Mittwoch, Februar 26

Brasilien ist heute so korrupt wie Belarus – ganz Lateinamerika steht so schlecht da wie nie zuvor. Indien und China schneiden inzwischen besser ab. Wie konnte es so weit kommen?

465 Reden hat Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit gehalten. Darin erwähnte er 15 Mal das Wort Korruption, hat Transparency International (TI) jetzt ermittelt.

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Doch Lula kritisiert nicht die Korruption an sich, sondern die Korruptionsermittlungen, die der Wirtschaft geschadet hätten. Ziel der Justiz sei es gewesen, die brasilianische Industrie zu zerstören, sagte er kürzlich bei der Einweihung einer Werft in Rio de Janeiro. Für den linken Präsidenten stecken die USA hinter dem Komplott.

TI ist eine unabhängige globale Nichtregierungsorganisation, die sich dem Kampf gegen Korruption verschrieben hat und sich weltweit für Transparenz, Integrität und Rechenschaftspflicht einsetzt. Für sie ist das einseitige und geringe Interesse Lulas am Thema Korruption und Vetternwirtschaft symptomatisch für den derzeitigen Umgang mit dem Thema in Lateinamerika.

Als hätte es nie einen Korruptionsskandal gegeben

Tatsächlich ist das Thema Korruption aus der brasilianischen Öffentlichkeit weitgehend verschwunden – mehr als zehn Jahre nach Beginn der Lava-Jato-Ermittlungen in Brasilien, die in ganz Lateinamerika wie ein Wendepunkt in der Korruptionsbekämpfung wirkten.

Damals wurden mächtige Unternehmer, Politiker und Manager verhaftet, die im Umfeld des Ölkonzerns Petrobras ein milliardenschweres Korruptionssystem unterhalten hatten – nicht nur in Brasilien, sondern in insgesamt zwölf Staaten Lateinamerikas. Doch inzwischen wurden fast alle Verurteilten begnadigt und die hohen Strafen aufgehoben – auch wenn die Beteiligten geständig waren oder ihnen die Delikte nachgewiesen werden konnten.

Tatsächlich hat die Korruption seit der Einstellung der Ermittlungen wieder rasant zugenommen: Nach dem jüngsten Bericht von TI schneidet Brasilien historisch schlecht ab, wenn es darum geht, wie weit die Korruption in Staat, Wirtschaft und Alltag vorgedrungen ist. Vor zehn Jahren, als Brasilien mitten in den Lava-Jato-Ermittlungen den Spitzenplatz im TI-Index einnahm, stand das Land auf einer Stufe mit Italien oder Griechenland.

Heute befindet sich Brasilien auf dem Niveau von Weissrussland oder der Türkei. Unter den grossen Schwellenländern schneidet Brasilien deutlich schlechter ab als etwa Indien oder China, die international als Staaten mit notorisch hoher Korruption gelten. Nur in Russland, Iran oder Nordkorea ist diese noch deutlich höher.

Die organisierte Kriminalität nutzt die Korruption

Brasilien sei es nicht gelungen, den Abwärtstrend der vergangenen Jahre bei der Korruptionsbekämpfung nach dem Ende der Lava-Jato-Ermittlungen zu stoppen und umzukehren, stellt Bruno Brandão von TI in Brasilien fest. Vielmehr habe sich die Korruption im Staat weiter ausgebreitet: «Das zeigt sich vor allem an der wachsenden Präsenz des organisierten Verbrechens in staatlichen Institutionen.»

Bei der Korruptionsbekämpfung beobachtet TI deutliche Rückschritte. Nicht nur, weil Verurteilte amnestiert und ihre Strafen aufgehoben wurden. Auch in der Legislative wurde der Korruption Tür und Tor geöffnet. Im Kongress haben sich die «Emendas Parlamentares» etabliert. Dabei handelt es sich um Budgetzuweisungen, über deren Verwendung die Abgeordneten nach eigenem Gutdünken entscheiden können. Kontrolle und Transparenz des öffentlichen Haushalts sind dadurch stark eingeschränkt.

Erstaunlich ist, dass der katastrophale Korruptionsbericht von TI in Brasilien kaum Beachtung fand: Die einzige Reaktion von staatlicher Seite kam vom brasilianischen Bundesrechnungshof, der Controladoria-Geral da União (CGU). Sie kritisierte die Untersuchung von TI als unseriös. Sie sei nicht mehr als Stammtischgeschwätz.

Die Aussichten, dass die Korruptionsermittlungen in Brasilien in naher Zukunft wieder Fahrt aufnehmen, sind gering – im Gegenteil. Präsident Donald Trump hat gerade per Dekret die Durchsetzung der Foreign Corrupt Practices Act ausgesetzt. Das Gesetz stammt aus dem Jahr 1977 und verbietet Bestechungszahlungen von amerikanischen Unternehmen an ausländische Amtsträger, um sich Geschäftsvorteile zu sichern. Trump argumentiert, das Gesetz schade der Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen und behindere die nationale Sicherheit.

«Dieses Dekret wird die Korruption in Lateinamerika und in vielen Teilen der Welt wieder fördern», so befürchtet der einflussreiche konservative Lateinamerika-Experte Andrés Oppenheimer in Miami. Denn einerseits seien Beamte und Politiker in der Region nun wieder eher bereit, Bestechungsgelder anzunehmen, weil sie keine strafrechtlichen Ermittlungen fürchten müssten. Andererseits würden amerikanische Unternehmen in Lateinamerika eher korrupte Geschäfte riskieren, weil sie durch nordamerikanische Gesetze besser geschützt seien als früher.

Fast alle Staaten Lateinamerikas sind abgestiegen

Dabei schneidet Lateinamerika im TI-Bericht schon jetzt katastrophal ab: Schlechter als Brasilien stehen neben Mexiko und fast allen mittelamerikanischen Staaten auch Länder wie Peru, Bolivien und Ecuador da – neben den notorischen Kleptokratendiktaturen Venezuela und Nicaragua. Mit wenigen Ausnahmen (Uruguay, Guatemala, Dominikanische Republik, Costa Rica) haben sich fast alle Staaten der Region im vergangenen Jahr verschlechtert.

Dieser Prozess wird sich voraussichtlich fortsetzen: Denn bisher war es vor allem die amerikanische Justiz, die Korruptionsermittlungen in Lateinamerika wie im Lava-Jato-Skandal vorantrieb. Aufgrund dieses Ermittlungsdrucks aus den USA wurden die beteiligten Unternehmen in Brasilien zu den bisher höchsten Strafen in einem Antikorruptionsverfahren verurteilt: Der Ölkonzern Petrobras einigte sich 2018 mit den amerikanischen Behörden auf eine Zahlung von 4,5 Milliarden Dollar. Der Baukonzern Odebrecht akzeptierte 2016 vor der amerikanischen Justiz eine Strafe von insgesamt 3,5 Milliarden Dollar.

Wenn der «neue Sheriff» in Washington kein Interesse mehr an Korruption hat, werden viele Regierungen nur allzu gern nachziehen. Brandão warnt, dass dies letztlich auch den USA schaden werde. Denn mit der Korruption werde auch die organisierte Kriminalität in Lateinamerika zunehmen. «Das ist eine ernste Bedrohung für die Sicherheit der USA.»

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