Montag, September 30

Vor allen grossen Crashs der letzten vierzig Jahre entkoppelte sich der S&P 500 von den Fundamentaldaten. Heute ist es wieder so weit.

Aktiencrashs sind wunderbar für den Obligationeninvestor, wenn man denn die richtigen Papiere besitzt. Die Druckentladungen in den Aktienmärkten, die sich als Schwarzer Montag (1987), DotComCrash (2000) und Grosse Finanzkrise (2008) in unser Gedächnis eingebrannt haben, liessen auch die Zinsen crashen und machten die Eigentümer von langen Treasuries und Eidgenossen reich.

In einem vergleichbaren Szenario würden Anleger mit zehnjährigen US-Treasuries heute über 11, 19 und 18% verdienen, plus Coupon! Und mit der ultimativen Finanzkeule, dem dreissigjährigen Treasury, lägen sogar 22 bis 50% drin.

Grund genug, sich auch als Zinsspezialist um die Verfassung des globalen Aktienleitmarktes S&P 500 zu kümmern, zumal a) im vergangen Monat neue Allzeithöchst erreicht worden sind, b) das Kurs-Gewinn-Verhältnis (englisch: P/E) des S&P 500 wieder gleich hoch ist wie kurz vor dem Absturz Ende 2021, c) die Kursziele aller Aktienstrategen von Ende 2023 für das aktuelle Jahr bereits massiv übertroffen wurden, d) die Risikoprämie von Aktien im Vergleich zu BBB-Bonds negativ ist (!) und e) ich über einen Researchbericht des US-Investors John P. Hussman gestolpert bin, der mich nachdenklich gestimmt hat.

Die bange Frage: Ist es wieder so weit?

Befinden wir uns in einer Blase? Ein Bonmot besagt, dass Blasen erst nach dem Platzen als solche erkannt werden können, aber glauben Sie mir, als mein Sohn mich im Jahr 2021 gefragt hat, ob es Zeit sei, mit seinem (also eigentlich meinem) Geld Meme-Aktien zu kaufen, da wusste ich, es ist so weit: eine Blase hat sich gebildet. Kurz nach dieser von mir abschlägig beantworteten Frage wurden Kuriositäten wie Memes, Spacs, No-Profit-IPOs und Crypto-Ponzis von der Notenbank mit dem Zinshammer totgeschlagen.

Trotz dieses Erfolges wäre es aber sinnvoll, einen etwas objektiveren Indikator zu bauen, der uns sagt, ob wir uns in einer (Aktien-)Blase befinden oder nicht.

Seit der Aufgabe von Bretton Woods und dem Aufkommen des sogenannten Fiat-Gelds ohne intrinsische (Gold-)Deckung sowie dem Mikromanagement der Notenbanken seit dem damaligen Fed-Präsidenten Alan Greenspan sind Finanzmarktcrashs eine fast schon normale Begleiterscheinung geworden, sie bleiben aber furchteinflössend.

In den epochalen Crashs von 1987 (dem ersten nach dem Zweiten Weltkrieg), 2000 und 2008 verlor der Aktienmarkt 32%, 47% und 46%, also zwischen einem Drittel und der Hälfte, im Falle des riskanteren Nasdaq noch viel mehr. 1987 war ich Student, doch die Berichterstattung hat sich mir bis heute eingeprägt, 2000 und 2008 war ich voll dabei, es waren lehrreiche Episoden.

«P/E»: der Goldstandard

Das Price-Earnings-Multiple (Kurs-Gewinn-Verhältnis, in der Folge «P/E») ist die Benchmark für die Beantwortung der Frage, wie teuer ein Aktienmarkt ist: je höher, desto teurer. Und zugegeben: Es hat sich für die Prognose der Mehrjahresperformance von Aktienmärkten als ausserordentlich nützliche Kennzahl herausgestellt, es ist aber unbrauchbar für die Beantwortung der Frage, ob wir uns aktuell in einer Blase befinden.

So zeigte das P/E des S&P 500 im Jahr 1987 zwar einwandfrei eine massiv hohe Bewertung an, im Jahr 2000 war es aber bereits nur noch leidlich akkurat, 2008 war es komplett unbrauchbar, und 2021 war das Signal zu früh. Zudem erzeugt es gelegentlich einen Fehlalarm. Auch der Gebrauch von erwarteten statt realisierten Gewinnen ändert nichts an diesen Schwächen. Was machen?

