Sie hatte sich einiges von der Wahl Donald Trumps versprochen. Doch der sicherheits- und handelspolitische Konflikt zwischen den USA und der EU macht die Lage kompliziert. Nun plant die italienische Ministerpräsidentin eine Reise nach Washington.

«Bleibt ruhig, Leute. Lasst uns nachdenken.» So lautet das Rezept, das Giorgia Meloni ihren Ministern verschrieben hat. Das Zitat stammt aus einem Interview, das die italienische Regierungschefin dieser Tage der «Financial Times» (FT) gewährt hat. Es war das erste Mal überhaupt, dass Meloni seit ihrem Amtsantritt im Herbst 2022 einem ausländischen Medium Rede und Antwort gestanden ist.

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Die Ministerpräsidentin stellt sich darin als Ruhepol in einer aufgeregten Welt dar, als besonnene Kraft zwischen nervösen Politikern im Dauer-Alarmzustand. Beobachter, die besonders nahe am Geschehen im Palazzo Chigi sind, dem Sitz der Regierung in Rom, bestätigen den Eindruck: Giorgia Meloni befinde sich gegenwärtig im «Zen-Modus».

«Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir einfach instinktiv reagieren», sagte sie der «FT». Bei «diesen Themen» sei dies aber nicht angebracht. Diese Themen: Das sind der handels- und sicherheitspolitische Streit, in dem sich die USA und die EU seit der Wahl von Donald Trump befinden.

Die Rolle als politische Zen-Meisterin ist neu für die Rechtsaussen-Politikerin Giorgia Meloni. Sosehr sie ihre europäischen Amtskollegen bei ihrem Amtsantritt mit ihrem prowestlichen Pragmatismus überrascht hatte – wenn sie wollte, konnte sie immer noch aufdrehen. An Parteiveranstaltungen ihrer Fratelli d’Italia sah man sie so, wie man sie kannte: laut, bissig, immer im Angriffsmodus. Als müsste sie ihren Anhängern beweisen, dass sie immer noch die Alte ist, die «ragazza» aus der Garbatella, dem Arbeiterquartier im Süden Roms, wo sie aufgewachsen ist.

Geplatzte Träume

Die Ruhe, die sie nunmehr ausstrahlt, ist freilich auch das Resultat einer beträchtlichen Verunsicherung. Denn von Trumps Einzug ins Weisse Haus hatte sich Meloni zunächst anderes erwartet: freundlichere Töne, Rücksichtnahme, ja vielleicht sogar eine Vorzugsbehandlung. Im Januar flog sie zu einem privaten Dinner nach Mar-a-Lago, wenige Tage später nahm Meloni als einzige europäische Regierungschefin an der Amtseinsetzung Trumps teil. Es sah gut aus, und Meloni träumte wohl von einer Rolle als Brückenbauerin zwischen Europa und den USA.

Ein paar Monate später muss sie nun feststellen, dass daraus erst einmal nichts geworden ist. Trump hat Italien keine Vorzugsbehandlung gewährt. Der Zollhammer gilt für das «Belpaese» gleich wie für alle anderen EU-Staaten. Und auch in sicherheitspolitischer Hinsicht gibt es keine Ausnahmen. Auch Italien muss sein Verteidigungsbudget endlich auf zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes erhöhen und zusammen mit den anderen europäischen Staaten mehr tun für die Verteidigung des alten Kontinents.

Die Frage stellt sich, wie sich Italien unter Meloni angesichts dieser Situation positionieren soll. Besteht angesichts des Verhaltens der Trump-Administration noch Spielraum für eine Vermittlerrolle? Oder muss man die offenkundigen politischen Sympathien für die Politik des US-Präsidenten erst einmal zurückstellen und sich in Solidarität mit der EU und ihren Mitgliedstaaten üben? Riskiert man, «von einem Freund beider Seiten zu einem Feind beider zu werden», wie es Giovanni Orsina, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Luiss in Rom, formuliert?

