Mittwoch, Oktober 30

Die Kernmarke VW ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Doch es brennt auch bei anderen Einheiten des Konzerns, etwa bei Audi und den Nutzfahrzeugen. Sogar bei Porsche verschlechtert sich die Lage.

Das Malaise bei Volkswagen hat in Deutschland längst die breite Öffentlichkeit und die einschlägigen Talkshows erreicht. Besonders gross sind die Diskussionen und Sorgen an den zehn Produktionsstandorten der Marke VW in Niedersachsen, Sachen und Nordhessen. Das Management erwägt nämlich laut einer Mitteilung des Konzernbetriebsrats vom Montag die Schliessung von drei Werken, die Entlassung Zehntausender Mitarbeiter und die pauschale Kürzung der Tariflöhne um 10 Prozent. Der Schock bei den Beschäftigten sitzt tief.

Probleme auch bei Audi und den Nutzfahrzeugen

Am Mittwoch belegte das Unternehmen den derzeitigen Niedergang mit schwachen Geschäftszahlen für die ersten neun Monate; das dritte Quartal war besonders schlecht. Der Datenkranz zeigte, dass das Kernproblem zwar die Kernmarke VW ist. Dort brennte nach einer früheren Aussage von Markenchef Thomas Schäfer der Dachstuhl. Doch Feuer lodert inzwischen auch bei anderen Marken und Einheiten, etwa den VW-Nutzfahrzeugen, Audi und sogar Porsche sowie bei der Herstellung von Fahrzeugkomponenten.

Das Ergebnis nach Steuern ist im dritten Quartal um satte 64 Prozent auf 1,6 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen, seit Jahresbeginn betrug der Rückgang 31 Prozent auf knapp 9 Milliarden Euro. Das mag in absoluten Zahlen noch nach stattlichen Gewinnen klingen, doch die Margen schrumpfen derzeit immer weiter.

Hoch problematisch ist die Entwicklung der Marke VW, deren Marge nur noch bei rund 2 Prozent notiert. Das ist der schwächste Wert aller Konzernmarken. Zwar erzielte VW noch einen kleinen Gewinn. Doch davon kann die Marke die dringend notwendigen Investitionen in die Zukunft nicht mehr selbst bezahlen, der Netto-Cashflow ist also negativ. In den ersten neun Monaten betrug das Minus laut Finanzchef Arno Antlitz eine Milliarde Euro. Früher halfen Gewinne aus China und von den Marken Audi und Porsche, um die schwache Rentabilität in Deutschland zu kompensieren. Doch diese Quellen sprudeln nicht mehr.

In Europa fehlt der Absatz von 2 Millionen Autos

Der Konzern und besonders die Marke VW leiden unter der generell schwachen Nachfrage nach Autos in Europa und dem zugleich zunehmenden Wettbewerb durch neue Konkurrenten, vor allem aus China. Vor der Pandemie seien in Europa rund 16 Millionen Autos verkauft worden, derzeit liege der Wert bei 14 Millionen, sagte Antlitz in einer Telefonkonferenz mit Medienvertretern. Da VW einen Marktanteil von rund 25 Prozent in Europa aufweist, fehlen rund 500 000 Verkäufe. Das entspreche ungefähr der Produktion von zwei Werken.

Das Management rechnet nicht damit, dass sich der europäische Absatz in den kommenden Jahren signifikant erholt. Als Gründe dafür nannte Antlitz die Entwicklung der Haushaltseinkommen, die durch die Inflation deutlich gestiegenen Fahrzeugpreise, die hohen Energiekosten, den Trend zum Home-Office sowie das sich verändernde Mobilitätsverhalten. Die Überkapazitäten sorgen einhergehend mit einer gesunkenen Nachfrage für Druck auf die Preise. Um nicht in die Verlustzone zu rutschen, muss der Konzern also die Kosten senken und die Produktivität erhöhen. Darauf zielen letztlich die geplanten Massnahmen des Vorstands um den Konzernchef Oliver Blume ab.

Die tschechische Konzernmarke Skoda ist mit einer operativen Marge von stabil über 8 Prozent deutlich erfolgreicher unterwegs als VW. Der Grund dafür ist laut Antlitz vor allem, dass Skoda mit einer wettbewerbsfähigen Kostenbasis agiert. Die Werke liegen primär in Osteuropa, wo die Löhne im Vergleich mit Deutschland massiv niedriger sind. Die Arbeitskosten je geleistete Stunde im verarbeitenden Gewerbe betrugen in Deutschland im vergangenen Jahr 46 Euro und in Tschechien gut 18 Euro. In der Slowakei, Polen und Ungarn liegen sie noch tiefer. Das gleiche gilt für viele Standorte in Asien.

Im Konzern gehen die Probleme jedoch längst über VW hinaus. Auch der frühere Gewinnbringer Audi kämpft seit Jahren mit Problemen; die Erholung verläuft schleppender als gehofft. Wichtige Modelle kamen aufgrund der Software-Probleme im Gesamtkonzern mit mehreren Jahren Verspätung und das Angebot an attraktiven Elektroautos ist noch überschaubar. Das ändert sich immerhin in den kommenden Monaten. In diesem Jahr ist die Marge der Markengruppe Audi unter 5 Prozent gerutscht und lag im dritten Quartal laut einer Auswertung des Center Automotive Research bei schwachen 0,7 Prozent.

Zu hohe Kosten bei den Komponentenwerken

Am Dienstagabend wurde zudem bekannt, dass Audi die Produktion im Werk in Brüssel per Ende Februar einstellen will. Dort fertigen rund 3000 Beschäftigte nur ein einziges Modell: das Elektro-SUV Q8 e-tron. Über die Schliessung wird seit Monaten spekuliert. Es ist das erste Werk, das Volkswagen seit Jahrzehnten dichtmachen wird.

Verluste machten im dritten Quartal die leichten Nutzfahrzeuge und laut Antlitz sind die Kosten bei der Herstellung von Komponenten in Deutschland nicht wettbewerbsfähig. Von den zehn eingangs genannten Werken handelt es sich bei dreien um Komponentenfabriken. Die grösste ist in Baunatal nahe Kassel in Nordhessen. Auch dort bangen die Mitarbeiter um ihre gut bezahlten Arbeitsplätze. Sogar bei der Edelmarke Porsche ist die Marge um 4 Punkte auf 15 Prozent gesunken.

In diesem Umfeld startete am Mittwoch die zweite Verhandlungsrunde zwischen Gewerkschaft und Management über die Restrukturierung und den neuen Haustarifvertrag für die kommenden Jahre. Initial hatten die Arbeitnehmer 7 Prozent mehr Lohn gefordert. Das ist das Zeugnis einer völlig falschen Lageeinschätzung. Der Verhandlungsführer von VW kündigte an, der IG Metall nun die eigenen Vorstellungen zu unterbreiten. Die Gewerkschaft verlangte, dass das Unternehmen über Alternativen zu Werksschliessungen und Entlassungen verhandle. Beide Seiten vereinbarten Stillschweigen über den Inhalt der Gespräche.

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