Samstag, November 2

Weil niemand mit der FPÖ koalieren will, dürfte in Österreich künftig erstmals ein Dreierbündnis regieren. Die liberale Partei Neos steht bereit und will beweisen, dass sie tatsächlich eine Reformkraft ist.

Was in Österreich gewohnheitsmässig immer noch grosse Koalition genannt wird, gibt es in dieser Form nicht mehr. Bei der Wahl Ende September haben die Konservativen (ÖVP) und die Sozialdemokraten (SPÖ) zwar etwas überraschend zusammen nochmals eine Mandatsmehrheit erreicht. Erstmals belegen die beiden Parteien aber nicht die ersten beiden Plätze, sondern wurden nur zweit- und drittstärkste Kraft.

Weil alle Parteien ein Zusammengehen mit der Wahlsiegerin FPÖ ausschliessen, dürfte es nach einem Unterbruch von sechs Jahren dennoch zu einer Neuauflage des Bündnisses kommen, das einst die übliche Regierungskonstellation war. Allerdings hätten Schwarz und Rot zusammen nur eine Mehrheit von einem einzigen Sitz. Der mit der Bildung einer neuen Koalition betraute ÖVP-Chef Karl Nehammer erklärte denn auch, es werde für eine stabile Regierung einen dritten Partner brauchen.

Das Wahlresultat ist trotz Zugewinn eine leise Enttäuschung

Ein Dreierbündnis ist für Österreich auf Bundesebene eine Premiere, und es macht sowohl die derzeit stattfindenden Sondierungen als auch die künftige Zusammenarbeit komplizierter. Mehr Parteien bedeuten mehr Konfliktpotenzial, was die «Ampel» in Deutschland zeigt. Allerdings stand die damals grosse Koalition in ihrer letzten Phase von 2007 bis 2017 vor allem für Streit und gegenseitige Blockade. Eine Konstellation zu dritt ist dagegen unverbraucht und steht viel eher für den Auftrag, den alle Parteien im Wahlergebnis sehen: «Kein ‹weiter wie bisher›.»

Möglich ist das mit beiden im Parlament vertretenen Kleinparteien, dem liberalen Neos oder den Grünen. Nehammer hat auch mit beiden schon ein erstes Gespräch geführt. Die Chancen von Neos sind jedoch deutlich besser: Die Grünen haben mit ihrer Beharrlichkeit in den vergangenen fünf Jahren der ÖVP viel abverlangt. Vor allem seit ihre Umweltministerin im Juni gegen den Willen der Koalitionspartnerin für das EU-Renaturierungsgesetz stimmte, gilt das Verhältnis als zerrüttet. Und selbst die SPÖ koaliert auf Landesebene in Wien derzeit einvernehmlicher mit den hierzulande pinkfarbenen Liberalen als zuvor zehn Jahre lang mit den Grünen.

Dass Neos in die Regierung drängt, steht ohnehin ausser Frage. Die Partei hatte das in den vergangenen Monaten immer wieder deutlich gemacht und sich nicht zu Unrecht als einzige echte Reformkraft präsentiert. Anders als die Konkurrenz sprach sie unbequeme Wahrheiten an, etwa dass gravierende Budgeteinsparungen notwendig seien oder mittelfristig das Rentenalter erhöht werden müsse. Die Parteichefin Beate Meinl-Reisinger erhielt viel Lob für ihren engagierten Wahlkampf, in dem sie Lust an Veränderung versprühte.

Angesichts dessen war das Ergebnis von gut neun Prozent der Stimmen eine leise Enttäuschung, zumal sowohl die ÖVP als auch die Grünen stark verloren – jene Parteien also, mit denen die Liberalen den grössten Wähleraustausch haben. Andererseits hat Neos als einzige Parlamentspartei neben der FPÖ dazugewonnen, so wie bisher bei jeder Nationalratswahl seit der Gründung vor zwölf Jahren. Das haben die Pinkfarbenen auch der Vorgängerpartei Liberales Forum voraus, die in den neunziger Jahren nur zwei Mal den Einzug ins Parlament schaffte.

Liberale Ideen haben es in Österreich schwer, und Neos bemüht sich auch gar nicht um breite Popularität. Die Partei legt den Fokus auf die Wirtschafts- und die Bildungspolitik, wo sie die Abkehr von jahrzehntealten Dogmen verlangt. Sie plädiert für mehr Autonomie der Schulen, eine Schuldenbremse oder das Hinterfragen der Neutralität – für Österreich sind das fast revolutionäre Ideen.

Damit spricht Neos gut gebildete Städter, Junge und Unternehmer an. Die Partei präsentiert sich dennoch weniger elitär als die deutsche Schwester FDP. Sie verfügt zudem über Abgeordnete mit viel Sachkenntnis, die auch Erfahrungen abseits der Politik gesammelt haben.

Rückschläge in den Ländern und Gemeinden

Auf Landes- und Gemeindeebene musste Neos jüngst dennoch schwere Rückschläge hinnehmen. Im ländlichen Burgenland und in Kärnten schafften es die Liberalen nicht in den Landtag, und selbst in den Städten Salzburg und Innsbruck schnitten sie dieses Jahr miserabel ab. Ein Debakel war vor allem die Landtagswahl in Salzburg vor anderthalb Jahren, wo Neos nicht nur aus der Landesregierung, sondern sogar aus dem Landtag flog.

Das zeigt auch die Gefahr des Mitregierens auf Bundesebene. Einerseits will die Partei endlich vor einer breiten Öffentlichkeit die Reformkraft unter Beweis stellen, für die sie sich rühmt. Andererseits wäre sie nur Juniorpartnerin in einer Koalition mit zwei Kräften, die grundlegender Veränderung gegenüber eher resistent sind und die noch dazu Neos nicht zwingend für eine Mehrheit brauchen. Ob es so gelingt, Akzente zu setzen, ist fraglich.

Klar ist dagegen, dass die Verhandlungen dauern werden und auch Neos der Basis einen Erfolg wird präsentieren müssen. Wenig würde den Liberalen mehr schaden, als um der Macht willen dem gewohnten schwarz-roten Trott zur Mehrheit zu verhelfen. Derweil wird schon einmal ein Name für das mögliche Bündnis gesucht. Weil die ÖVP seit Sebastian Kurz türkis auftritt, ist «Zuckerl-Koalition» hoch im Rennen – bunt wie Bonbons, die hierzulande Zuckerln genannt werden. Zumindest die Bezeichnung hat Chancen, populär zu werden.

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