfer zügig aus dem Weg.

Unterdessen machen sich die Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) auf Tätersuche. Im Grunde aber wird der Mordfall zum Vorwand genommen, um sich eingehend im Rotlichtmilieu umzuschauen. Der Film ist auch wirklich ganz dicht dran, denn zu grossen Teilen wurde in einem Kölner Eroscenter gefilmt, während in den unteren Etagen der Betrieb weiterging und die Freier dem «Tatort»-Team im Aufzug und in den Korridoren über den Weg liefen.

Sprechende Köpfe

Irgendwann geben die weiblichen Hauptfiguren ihre Lebensgeschichte mit direktem Blick in die Kamera preis und durchbrechen damit die sogenannte «vierte Wand» des filmischen Erzählens. Sie schauen und sprechen uns direkt an – wir, die Zuschauer, sind gemeint. Dieses selten gebrauchte Stilmittel erinnert an klassische Einstellungen in Dokumentationen und Fernsehdiskussionen mit ihren «sprechenden Köpfen» in Nahaufnahme.

Dieser «Tatort» wäre am liebsten selbst ein Dokumentarfilm: Eine Geschichte voranzutreiben, wird zur Nebensache. Viel lieber kümmert er sich um das Milieu und die Besonderheiten des «ältesten Gewerbes der Welt», das auch eines der ältesten Themen der Kinogeschichte ist. Traditionsgemäss haftet ihm im Film bis heute der Ruf des Aussergewöhnlichen, Obszönen oder Unmoralischen an – und hat fast immer mit Kriminalität zu tun.

So ist es auch hier. Die Parallelwelt des Rotlichtmilieus wird mit Abscheu, aber auch mit einer gewissen Faszination betrachtet: Die Frauen im Laufhaus sind entweder schön oder charismatisch. Jedenfalls gehört ihnen der Film und die Sympathie derer, die ihn gemacht (Regie: Hüseyin Tabak) und dafür laut Presseangaben lange recherchiert haben (Drehbuch: Eva Zahn, Volker A. Zahn).

Grosse Lügen

Der Film ergreift leidenschaftlich Partei für die Prostituierten. Sie werden als an ihrer Tätigkeit schwer Leidende porträtiert. Man könnte auch sagen: als Opfer. Die einen als Leidtragende der Gewalt anderer, die anderen beschädigt durch ihre eigenen Illusionen. Der Statement-Charakter von «Siebte Etage» ist ein Problem. Er übertreibt – und geht bis an die Grenze der Peinlichkeit.

Eine der Frauen spricht etwa in die Kamera: «Wenn ich eine Wohnung will, dann muss ich lügen. Wenn ich mit meinen Söhnen in die Schule gehe, muss ich lügen . . . Ich belüge meinen Körper, damit er durchhält. Ich belüge meine Seele, damit ich nicht andauernd weine. Ich belüge die Männer, die über und in mir sind.» Man hat es dann an sich schon begriffen. Aber sie holt noch zum Finale aus: «Es ist nicht meine Vagina, die schmerzt, es ist die Lüge.» Damit weiss man alles, was man über diesen «Tatort» wissen muss.

«Tatort» aus Köln: «Siebte Etage». Sonntag, 20.05/20.15 Uhr, SRF 1 / ARD.

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