Samstag, November 30

Die aus Treasury Inflation Protected Securities oder kurz TIPS abgeleiteten Inflationserwartungen folgen dem Ölpreis. Damit eignen sie sich nicht für die Inflationsprognose, obwohl sie häufig dafür verwendet werden.

In dieser neuen, monatlichen Kolumne schauen wir regelmässig auf interessante Zusammenhänge aus der Welt der Finanzmärkte und beginnen gleich mit einer Korrelation für Zins-Gourmets: dem Zusammenhang von Inflationserwartungen und dem Ölpreis.

In aller Munde sind die wieder steigenden Teuerungsraten in den USA und damit die bange Frage: Zieht die Inflation wieder breitflächig an? Wiederholen sich gar die Siebzigerjahre? Stehen wir vor einer Phase der Stagflation?

Der Anleihenspezialist wendet sich an die für diese Fragestellung eigens eingerichteten Märkte für inflationsgeschützte Staatsanleihen (TIPS; Treasury Inflation Protected Securities), wo sich Investoren und Gambler treffen, um mit ihrem Handeln und ihren Wetten einen Konsens darüber zu schaffen, in welche Richtung sich die Inflation in den nächsten zwei, fünf oder zehn Jahren entwickeln dürfte. Sie werden als «Breakeven Inflation Rates» oder, auf Deutsch, fatalerweise als Inflationserwartungen bezeichnet. So weit, so gut.

Die zwei Treiber der Inflation

Das offizielle Mass der Teuerung, der Konsumentenpreisindex oder Englisch Consumer Price Index (CPI), besteht aus zwei Treibern mit unterschiedlichen Herausforderungen für den Prognostiker: Da ist erstens der Basiseffekt, der sich daraus ergibt, dass der aktuelle Wert mit dem Wert vor Jahresfrist verglichen wird. Er ist mit einigem Fleiss prognostizierbar, weil er als «Lagging Factor» der Inflation hinterherhinkt.

Der zweite Treiber ist die kurze Bewegung, die sich aus dem Vergleich zum Vormonat ergibt. Sie ist nicht prognostizierbar, weil sie von der aktuellen Konjunktur, die sich als notorisch unprognostizierbar entpuppt, und der unglaublich hohen Volatilität der Energie- (sprich Erdöl-)Komponente abhängt. Auch Letztere hat sich leider – von Allgemeinplätzen wie «hohe Preise sind das beste Mittel gegen hohe Preise» und vice versa – als komplett unprognostizierbar erwiesen.

Kein Wunder, verbreitet die monatliche Publikation der CPI-Zahlen, speziell die der Monatsveränderung, regelmässig Hektik und Hysterie auf allen Handelsplätzen.

Ölpreis und TIPS bewegen sich Hand in Hand

Bleibt die oben angesprochene Inflationserwartung aus den TIPS-Märkten. Sie errechnet sich aus der Differenz zwischen der Rendite auf «normalen», also nominalen Treasuries und den in den TIPS ablesbaren Realrenditen für die gleiche Laufzeit.

Und jetzt kommt unsere Korrelation des Monats ins Spiel: Wir betrachten die beliebte, aus den TIPS-Kontrakten extrahierte Inflationserwartung für die nächsten fünf Jahre. Wir vergleichen sie mit dem Ölpreis, und siehe da: Die Korrelation ist sehr hoch. Rollierend über die letzten zwei Jahre berechnet ergibt sich seit 2015 ein Korrelationskoeffizient von im Durchschnitt 0,78 auf einer möglichen Skala von -1 bis +1 (-1 bedeutet: vollkommen gegenläufige Entwicklung, +1 steht für den perfekten Gleichlauf).

Dieser Wert ist in der Welt der Finanz- und Makrovariabeln ausserordentlich hoch.

Was bedeutet das?

Zuerst, dass der Ölpreis immer noch ausserordentlich wichtig ist, trotz aller «Dekarbonisierung».

Dann, leider, dass die aus den TIPS-Märkten ermittelten Inflationserwartungen als Prognosewert unbrauchbar sind. Denn sie richten sich offensichtlich vor allem nach den (historisch realisierten, also nicht zukünftigen) Ölnotierungen. Damit sind seriöse Prognosen kaum möglich. Wer also von Inflationserwartungen spricht, betreibt Etikettenschwindel.

Drittens: Das ist gut so! Denn wäre es anders, wäre mein Broterwerb als Finanzanalyst gefährdet. So bleibt das mühsame Stochern im Kaffeesatz, weil ein grosser Rest von Ratlosigkeit im Zinsmarkt über den für die Performance entscheidenden Pfad der Inflation verbleibt. Was im aktuellen Fall speziell ist – der Basisfaktor fällt, die Monatsveränderung zieht an.

Zum Schluss verbleibt die wichtige Frage bei jeder Korrelation: Cum hoc ergo propter hoc? Besteht neben der hohen Korrelation auch eine Kausalität? Und für einmal können wir konstatieren: Ja, die aus den TIPS abgeleiteten «Inflationserwartungen» folgen den Ölpreisen. Ein so klares Verdikt ist an den Finanzmärkten selten.

Im nächsten Beitrag stelle ich einen Indikator vor, der sich besser zur Inflationsprognose eignet.

Jürg Lutz

Jürg Lutz ist Anleihenspezialist beim Schweizer Vermögensverwalter PK Assets, der auf die Anlage von Pensionskassengeldern spezialisiert ist. Er bezeichnet sich selbst als alten Hasen im Bondmarkt, was angesichts seiner dreissigjährigen Erfahrung in der Verwaltung von Anleihenportfolios nicht ganz abwegig ist. Der Bündner ist Vater von zwei Kindern und beseelt von der Vorstellung, bis zu seinem Ableben die Via Spluga, die entlang des alten Säumerpfades von Thusis ins italienische Chiavenna führt, mindestens hundert Mal zu wandern. Viel fehlt ihm bis zu diesem Ziel nicht mehr.

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