Wir schlagen vor, ein Bündel von Blasenindikatoren zu verwenden:

Bezieht man sich auf die drei Referenzpunkte 2000, 2008 und 2021 (für das Jahr 1987 fehlen leider einige wichtige Daten), dann finden wir eine Reihe von sehr interessanten Kandidaten: Besonders gut funktioniert der Vergleich vom Preisniveau des Aktienmarkts mit der Höhe des nominalen Bruttosozialprodukts der USA, mit der Geldmenge M2, mit den operativen Cashflows der S&P-500-Unternehmen, den Dividenden derselben und dem Buchwert der Aktiva, des weiteren die Höhe des Eigenkapitals, des Umsatzes und des Vermögens.

Es ist also alles da, was das Bild rund macht: Sobald die Finanzmärkte maximal abgekoppelt sind von Wirtschaft, Unternehmensgewinnen, Substanz, Liquidität und Aktivität, besteht die Gefahr einer Blasenbildung. Derzeit wird ein Gesamtbild gezeichnet, das es in sich hat, wie die Korrelation des Monats zeigt. Sie beantwortet die Frage, ob die Monate vor einem historischen Absturz von einer aussergewöhnlichen Bewertung begleitet waren und damit, ob Blasen identifiziert werden können, und falls ja, wo wir uns derzeit befinden.

Anstatt wie üblich in dieser Kolumne zwei Datenreihen zu vergleichen, schauen wir auf die Koinzidenz der Crashzeitpunkte (im Chart die rot eingefärbten Linien unmittelbar vor dem Absturz) und dem Bewertungsniveau der Aktien. Das Modell funktioniert ausserordentlich gut: Vor den Crashs von 2000, 2008 und 2021 war die Bewertung des Aktienmarkts maximal abgekoppelt. Und zwar in jeder Hinsicht: Substanz, Cashflows, Wirtschaft, Geldmenge, Umsatz.

Ebenso eindrücklich ist die Wucht des jeweils unmittelbar folgenden Absturzes. Mein Fazit: Der Blasenindikator ist akkurat, breit abgestützt und löst erfreulicherweise kaum Fehlalarm aus. Schauen Sie sich diese unglaublichen Bewertungskorrekturen an.

Das bringt uns zur aktuellen Bewertung.

Ein Blick genügt: Unser Blasenindikator steht heute auf dem Höchst. Und interessanterweise notiert er genau dort, wo er Ende 2021 kurz vor dem Absturz stand. Ich würde die Situation gerne schönreden, aber sie spricht für sich.

Und das allgemein verwendete KGV? Dieses ist hoch, es zeigt aber keineswegs eine Blase an. Welchem Mass trauen Sie?

P.S. 1 für den Nerd:

Wir haben für die Korrelation des Monats Indikatoren gewählt, die einen gewissen Return-to-the-Mean-Charakter aufweisen. Es gibt aber eine Reihe von interessanten Indikatoren, die anders funktionieren («Drift-Faktoren»): Für gewisse Kennzahlen scheint der Aktienmarkt immer höhere Multiples zu zahlen, so für die Profitmarge, das Dividenden-Payout-Ratio (Dividende pro Einheit freiem Cashflow), das Gearing (Eigenkapital/Fremdkapital), den Leverage und die Differenz von Nasdaq zum Wilshire 5000 («alle Aktien») oder zum Russell 2000 («Small Caps»).

Aus irgendeinem Grund werden offensichtlich Dividenden und Margen für den Finanzmarkt immer wichtiger und Schulden immer unwichtiger. Ist dies ein inhärenter Trend im Fiat-System? Sachdienliche Hinweise sind erbeten an j.lutz@pkassets.ch.

Jedenfalls: Verwenden wir ein Bündel dieser Faktoren, so zeigt sich eine noch brutalere Bewertung:

Auch hier funktioniert das Modell mustergültig. Die Crashzeitpunkte bilden jeweils das Top der bisherigen Bewertung, und das Bild für heute sieht keineswegs rosiger aus!

P.S. 2 für alle:

Speziell für diejenigen, die nicht überzeugt sind von diesen Zahlenspielereien: Ich melde mich, sobald mein Sohn eine Investition in Aktien anregt.

Jürg Lutz

Jürg Lutz ist Anleihenspezialist beim Schweizer Vermögensverwalter PK Assets, der auf die Anlage von Pensionskassengeldern spezialisiert ist. Er bezeichnet sich selbst als alten Hasen im Bondmarkt, was angesichts seiner dreissigjährigen Erfahrung in der Verwaltung von Anleihenportfolios nicht ganz abwegig ist. Der Bündner ist Vater von zwei Kindern und beseelt von der Vorstellung, bis zu seinem Ableben die Via Spluga, die entlang des alten Säumerpfades von Thusis ins italienische Chiavenna führt, mindestens hundert Mal zu wandern. Viel fehlt ihm bis zu diesem Ziel nicht mehr.

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