Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde im Ausland bewundert. Doch zu dem Zeitpunkt hatte das Land, das sie regierte, seinen Zenit schon überschritten. Nun braucht es Mut zu unbequemen Reformen.
Nachdem sich der amerikanische Präsident dazu entschlossen hat, die Welt neu zu ordnen, unternimmt man in Europa Versuche, sich zusammenzuraufen. Dabei kommt es massgeblich auf ein starkes Deutschland an. Doch nach 16 Jahren Angela Merkel und 3 Jahren Olaf Scholz ist der deutsche Platz in der Mitte des Tisches längst nicht mehr so garantiert wie früher.
Das ist durchaus wörtlich zu nehmen: Als der britische Premierminister Keir Starmer vergangene Woche zum grossen europäischen Ukraine-Dialog einlud, sass der deutsche Kanzler Olaf Scholz weit aussen.
Neben dem Gastgeber nahmen derweil Wolodimir Selenski aus der Ukraine und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Platz. Macron wird immer mehr zum Anführer Europas. Jüngst veranstaltete Monsieur le Président einen durchaus wirkungsvollen Gipfel zum Thema künstliche Intelligenz in Paris. Der europäische Marktführer Mistral kommt aus Frankreich.
Deutschland hingegen läuft Gefahr, ein Land unter vielen anderen zu werden. Seine Vertreter sitzen noch mit am Tisch – aber wo genau, spielt keine Rolle mehr. Das Foto steht sinnbildlich für die Lage des Landes in der Welt. Seine Wirtschaft stagniert, es verliert an Macht, und mittlerweile hat sich das auch im Ausland herumgesprochen.
Die Grünen gaben den Takt des Abstiegs vor
Die vergangenen zwanzig Jahre haben in Deutschlands Gesellschaft, Wirtschaft und Politik Risse getrieben. Für eine Weile lebte man noch vom guten Ruf vergangener Tage: «made in Germany»! Doch die Realität holt das Narrativ zuverlässig ein. So auch hier.
In den achtziger und neunziger Jahren war Deutschland ein funktionierendes Land mit weitgehend sicheren und sauberen Innenstädten. Die Züge fuhren pünktlich ab und kamen pünktlich an. Die Produkte der deutschen Industrie waren begehrt und wurden weltweit kopiert. Zusammengehalten wurde das Land von Politikern, deren Maxime es war, Deutschlands Wohlstand, Einfluss und seine Macht zu mehren.
Der langsame Abstieg begann, als Ideologie faktenbasierte Politik ausstach und noch dazu die Behäbigkeit der Verwaltung über die Innovationskraft von Industrie und Intellekt triumphierte. Es war und ist massgeblich die Ideologie der Grünen, die den Takt des Abstiegs vorgab. Der Marsch der Linken durch die Institutionen war gelungen: Ministerien, Nichtregierungsorganisationen und selbst Kirchen waren vom grünen Geist beseelt. Kanzlerin Angela Merkel wusste ihm nichts entgegenzusetzen, letzten Endes war sie selbst von ihm durchdrungen.
Während ihrer Zeit an der Spitze Deutschlands wurde sie im Ausland mehrfach zur «mächtigsten Frau der Welt» gewählt. Merkel schien jedoch nicht zu verstehen, dass derlei Auszeichnungen häufig einen Zenit markieren, den das Land zu jenem Zeitpunkt schon überschritten hatte.
Merkel verspielte den Erfolg
Dass Deutschland grosses Ansehen in der Welt genoss, war ausserdem nicht ihr Verdienst. Sie profitierte von den tiefgreifenden wirtschaftlichen Reformen, mit denen ihr Vorgänger Gerhard Schröder das Land auf Kurs gebracht hatte. Es wäre Merkels Aufgabe gewesen, dafür zu sorgen, dass der Erfolg erhalten bleibt.
Stattdessen verspielte sie ihn. Der Zufallskanzler Olaf Scholz, massgeblich gewählt, weil der Christlichdemokrat Armin Laschet an der falschen Stelle lachte, setzte Merkels Politik fort.
Mittlerweile sind die Probleme des Landes auch im Ausland angekommen. Nicht nur aus amerikanischer Perspektive oder aus Sicht der kritikwürdigen Trump-Regierung leistet sich Deutschland einen aufgeblähten, viel zu teuren Sozialstaat für Millionen Menschen. Auch europäische Medien schreiben darüber.
