Mittwoch, November 20

Die globale Geldmenge treibt Konjunktur, Inflation und Märkte. Die nächsten Monate dürften holprig werden.

Ich bitte Sie, liebe Leserinnen und Leser, kurz innezuhalten und sich zu fragen: Welches ist für Sie die wichtigste Wirtschaftszahl der Welt?

Sind Sie jung, so ist es vielleicht der Bitcoin-Preis, sind Sie älteren Semesters wie ich, nennen Sie vielleicht das Gold. Haben Sie eine Schwäche für Obligationen, so könnte es der Leitzins des Fed sein oder die Rendite von US-Treasuries. Sind Sie Aktienliebhaber, kommt Ihnen vielleicht der S&P 500 oder der Nasdaq 100 in den Sinn.

Ich halte dagegen.

Für mich ist es das Wachstum der globalen Geldmenge M2, berechnet in Dollar. Ich erspare Ihnen (und mir) einen Diskurs über die Eigentümlichkeiten der Masszahl, ausser dass es sich um Bargeld, Sichteinlagen und Spareinlagen in der globalen Volkswirtschaft handelt. Wichtig ist die Interpretation des Geldmengenwachstums als Mass für die weltweite Liquidität. Sie müssen hier auf meine Expertenmeinung vertrauen, wenn ich Ihnen als Träger eines Hüftimplantats versichere, dass alles besser funktioniert, wenn es geschmiert und geölt ist, als wenn Sand im Getriebe ist.

So bedeutet stärkeres Geldmengenwachstum mehr Liquidität und damit ein gut laufender Konjunkturmotor und erfreulichere Finanzmärkte. Es ist aber nicht nur die Geldmengenentwicklung in den einzelnen Ländern, es ist auch die Wirkung eines stärkeren und schwächeren Dollars (ein stärkerer Dollar reduziert die globale Geldmenge M2, da die Geldmengen des Auslands in Dollar umgerechnet werden müssen).

So erhöht ein stärkerer Dollar den Stress auf der ganzen Welt unter anderem deshalb, weil es den in Dollar verschuldeten Ausländern an den Kragen geht. Ein stärkerer Dollar wirkt also gewissermassen arthrotisch, wenn Sie diese Metapher gestatten, ein schwächerer Dollar baut den Knorpel auf. Bei grossen Bewegungen kann dieser Dollareffekt dominant werden, aber die lokalen, aggregierten Geldmengenveränderungen geben der globalen M2-Zahl das gewisse Etwas.

Wie können Sie diese Zahl berechnen? Nichts ist leichter als das. Schauen Sie einfach kurz auf die Webseite der Notenbanken der Eurozone, den USA, Chinas, Japans, Koreas, Kanadas, Taiwans, Australiens, Mexikos, Grossbritanniens und der Schweiz, rechnen Sie die lokalen M2-Daten in Dollar um, und Sie erhalten ein gutes Proxy für die globale Geldmenge M2.

Scherz beiseite, Sie bekommen diese Zahl im Chart-Pack von The Market monatlich geliefert, und das ist einer der Gründe, warum ich Fan von The Market bin. Aber warum ist das Wachstum der globalen Geldmenge M2 die wichtigste Wirtschaftszahl der Welt?

Hier kommt die Korrelation des Monats ins Spiel:

Schauen Sie sich diese wunderbare Korrelation von Geldmengenwachstum und dem bekanntesten Konjunkturbarometer der globalen Leitwirtschaft USA, dem Purchasing Manager Index von ISM, an. Rollierend über die jeweils vergangenen zwei Jahre berechnet ergibt sich seit 2015 ein Korrelationskoeffizient von im Durchschnitt 0,62 auf einer möglichen Skala von -1 bis +1 (-1 bedeutet: vollkommen gegenläufige Entwicklung, +1 steht für den perfekten Gleichlauf).

Das ist auch für mich ein erstaunlich hoher, signifikanter Wert. Und ich staune immer wieder, wie viele stabile hohe Korrelationen es in der Finanzwelt gibt. Und das Beste dabei: Die Korrelation ist im Falle des PMI am höchsten, wenn wir das globale M2-Wachstum vier Monate verzögert darstellen. Es ist für die US-Konjunktur also ein veritabler Vorläufer. Und das gegenüber dem PMI, der seinerseits gerne als vorlaufender Indikator für die wichtigste Volkswirtschaft der Welt gerühmt wird. Handelt es sich beim globalen M2-Wachstum also gar um einen für die Weltwirtschaft zentralen Vorlaufindikator?

