Freitag, November 15

Die Reaktion vieler Harris-Anhänger nach dem Wahlsieg von Donald Trump ist symptomatisch: Man zeigt sich betroffen, zieht sich in die Depression zurück und sorgt sich um die eigene Befindlichkeit.

Über eine Woche nach Donald Trumps Wahlsieg dominiert bei vielen Linken noch immer ein Gefühl, das man sonst nach dem Tod eines geliebten Menschen kennt: Trauer. In öffentlichen Bekenntnissen ist von Angst und Ohnmacht die Rede. Eine Niederlage von Kamala Harris schien nicht vorstellbar. Weil es nicht sein durfte.

Das Magazin «Rolling Stone» fragt: «Ein flaues Gefühl im Magen?» Und stellt die Diagnose: «Das ist politische Trauer.» Dabei wirkt das Beschreiben der eigenen Befindlichkeit gerade nicht politisch, also kämpferisch und angriffig. Sondern es ist ein Rückzug in die Depression. Man gibt sich den Gefühlen hin, handlungsunfähig zu sein.

Schon kurz nachdem Trumps Sieg festgestanden hatte, liessen zahlreiche Prominente ihren Gefühlen freien Lauf. Die Sängerin Ariana Grande schrieb auf Instagram: «Ich halte die Hand aller Menschen, die heute die unermessliche Schwere dieses Ausgangs spüren.» Schauspielerin Christina Applegate: «Mein Kind weint, weil ihm seine Rechte als Frau weggenommen werden könnten.» Der Schauspieler Alec Baldwin postete nur ein schwarzes Bild. Der Moderator Jimmy Kimmel kämpfte in seiner Late-Night-Show mit den Tränen.

Eine Gastautorin schreibt in der «New York Times», wie sich ihre Augen am Tag danach wie Sandpapier angefühlt hätten, in ihrem Hals stecke ein Kloss: «Die Lieblichkeit schien für immer aus der Welt verschwunden zu sein.» Sie, eine Liberale, wolle nicht mehr kämpfen, sondern zu ihrem «Survival Kit» gehöre es nun, die Zärtlichkeit in der Trauer zu finden. Für Trauer gebe es keine Heilung. Die Einsamkeit lindern könnten aber Gedichte, Spaziergänge im Wald, das Zusammensein mit Freunden.

Psychologische Unterstützung für Journalisten

Seit dem 6. November reaktivieren die Medien ein Genre, das bei Trumps Wahlsieg vor acht Jahren beliebt wurde. Im Beitrag im «Rolling Stone» geben «Experten für psychische Gesundheit» Rat, wie man sich angesichts der «traumatischen Ereignisse» für eine «schreckliche und ungewisse Zukunft» wappnet. «Denken Sie daran, dass Sie nicht allein sind, wenn Sie über den Ausgang der Wahl trauern», wird eine Psychologin zitiert. Es könne hilfreich sein, die kollektive Trauer anzuerkennen, die ein grosser Teil des Landes durchlebe.

Europäische Medien unterrichten ihr Publikum gleichermassen über Bewältigungsstrategien. Der «Spiegel» fragt eine Verhaltenstherapeutin: «Was kann ich tun, wenn ich wegen Donald Trump Angst habe?» Die Antwort dürfte auch die Autorin des «Spiegels» interessieren, die sich in einem anderen Beitrag angesichts von Trumps Rückkehr «niedergeschlagen, schutzlos, ohne Hoffnung» fühlt.

In einem internen Memo soll der britische «Guardian» seine Mitarbeiter informiert haben, wo sie bei Bedarf psychologische Unterstützung erhalten. In einem Newsletter nannte Chefredaktorin Katherine Viner den Wahlausgang «verheerend».

Von X hat sich die linke Zeitung soeben zurückgezogen mit der Begründung, dass hier oft rechtsextreme Verschwörungstheorien und Rassismus beworben würden. Der Präsidentschaftswahlkampf in Amerika habe deutlich gemacht, «was wir schon lange befürchtet haben: dass X eine toxische Medienplattform ist und ihr Eigentümer, Elon Musk, deren Einfluss nutzen konnte, um den politischen Diskurs zu beeinflussen». Auch viele Swifties, die Fans von Taylor Swift, wechseln nun von X zum Netzwerk Bluesky, wo es weniger Hass geben soll.

Schreitherapie in New Yorker Klubs

Es hat etwas Resignatives, wenn der Unterlegene so schnell und kampflos das Feld räumt. Oder sich auf sich und seinen Schmerz zurückbesinnt. Kamala Harris sprach vor allem Trost aus, als sie in ihrer Rede ihre Niederlage eingestand. «Es ist in Ordnung, traurig und enttäuscht zu sein, aber bitte seid euch darüber im Klaren, dass alles wieder gut wird», sagte sie zum Publikum, das weinte und sich in den Armen lag. Man solle niemals aufgeben, stattdessen weiterkämpfen, fügte sie immerhin an.

Zwar kam es auch jetzt in einigen amerikanischen Städten zu Anti-Trump-Protesten. Im Gegensatz zu Trumps Wahlsieg 2016, als Tausende von Amerikanerinnen und Amerikanern auf die Strasse gingen und «Nicht mein Präsident» skandierten, bleiben die Teilnehmerzahlen aber bescheiden.

Stattdessen macht man Gruppentherapie. So veranstaltete der New Yorker Klub «House of Yes» am vergangenen Wochenende an drei Abenden einen «Gemeinschaftlichen kathartischen Schrei»: Genau um Mitternacht stoppte die Musik, und man schrie seine Wut, die Trauer und den Schmerz hinaus. «Ins Leere schreien ist besser, wenn man es mit Freunden macht», stand in der Ankündigung.

Für viele Linke gab es keine andere Vorstellung, als dass Harris gewinnt, auch, damit Trump verhindert wird, weshalb sie das Unabänderliche des demokratischen Entscheids nun so verstört.

Trump-Anhänger konnten sich dessen Niederlage genauso wenig vorstellen. Das machten sie schon vor den Wahlen klar. Allen voran Trump, der sagte, sollte er verlieren, könne es sich nur um Wahlbetrug handeln. Der Sturm aufs Kapitol vor vier Jahren gab eine Ahnung: Therapeutische Selbstbefragung hätte man wohl nicht erwarten müssen.

Das kann die Gegenseite besser. Die Reaktionen auf den Ausgang der amerikanischen Wahlen geben Einblick in die therapeutische Kultur, die die woken Linken in den vergangenen Jahren mitgeprägt haben. Die Welt mag sich noch so falsch anfühlen. Doch Gefühle können nie falsch sein. In ihrer durchpsychologisierten Sprache: Trump ist ein Trauma.

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