Gleiches gilt für die Energiepolitik. Deutschland hat mit der Atomkraft eine Schlüsseltechnologie abgeschafft, in der es einst führend war. Die wichtigsten Grundlagen der Nukleartechnik wurden nahezu allesamt in Deutschland erforscht. Eine Zeitlang wurde das deutsche Modell der Energiewende, im Wesentlichen mithilfe der Erneuerbaren klimaneutral zu werden, auch in Europa nachgeahmt; der französische Präsident François Hollande wollte deutlich weniger Atomstrom erzeugen.
Doch das hat sich geändert. Sein Nachfolger Macron baut die Kernkraft aus, der britische Premierminister Starmer ebenfalls. Kaum jemand folgt Deutschland auf seinem Weg, der Strom so teuer macht, dass Deindustrialisierung droht.
Der Blick ins Ausland ist ein Blick in den Spiegel
Auch in anderen Bereichen hat der Ruf des Landes gelitten. Es gilt mit Recht mittlerweile als bürokratisch und behäbig. Es hat sich herumgesprochen, dass Unternehmen lieber anderswo gründen als in Deutschland – das Land hat den Anspruch aufgegeben, bei der zweiten grossen Welle von Gründungen nach der Industrialisierung dabei zu sein, obwohl Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Grosskonzerne entstanden sind, die seinen schwindenden Reichtum bis heute finanzieren.
All das schadete und schadet dem Ansehen Deutschlands. Es lohnt der Blick über die Landesgrenzen. Der deutsche Reputationsverlust zeigt, was auf dem Spiel steht und dass es mit Schuldenmachen allein nicht getan ist. Es braucht weitere entschlossene Massnahmen, um das Land zurück in die Spur zu bringen.
Gespart hat Deutschland dort, wo es der CDU unter Merkel, der am weitesten nach links gerutschten CDU aller Zeiten, den Grünen und der SPD am besten passte und dem Zeitgeist entsprach: bei der Verteidigung. Die Bundeswehr war und ist seit Jahren marode. In einem gesellschaftlichen Klima, in dem regelmässig in den Zeitungen darüber diskutiert wurde, wie vermeintlich rechtsextrem die Armee sei, war es egal, ob Kampfjets abheben und Fregatten auslaufen konnten. Wer es anders sah, lief Gefahr, als «rechter» Militarist verschrien zu werden.
Es braucht ein neues deutsches Selbstverständnis
Auch andere Felder benötigen klare Massnahmen. Wer je das Entsetzen linker amerikanischer Umweltschützer (und Trump-Gegner) erlebte, die vom deutschen «Atomausstieg» erfuhren, der weiss, was zu tun ist. Wer jemals eine geflohene russische Dissidentin, die Deutschland dankbar ist, sagen hörte, dass man «in Deutschland eigentlich nicht Zug fahren kann, wenn man einen wichtigen Termin hat», der weiss, wie schlimm es um die Deutsche Bahn bestellt ist.
Wer asiatische Freunde peinlich berührt ihr mitleidiges Lächeln über die Internetgeschwindigkeit in Deutschland zu unterdrücken versuchen sieht, der weiss, wie weit das Land in der Digitalisierung zurückgefallen ist.
Wenn die kommende Regierung den einstigen Ruf wiederherstellen will, muss Substanz aufgebaut werden. Weniger Bürokratie, mehr Wirtschaftskraft. Eine Bundeswehr, die sich wehren kann. Die Grenzen müssen kontrolliert werden, wenn nicht an den Aussengrenzen der EU, dann an den deutschen. Es braucht eine Rückkehr zur Kernkraft und günstigen, grünen Strom rund um die Uhr.
Vorfeldorganisationen, deren Existenzzweck in der Bereicherung ihres Managements besteht und deren Forderungen auf die weitere Deindustrialisierung des Landes hinauslaufen, müssen abgewickelt oder zumindest nicht mehr mit Staatsgeld unterstützt werden. Der Sozialstaat muss zurückgeschnitten werden. Vor allem aber braucht das Land ein neues, altes Selbstverständnis. Leistung, Wachstum, Sicherheit sind drei Schlagworte, mit denen sich das politische Deutschland so schnell wie möglich wieder anfreunden sollte. Andernfalls wird es seinen guten Ruf endgültig verspielen.