Freitag, September 20

Während die Sozialdemokraten im Bund schwächeln, erfreut sich Dietmar Woidke in Brandenburg hoher Beliebtheitswerte. Trotzdem könnte es seine letzte Amtszeit gewesen sein.

Dieser SPD-Landesvater geniesst Beliebtheitswerte, von denen Olaf Scholz nur träumen kann. Seit elf Jahren lenkt Dietmar Woidke die Geschicke von Brandenburg, momentan in einer Koalition mit CDU und Grünen. Im Rest des Landes würde ihn wohl kaum jemand auf der Strasse erkennen – im eigenen Bundesland hält jeder Zweite ihn für einen guten Ministerpräsidenten. Sogar ein Viertel der AfD-Wähler kann sich vorstellen, ihm die Stimme zu geben.

Doch sollte die AfD bei den kommenden Landtagswahlen zur stärksten Kraft werden, hat Woidke gedroht, sein Amt niederzulegen. Die Wahl findet am 22. September statt. In Thüringen und Sachsen erzielten die Sozialdemokraten nur einstellige Ergebnisse.

Trotz seiner Popularität dürfte es nicht einfach werden, die rechte Konkurrenz zu schlagen. Im Juni 2023 lag die SPD in Brandenburg noch knapp vor der AfD, die beiden Parteien kamen damals in einer Umfrage auf jeweils 24 Prozent der Stimmen. Doch danach hat die AfD die Sozialdemokraten überholt. Erst seit Woidkes Ankündigung, sein Amt bei einer Niederlage abzugeben, konnte die SPD einige Prozentpunkte gutmachen. Der 62-Jährige setzt auf seinen Bonus als Landesvater. Aber reicht das aus, um die Wahl zu gewinnen?

Woidke fordert Zurückweisungen von Asylmigranten

Fragt man den 1-Meter-90-Mann, der auf Plakaten mit seiner Körpergrösse kokettiert, ob er seinen politischen Nachlass schon geregelt habe, antwortet er barsch: «Das brauche ich nicht. Wir werden gewinnen.» Woidke steht in der Potsdamer Biosphäre, umringt von Baumstämmen und Palmenblättern, als er das sagt, nach 100 Minuten Fernsehdebatte.

Die Spitzenkandidaten für den Brandenburger Landtag traten im öffentlichrechtlichen Sender gegeneinander an. Während sich die Kandidaten von CDU, AfD, SPD, Grünen, Freien Wählern und der Partei Die Linke sichtlich bemühten, bei den Zuschauern Eindruck zu hinterlassen, spielte Woidke routiniert seine Landeskenntnisse aus und wirkte manchmal fast gelangweilt von dem Treiben um ihn herum.

Laut einer Umfrage sind die wichtigsten Themen im Wahlkampf «Flucht und Zuwanderung», dann folgt die Bildungspolitik. Es dürfte auch diesem Stimmungsbild geschuldet sein, dass Woidke kürzlich forderte, Migranten an den deutschen Landesgrenzen zurückzuweisen. Das ist eigentlich eine Forderung der Mitte-rechts-Parteien. Damit geht der SPD-Spitzenkandidat auf harte Distanz zu Kanzler Olaf Scholz, den Woidke von Wahlkampfterminen nonchalant ausgeschlossen hat.

Hält er den Kanzler für ein Hindernis im Kampf um Stimmen? «Es geht um Brandenburg», antwortet Woidke lakonisch auf Nachfragen. Seit Scholz’ Amtsantritt sind dessen Beliebtheitswerte stabil gesunken, in Wahlumfragen liegt die SPD deutschlandweit bei 15 Prozent. Für den Ministerpräsidenten wäre Scholz ein Klotz am Bein.

Woidke holte Tesla nach Brandenburg

Dass Woidke sogar bei Anhängern von konservativen bis rechten Parteien beliebt ist, dürfte einerseits an dem Pragmatismus liegen, den seine Partei im Bund oft vermissen lässt, andererseits an Woidkes unverblümter Art. Pragmatisch agierte er bei der Ansiedlung des amerikanischen Autokonzerns Tesla im brandenburgischen Grünheide.

Woidke nennt es das «grösste private Investitionsprojekt in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung». Bei den Anwohnern ist dieses umstritten – trotz den 12 000 Arbeitsplätzen, die Elon Musks E-Auto-Fabrik bietet. Und trotz den 2,1 Prozent Wirtschaftswachstum, die das Bundesland im vergangenen Jahr auch wegen Tesla verzeichnen konnte. Der Bundesdurchschnitt lag 2023 bei Minus 0,3 Prozent.

Unverblümt gibt sich Woidke beim direkten Umgang mit Bürgern. Als er im Januar einen Bauernprotest besuchte, entdeckte er einen Teilnehmer in Warnweste und AfD-Mütze. Woidke sprach ihn direkt an: «Hör mal, du hast die falsche Mütze auf. Oder du willst alle Subventionen streichen? Steht im Grundsatzprogramm. Lies dir das mal durch», sagte Woidke und klopfte dem peinlich berührten Landwirt auf die Schulter.