Und es wird noch besser:

Die Korrelation zwischen Geldmengenwachstum und PMI ist nur eine von vielen stabilen Korrelationen, für die das globale M2-Wachstum sorgt, was mithin der Grund ist, diese Zahl als Solitär zu betrachten: So ist das Jahreswachstum der globalen Geldmenge M2 hoch korreliert mit den Preisausschlägen an den Rohstoffmärkten und da nicht zuletzt mit dem Rohöl, der Teuerung in den USA, den «Teuerungserwartungen», der sogenannten Financial Conditions (dazu zählen Kreditrisikoprämien, die Höhe des Kurs-Gewinn-Verhältnis etc), den Schwankungen an den Finanzmärkten, ja selbst mit den Indizes für Überraschungen in den Wirtschafts- und Inflationsdaten, den sogenannten Surprise-Indizes.

Also mit allem, worauf ein Finanzmarktspezialist wie ich schauen muss, um gewappnet zu sein für das, was auf den Weltmärkten wirtschaftlich und finanziell auf uns zukommen mag. Ja selbst mit Dr. Copper, dem Kanarienvogel im Minenschacht, der vor kurzem auf The Market besprochen wurde, resultiert eine rollende Korrelation von 0,62. Interessanterweise gibt es auch eine enge Korrelation zum chinesischen Li-Keqiang-Index. Und immer ist es die globale Geldmenge M2, die einmal mehr, einmal weniger als Vorläufer fungiert, aber nie als Nachzügler.

Cum hoc ergo propter hoc?

Handelt es sich nur um (zufällige?) Korrelationen oder um Kausalität? Ich vermute Letzteres, obwohl eine gewisse Rückkoppelung bestehen könnte, da in der Finanzwelt nichts komplett isoliert geschieht. Dennoch tippe ich darauf, dass die globale Geldmenge M2 in der Summe der Stein ist, der Kreise treibt, wenn er ins Wasser geworfen wird.

Und was bedeutet das nun für Wirtschaft und Märkte?

Erinnern Sie sich an die letzte Korrelation des Monats Anfang April? Ich habe dargelegt, dass die für die Finanzmärkte zentrale Teuerungszahl der USA, ihrerseits ein Vorläufer für die Teuerung in der Schweiz und der Eurozone, von der Konjunktur und der Bewegung des Rohöls abhängig ist, mithin also nicht prognostizierbar ist, weil sich alle Bemühungen, Wirtschaftswachstum und Ölpreis treffend vorauszusagen, als untauglich entpuppt haben.

Jetzt verfügen wir jedoch über einen Indikator, der das ganze Datengefüge sowohl nach oben wie nach unten zu treiben scheint. Das Jahreswachstum der globalen Geldmenge M2 ist derzeit negativ, wenn auch nur geringfügig, und der Trend ist ebenfalls nicht positiv. Diesen Sommer gibt es also keine Liquiditätsspritze für Konjunktur und Aktienmärkte. Stattdessen drohen höhere Kreditrisikoprämien, weniger grosszügige Finanzierungsbedingungen, korrigierende Aktienmärkte, sinkende Rohstoffpreise, tiefere Zinsen, mehr Enttäuschungen bei den publizierten Daten, abflauendes Wirtschaftswachstum, sinkende Teuerungsraten und ein weniger gutes Abschneiden von Aktien mit hohem Beta wie den «glorreichen Sieben».

Wie gesagt: Der Chart insinuiert keine Katastrophe, aber immerhin ein Stottern des Motors. Und ja: Dieses Verdikt steht komplett konträr zur aktuellen Stimmung an den Märkten («Wiederbelebung», «Kupfer auf Höchststand»). Aber genau das ist doch das Schöne an Vorlaufindikatoren: «Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom», hat mal jemand gesagt…

Post Scriptum:

Sind Sie der junge Kryptotoken-Enthusiast? Ich erhalte eine rollende Korrelation von sagenhaften 0,72 zwischen dem Wachstum der globalen Geldmenge M2 und der Veränderung des Bitcoin-Preises. Ist der Bitcoin also lediglich eine Liquiditäts-Tulpe? Und übrigens: Die höchste Korrelation in meinem Sample ist diejenige der globalen Geldmenge M2 und dem berühmt-berüchtigten ARKK-Fonds von Cathie Wood.

Sind Sie der graumelierte Goldliebhaber? Sie haben Glück. Ich habe keine brauchbare, signifikante Korrelation zur globalen Geldmenge M2 gefunden. Herzlichen Glückwunsch!

Jürg Lutz

Jürg Lutz ist Anleihenspezialist beim Schweizer Vermögensverwalter PK Assets, der auf die Anlage von Pensionskassengeldern spezialisiert ist. Er bezeichnet sich selbst als alten Hasen im Bondmarkt, was angesichts seiner dreissigjährigen Erfahrung in der Verwaltung von Anleihenportfolios nicht ganz abwegig ist. Der Bündner ist Vater von zwei Kindern und beseelt von der Vorstellung, bis zu seinem Ableben die Via Spluga, die entlang des alten Säumerpfades von Thusis ins italienische Chiavenna führt, mindestens hundert Mal zu wandern. Viel fehlt ihm bis zu diesem Ziel nicht mehr.

Exit mobile version