Die zuvor lange gebeutelten Roche-Aktien haben in den vergangenen Monaten von einem positiven Nachrichtenfluss profitiert. Jetzt dämpft ein Studienfehlschlag mit einem wichtigen Krebsmedikament erneut die Stimmung.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Roche konnte in den vergangenen drei Monaten mit einer Fülle an positiven Nachrichten aufwarten. Hier nur einige Beispiele aus den letzten zwei Wochen:

  • 28. Juni: Die Roche-Präparate Piasky (gegen eine seltene erblich bedingte Bluterkrankung) und Vabysmo (Augenheilmittel) erhalten positive Empfehlungen von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA)
  • 25. Juni: Roche erhält die EU-Zulassung für die subkutane Variante von Ocrevus (Medikament gegen Multiple Sklerose)
  • 24. Juni: Roche erhält die US-Zulassung für Piasky
  • 20. Juni: Roche bringt einen neuen hochempfindlichen Test für die Diagnose von B-Zell-Lymphomen (einer bösartigen Tumorerkrankung des Lymphsystems) auf den Markt

Diese Liste liesse sich fortsetzen. Seit April scheint der Nachrichtenfluss bei Roche peu à peu ins Positive gedreht zu haben. Dabei waren die einzelnen Nachrichten für sich allein in der Regel keine «Game changer», welche die Gewinnerwartungen signifikant nach oben getrieben hätten. Vontobel-Analyst Stefan Schneider schätzt etwa den Spitzenumsatz von Piasky, einem Medikament gegen erblich bedingte Bluterkrankung, auf gerade einmal 200 Mio. Fr. pro Jahr – zudem sei eine US-Zulassung bereits im Bewertungsmodell integriert gewesen.

Die Masse macht’s

Dennoch scheint die Fülle an kleinen positiven News dem Aktienkurs, der in den letzten zwei Jahren aufgrund mehrerer herber Studienfehlschläge fast um die Hälfte eingebrochen war, zuletzt geholfen zu haben. Von Anfang Mai – damals hatten die Genussscheine mit 214 Fr. ein Sechsjahrestief markiert – bis Ende Juni ist der Kurs um rund 20% avanciert.

Ich begann mich bei der Nachrichtenflut rasch zu fragen, ob Roche bei den zahlreichen Mitteilungen der letzten Monate offensiver als sonst kommuniziert hat. Analysten haben sich im Gespräch zuletzt dieselbe Frage gestellt. Dennoch liegt mir nichts ferner, als Roche vorzuwerfen, transparent über ihre Portfolioentwicklungen zu kommunizieren. Auf die Thematik angesprochen, soll Roche vor Analysten betont haben, dass es klare Vorgaben seitens der Aufsichtsbehörden gebe, was für den Aktienkurs relevant sei und dementsprechend umgehend veröffentlicht werden müsse.

Wie dem auch sei: Die kleinen positiven News werden von der Börse momentan mehr goutiert als in der Vergangenheit. Auch scheint das Sentiment bei Investoren zuletzt gedreht zu haben. Bis im Frühjahr lautete die dominierende Frager stets, ob man Roche jetzt noch verkaufen sollte, wo die Aktien doch schon so stark gefallen seien. In den letzten Wochen schien die Frage, ob man jetzt noch kaufen sollte oder eher abwarten, zunehmend präsenter zu sein.

Erneute Enttäuschung mit Hoffnungsträger

Erst gestern hielten wir bei der Halbjahresauswertung unserer Schweizer Aktienfavoriten fest, dass es bei Roche bald einen grösseren Impuls brauche, damit sich der positive Trend bei den Aktien im zweiten Halbjahr fortsetzen könne. Allein mit vielen kleinen News dürfte sich eine nachhaltige positive Trendwende schwierig gestalten.

Und prompt liefert Roche heute Donnerstag eine Ad-Hoc-Nachricht, die tatsächlich von grösserer Tragweite ist – leider jedoch im negativen Sinn. Erneut scheitert der Hoffnungsträger Tiragolumab – eine neuartige Krebs-Immuntherapie – in einer fortgeschrittenen klinischen Studie (Phase-II/III). Konkret geht es um das «Skyscraper 06»-Programm, welches wir Ende letzten Jahres als einen von mehreren möglichen Kurstreibern für 2024 hervorgehoben haben. Das Medikament adressiert einen Markt, der sich bis 2028 gemäss Schätzungen um fast 50% auf 70 Mrd. $ ausweiten könnte.

In der Kombinationsstudie wurde Tiragolumab zusammen mit dem Immuntherapeutikum Tecentriq und einer Chemotherapie bei Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs als Erstlinienbehandlung eingesetzt. Diese Kombination zeigte jedoch eine geringere Wirksamkeit als das Vergleichsmedikament Keytruda des US-Konkurrenten Merck. Zudem wurde sowohl der primäre Endpunkt des progressionsfreien Überlebens als auch der Zwischenendpunkt des Gesamtüberlebens klar verfehlt.

Nicht der erste Fehlschlag mit Tiragolumab

Roche zeigte sich in der Ad-Hoc-Mitteilung «enttäuscht» über die Ergebnisse und gab an, die Testreihe Skyscraper-06 zu beenden. Zudem werde man prüfen, «ob relevante Änderungen am laufenden Tiragolumab-Programm erforderlich sind». Es ist nicht der erste Fehlschlag mit dem Präparat. Bei Skyscraper-02 wurde im Frühjahr 2022 ein Studienziel bei einer bestimmten Form von Lungenkrebs verfehlt und wenig später ein primärer Endpunkt bei der Lungenkrebsstudie Skyscraper-01 nicht erreicht. Es sollte damals den Beginn der Aktienbaisse darstellen.

Heute Donnerstag reagieren die Aktien auf den Studienfehlschlag bis zum Mittag mit einem weiteren Minus von 2%, während der Gesamtmarkt freundlich tendiert.

Die heutige Nachricht ist ein Dämpfer für Roche-Aktionäre. Die Analysten der Zürcher Kantonalbank kündigen an, ihre Schätzung für einen risikobereinigten Spitzenumsatz von Tiragolumab von 1,9 Mrd. Fr. auf nur noch 0,5 Mrd. Fr. zu senken. Auch die Erwartungen für das Immuntherapeutikum Tecentriq, das im Rahmen von Skyscraper-06 mit Tiragolumab kombiniert wurde, will die ZKB von 5,8 Mrd. Fr. auf 4 bis 5 Mrd. Fr. herabsetzen.

Die nächste Chance für das Tiragolumab-Programm bietet sich noch im laufenden zweiten Halbjahr, wenn die Gesamtüberlebensraten der Skyscraper-01-Studie publiziert werden. Positive Nachrichten hätte hier Roche dringend nötig.

Freundlich grüsst im Namen von Mr Market

Henning Hölder

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