Hubert Dietmar Woidke ist in einem kleinen Dorf an der Neisse «sehr schön und frei» aufgewachsen, wie er im Podcast des Journalisten Tilo Jung erzählt. Trotzdem habe es Konflikte mit den Zumutungen des DDR-Regimes gegeben. «Dietmar muss seine Einstellung zur Rolle eines sozialistischen Kaders überprüfen», soll es in einem Schulzeugnis der elften Klasse geheissen haben. Was heute lustig klinge, hätte damals beinahe bedeutet, dass er nicht hätte studieren können, sagt Woidke.

Es gelang dann doch. Woidke studierte Landwirtschaft, in den frühen 1990er Jahren unterrichtete er an der Humboldt-Universität, wurde promoviert. Er ist nun Doktor der Agrarwissenschaft, in seiner Doktorarbeit widmete er sich der Tierfütterung. 1993 trat er der SPD bei. Von den späten 1990er Jahren bis 2010 war er in der Stadtverordnetenversammlung Forst und im Kreistag Spree-Neisse aktiv.

Sein Amtsvorgänger Matthias Platzeck machte ihn zum Kronprinzen. Ab 2004 war Woidke Minister für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz. 2009 ernannte Platzeck ihn zum Innenminister Brandenburgs, vier Jahre später löste dieser Platzeck als Ministerpräsidenten ab. Der Vorgänger war nach einem Schlaganfall zurückgetreten.

Leichtsinn unter Brandenburgern verpönt

Den Fall der Berliner Mauer erlebte der damalige DDR-Bürger Woidke hautnah. Er habe sich damals mit anderen Demonstranten an der Bornholmer Strasse befunden, dem Grenzübergang nach Westberlin. Die Situation habe er als bedrohlich in Erinnerung. «Ick hatte Riesen-Sorge», sagt er über die Montagsproteste. Nach dem Mauerfall folgte die Euphorie.

Nach seinem Studium und einem mehrjährigen Aufenthalt in Bayern lebt Woidke nun wieder mit seiner Frau in der Kreisstadt Forst im Süden Brandenburgs. Beide bringen jeweils eine Tochter aus erster Ehe mit. Die Region um Forst in der Niederlausitz ist ländlich geprägt und hat mit Cottbus und Potsdam nur zwei grössere Städte. Prominente wie Wolfgang Joop schätzen die Abgeschiedenheit fernab von Berlin.

Das Bundesland, dessen rot-weisse Flagge ein roter Adler ziert, war einst Kernland von Preussen. Der Untergang des NS-Staates bedeutete auch den Untergang des einstigen Herzogtums. Noch heute gelten Pflichtbewusstsein, Nüchternheit und Sparsamkeit als preussische Tugenden. In einem Buch über die Mark Brandenburg heisst es: «Leichtsinn ist hier verpönt, hier herrscht Schwersinn.»

Es ist kaum vorstellbar, dass Woidke sich der Leichtsinnigkeit hingäbe, kurz vor den Landtagswahlen betrunken mit einem E-Scooter zu fahren. Diesen Schnitzer hat sich sein Konkurrent und Koalitionspartner Jan Redmann geleistet. Redmanns Christlichdemokraten liegen in Umfragen momentan knapp vor dem Bündnis Sahra Wagenknecht.

Kommt in Brandenburg eine Koalition mit dem BSW?

Wie bereits in Sachsen und Thüringen stellt sich auch in Brandenburg die Frage, ob die SPD – mit oder ohne Woidke – eine Koalition mit der Wagenknecht-Partei einginge. Der Ministerpräsident schliesst das nicht aus und sagt, dass es davon abhänge, welches Personal in den Landtag einziehe. Ein Nein klingt anders.

So könnte es auf eine Koalition aus SPD, CDU und BSW hinauslaufen. Die Grünen kämpfen um die 5-Prozent-Hürde und könnten vermutlich nur über ein Direktmandat ins Landesparlament einziehen. Für die jetzige Kenya-Koalition aus SPD, CDU und Grünen würde es nach aktuellen Umfragen nicht ausreichen.

Signalwirkung über Landesgrenzen hinaus

Auch wenn Woidkes Team sich selbstbewusst gibt, werden drei Namen aus der brandenburgischen SPD als Nachfolger gehandelt: der Fraktionschef Daniel Keller, Kulturministerin Manja Schüle und Finanzministerin Katrin Lange.

Ob Woidkes Beliebtheit genügt, um die AfD und ihren Spitzenkandidaten Hans-Christoph Berndt auf den zweiten Platz zu verweisen, könnte auch ausserhalb der brandenburgischen Landesgrenzen politische Signalwirkung haben.

Sollte dem amtierenden Ministerpräsidenten das Kunststück gelingen, käme das einem deutlichen Weckruf für den unbeliebten Olaf Scholz gleich, der ebenfalls in Brandenburg wohnt. Gelingt es jedoch nicht, wird die AfD aus der zweiten Landtagswahl in diesem Jahr als stärkste Kraft hervorgehen.

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