Sonntag, September 8

An der Elbphilharmonie werden Chancen und Grenzen von künstlicher Intelligenz und deren Einsatzmöglichkeiten im Musikbetrieb diskutiert. Noch wiegt sich die Branche in Sicherheit und glaubt, dass menschengemachte Musik der KI auf Dauer überlegen ist.

Mitte Februar hat Sora weltweit für Furore gesorgt. Die neue Anwendung des amerikanischen Unternehmens Open AI erstellt anhand von kurzen Textbefehlen fotorealistische Videos: von Menschen, Tieren, Städten oder Phantasiewelten, alles täuschend echt und beinahe fehlerfrei. Eine gleichermassen beeindruckende wie durchaus auch beunruhigende Demonstration dessen, was eine künstliche Intelligenz, kurz KI, gegenwärtig zu leisten – und uns vorzugaukeln – imstande ist.

Schon lange vor der Präsentation von Sora hatten die Hamburger Körber-Stiftung und die benachbarte Elbphilharmonie genau dieses Thema – Chancen, Grenzen und Gefahren der KI – ins Zentrum eines Symposiums gerückt, das nun bereits zum neunten Mal stattfand. Dabei sollte es diesmal auch um die künftige Rolle von Konzerthäusern in einer durch und durch technisierten Gesellschaft gehen. Die Veranstaltungsreihe versteht sich nicht als reine Fachtagung der Musikbranche, sondern als Ideenaustausch, der gezielt durch spannende Aussenperspektiven bereichert werden soll. Dafür sorgte unter anderem die Datenethikerin Sandra Wachter, Professorin am Oxford Internet Institute.

Wohltuend entzaubert

Klar und prägnant umriss Wachter mit ihrem Impulsvortrag die Möglichkeiten der generativen KI, die selbst Kunstwerke wie ein Rembrandt-Gemälde imitieren kann, benannte aber auch deren Risiken und Nachteile. Etwa, dass diese Maschinen mittlerweile mehr zum Klimawandel beitrügen als der Flugverkehr. Ferner verwies sie auf die mangelnde juristische Regulierung im Hinblick auf die Rechte an den von der KI verwendeten Daten und Vorlagen und kam schliesslich auf die gravierenden inhaltlichen Schwächen des Systems zu sprechen.

Eine KI sei nämlich – ein verbreiteter Denkfehler – keineswegs auf die Suche nach Wahrheit getrimmt, so Wachter. Mit ihren statistischen Methoden könne sie nicht zwischen Realität und Fiktion unterscheiden und fabriziere daher oft – wenn es etwa um Texte geht – plausibel klingende Falschinformationen, sogenannte Halluzinationen. Deshalb solle man sie am besten behandeln wie einen «schlampigen, unzuverlässigen Mitarbeiter», dem man «immer über die Schulter schauen» müsse. Mit diesem griffigen Bild hatte Wachter das Phänomen und mehr noch den blinden Glauben an die Leistungsfähigkeit der KI erst einmal wohltuend entzaubert.

Dass die KI gleichwohl schon jetzt eine Bereicherung sein kann, auch für kreative Prozesse, belegten mehrere Fallbeispiele aus der Musikpraxis. Als Mitorganisatorin eines internationalen Musikwettbewerbs («AI Song Contest»), der seit 2020 einmal pro Jahr die beste Koproduktion von Mensch und KI kürt, hat etwa die Medienforscherin Rebecca Leger vom Fraunhofer-Institut einen breiten Überblick über aktuelle Trends. Dazu gehört beispielsweise, Elemente aus der traditionellen Volksmusik mithilfe der KI in moderne Klangwelten zu integrieren.

So etwa bei der galizischen Band Pamp!, deren KI-Folk Rebecca Leger ebenso mit einem kurzen Videoclip vorstellte wie die Ideen des in Bangkok gebürtigen Kulturtechnologen und Komponisten Yaboi Hanoi. Er hat die Melodien der Pi Nai, einem Holzblasinstrument aus Thailand, durch ein KI-Tool auf verschiedene Instrumente der westlichen Tradition übertragen. Faszinierend zu hören und zu sehen, welche klanglichen Möglichkeiten eine intelligente Nutzung der KI auf diese Weise erschliesst und wie sie die Ausdruckspalette der Musik unmittelbar bereichern kann.

Ein weiteres Beispiel präsentierten der Rapper Sebó und Oscar Whyman vom Jugendkunsthaus Esche in Hamburg. Whyman, ein junger Mann, der als Folge einer seltenen Muskelerkrankung im Rollstuhl sitzt und beatmet wird, artikuliert sich über einen Sprachcomputer. Er sei ein grosser Rap-Fan, bekannte Whyman, aber selber zu rappen, mit dieser Computerstimme, erschien ihm schwierig. Bis er im Rahmen des Workshops «Word up!» einen eigenen Song schreiben und produzieren konnte. Nachdem sein Coach Sebó den Text eingerappt hatte, übertrug die KI den Klang von Whymans Computerstimme auf den Sprechgesang. So entstand der Song «Vorbei», der sich mit Themen wie Verlust und dem Kampf um sich selbst auseinandersetzt. Das Resultat klingt überzeugend, es groovt – und es berührt.