Giorgia Meloni scheint noch zu lavieren. Im Ukraine-Konflikt bleibt sie bei ihrer grundsätzlichen Position: Unterstützung für Präsident Selenski, Fortsetzung der militärischen und wirtschaftlichen Hilfe für die Ukraine. Gleichzeitig ist sie skeptisch gegenüber dem britisch-französischen Vorschlag der Bildung einer Koalition der Willigen zur Aufstellung einer euro­päischen Friedenstruppe und gegenüber dem gemein­samen Aufrüstungsprogramm der EU-Kommission. Sicherheit in Europa kann in den Augen Melonis nur zusammen mit den USA erreicht werden. Für die Ukraine schlug sie jüngst die Ausweitung der Nato-Sicherheitsgarantie vor, ohne Kiew damit in das Verteidigungsbündnis aufzunehmen. Und für die Entsendung von Friedenstruppen verlangt sie ein entsprechendes Mandat der Uno.

In der Handelspolitik warnt Meloni vor allzu lauten Tönen. Trumps Zölle seien «ein Fehler, aber keine Katastrophe», sagte sie im italienischen Fernsehen. Statt im Gegenzug Strafzölle zu erlassen, seien zum einen Verhandlungen mit den USA nötig, zum anderen gelte es, Hausaufgaben zu machen. «Es gibt viele Zölle, die sich die EU selbst auferlegt hat», so Meloni.

Dazi USA: la mia intervista di poco fa al TG1

Dazu gehörten der Green Deal der EU, die starren Regeln für die Automobilindustrie und generell die Bürokratie, welche die Wirtschaft erdrücke. Zudem müsse der europäische Stabilitätspakt überarbeitet werden. Weniger liberal ist die Regierungschefin, wenn es um den Freihandel geht. Beim Abkommen, das die EU mit dem Mercosur abschliessen will, gehört Italien zu den Bremsern – aus Rücksichtnahme auf die heimische Landwirtschaft.

Für die Opposition ist das viel zu wenig. Meloni sei aus Sympathie für Trump völlig unvorbereitet in die Zollkrise geschlittert, spottete etwa Elly Schlein vom sozialdemokratischen Partito Democratico (PD). Der PD verlangt unter anderem ein Unterstützungsprogramm der Regierung für die einheimischen Unternehmen.

Musk-Show in Florenz

Doch innenpolitisch dürfte die Opposition das kleinste Problem für Giorgia Meloni sein. Vielmehr muss sie sich mit ihren schwierigen Koalitionspartnern herumschlagen. Der eine, Antonio Tajani von der gemässigten Forza Italia, ist nominell Aussenminister und damit zuständig für die Beziehungen zur EU und zu den USA. Der andere, Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega, ist Verkehrsminister, kann aber seine Finger nicht lassen von der Aussenpolitik. Und er teilt den kontemplativen Ansatz seiner Chefin nicht.

Salvini telefoniert ohne Rücksprache mit US-Vizepräsident J. D. Vance, plädiert im Zollstreit für ein bilaterales Vorgehen Italiens ausserhalb der EU-Strukturen – und treibt damit wiederum den Pro-Europäer Tajani zur Weissglut. Am Wochenende hat Salvini zudem Elon Musk eingeladen, am Lega-Parteikongress in Florenz ein Wort an die Anwesenden zu richten. Es geriet zur «Musk-Show», konstatierten die Medien am Sonntag. Der Unternehmer malte das Schreckgespenst des Terrorismus in Europa an die Wand und plädierte – möglicherweise auch zur Überraschung der US-Administration – für die Abschaffung der Zölle und die Einrichtung einer Freihandelszone zwischen Europa und Nordamerika.

Vor allem Salvinis aussenpolitische Eskapaden machen Meloni zu schaffen. Sie mahne ihn zwar immer wieder zur Zurückhaltung, heisst es in Rom. Doch vorderhand lässt sie ihn gewähren. Das Fass sei allerdings am Überlaufen, schreibt der «Corriere della Sera» und zitiert einen Meloni-Vertrauten: «Sollte die Lega ernsthafte Probleme machen, wird Giorgia vom Zen- in den Zorro-Modus wechseln.»

Fürs Erste hat sie das Heft des Handels wieder an sich gerissen. Wie die Medien am Sonntag berichteten, will sie noch vor Ostern nach Washington reisen, um Donald Trump zu treffen – in Absprache mit Ursula von der Leyen, wie es heisst. Möglich, dass sie dabei auch ihre Rolle im transatlantischen Muskelspiel findet.

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