Plastik-Pathos

Wie realitätsnah die Rechenmodelle der künstlichen Intelligenz mittlerweile den Ton bestimmter Musikgenres kalkulieren und nachahmen können, verdeutlichte Stefan Göllner, Innovations-Manager beim KI-Campus im Stifterverband. Göllner hatte ein KI-Programm mit einem Text zum Symposium und der Vorgabe «tanzbarer Song» gefüttert. Der daraus generierte Titel («Sound of Education») wies durchaus Ohrwurmqualität auf, obwohl die Maschine nur eine Minute gebraucht hatte, um das Stück auszuspucken. Dagegen klang ein vom selben Programm errechneter Beitrag zur Rubrik «Opernarie» noch stark nach Plastik-Pathos. Je komplexer die Strukturen eines musikalischen Stils, desto schwerer scheint es für die KI, sie zu erfassen und daraus statistische Vorhersagen abzuleiten.

Das erlebten die Kongressbesucher schon am ersten Abend. Ein kurzer Duo-Auftritt in der Halle 424 im Hamburger Oberhafen führte Asya Fateyeva, eine Saxofonistin aus Fleisch und Blut, und einen KI-gesteuerten Flügel zusammen, den der Musikforscher Sebastian Trump via Laptop mit Informationen versorgt hatte. Das Ziel war eine gemeinsame Improvisation von Mensch und Maschine. Doch Letztere schien das zu überfordern. Eine stimmige Reaktion auf Fateyevas tönende Dialogangebote war vonseiten der KI nur in einem der kurzen Stücke zu spüren. Sonst wirkten die Einwürfe des Klaviers weitgehend zufällig und kleinteilig, ohne erkennbaren Zusammenhang mit den Motiven des Saxofons.

Manchen mag das beruhigen. Noch muss man, Stand heute, offenkundig nicht befürchten, dass menschengemachte «echte» Musik sehr bald durch künstlich generierte Alternativen ersetzt werden kann. Diese Ansicht vertrat auch der Intendant der Elbphilharmonie, Christoph Lieben-Seutter, in einer Diskussion mit dem Politik- und Wirtschaftswissenschafter Ayad al-Ani vom Einstein Center Digital Future in Berlin.

Al-Ani äusserte sich skeptisch über die Zukunftsaussichten des traditionellen klassischen Konzerts. Auch weil es dort wenig Interaktion gebe und die Besucher sich überwiegend passiv verhielten. Wie bereichernd es sein kann, sich mit anderen Menschen in einem Raum in ein Hörerlebnis zu versenken, der Musik zu folgen und dabei auch ohne äusserliche Interaktion eine Verbindung zu spüren – diese Erfahrung ist al-Ani offenbar noch nicht zuteilgeworden. Lieben-Seutter widersprach denn auch dessen Prognose vehement und benannte die Abwesenheit von digitalen Medien während eines Konzerts ausdrücklich als Vorteil. Man könne für zwei Stunden offline sein, durchatmen, sich inspirieren lassen, durch die Musik eine transzendente Erfahrung machen – oder einfach auch einmal einschlafen.

Als Beleg für die ungebrochene Nachfrage nach Live-Konzerten führte Lieben-Seutter die geplante Tournee der Pop-Sängerin Adele an, die sie auch nach München führt. In einem eigens erbauten Stadion wird sie im kommenden Sommer zehnmal vor jeweils 80 000 Menschen auftreten; ungeachtet der hohen Ticketpreise von mindestens 370 Euro haben sich über zwei Millionen Interessierte für den Kartenerwerb registrieren lassen. Dieser Andrang, so Lieben-Seutter, zeige ein gewaltiges Verlangen nach dem musikalischen Live-Erlebnis.

Auch Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda sieht die technischen Entwicklungen der Gegenwart nicht als existenzielle Bedrohung für den Konzertbetrieb. Bei seinem Vortrag am Abschlusstag des Symposiums ordnete er die neuen Angebote mit der ihm eigenen Gelassenheit als «Erweiterung des Möglichkeitsraums» ein – und machte sich keine Sorgen darum, dass die menschliche Kreativität durch künstliche Intelligenz eingeschränkt oder gar abgelöst werde. Ganz im Gegenteil: Letztlich werde die künstliche Intelligenz uns auf neue Weise wertschätzen lassen, «dass Dinge menschengemacht sind».

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