Mittwoch, Oktober 2

Parteien von SVP bis Grüne haben sich im Zürcher Kantonsrat auf einen neuen Parkplatzkompromiss geeinigt.

Es dauert keine zehn Sekunden, bis die zwei Wörter zum ersten Mal fallen: «historischer Kompromiss». Aussprechen tut sie Barbara Franzen. Die FDP-Kantonsrätin sitzt in einem geräumigen Sitzungszimmer im Zürcher Rathaus Hard, links und rechts von ihr Vertreter aller grossen Parteien – von der SVP bis zu den Grünen.

Vor Franzen ist ein Seilknäuel auf dem Tisch platziert, hoffnungslos verknotet. Die Symbolik ist augenfällig. Hier haben sich Politiker zusammengerauft, um ein Problem zu lösen, einen gordischen Knoten zu durchschlagen. Und das wollen sie den Medien und der Öffentlichkeit nun verkünden.

Das Problem in Kurzform: Heute ist es so, dass Bauherren im Kanton Zürich beim Erstellen von Liegenschaften stets Parkplätze «im gebotenen Ausmass» sicherstellen müssen. So steht es im kantonalen Planungs- und Baugesetz. Linke Parteien und namentlich die Auto-adverse Stadt Zürich stören sich schon lange an dieser Formulierung. Sie wollen nicht mehr, sondern weniger Parkplätze.

Wie die Gemeinden den Passus im kantonalen Gesetz heute genau umsetzen, ist ihnen überlassen. In manchen Kommunen gilt die Regel: Pro erstellter Wohnung braucht es zwingend einen Parkplatz – auch dort, wo das eigentlich gar nicht nötig ist. In einer Siedlung mit Alterswohnungen zum Beispiel, in der viele Seniorinnen und Senioren gar kein Auto besitzen, ergibt eine starre Parkplatzvorschrift wohl tatsächlich wenig Sinn. Andernorts – etwa in Kernzonen – ist der Bau von Tiefgaragen kompliziert bis unmöglich.

Millionen im Parkplatzfonds

Es braucht darum mehr Flexibilität: Zu dieser gemeinsamen Haltung haben sich Barbara Franzen und ihre Kolleginnen und Kollegen aus der zuständigen Kommission im Kantonsrat nach zähen Verhandlungen durchgerungen. Auf die veränderten Mobilitätsbedürfnisse der Zürcherinnen und Zürcher gelte es Rücksicht zu nehmen, sagt sie. Das Auto ist heute nicht mehr das einzige wichtige Verkehrsmittel, vor allem nicht im urbanen Gebiet. Es gibt auch das Velo oder die eigenen zwei Beine.

Darum soll das Gesetz geändert werden. Neu ist dort nicht mehr explizit von «Motorfahrzeugen» die Rede sein, sondern generell von «Verkehrsmitteln». Und die Gemeinden dürfen neu auf Antrag der Bauherrschaft auch eine tiefere Anzahl an Abstellplätzen festlegen. Damit ist der Weg frei für mehr autofreie Wohnsiedlungen im Kanton Zürich, ganz nach dem Motto: Parkplätze für E-Bikes statt E-Klassen.

Es gibt eine weitere Neuerung. Bis heute ist es so, dass Bauherren, welche die Parkplatzpflicht nicht erfüllen können, eine Ersatzabgabe zahlen müssen. So sind in vielen Gemeinden über die Jahre Fonds mit beträchtlichen Summen entstanden. Rund 30 Millionen Franken schlummern darin, am meisten in der Stadt Zürich. Das Geld hat heute eine enge Zweckbindung. Es darf nur ausgegeben werden, um in der Nähe der gebauten Liegenschaft Parkplätze zu schaffen oder den öV zu fördern.

Diese Bedingung will eine Mehrheit der Kommission aufweichen. Neu sollen die Gemeinden das Geld generell «für die Mobilität» verwenden können. Darunter kann man sich vieles vorstellen – vom Bau von Velowegen bis hin zu Werbekampagnen für den Fussverkehr. Die Umsetzung obliegt den Gemeinden.

700 Seiten Papier produziert

Das sind die Grundzüge des neuen «historischen Kompromisses», wie ihn Barbara Franzen nannte. Dies mit klarer Anspielung auf den legendären Parkplatzkompromiss aus der Stadt Zürich. Jener besagte, dass für jeden abgebauten Parkplatz an der Oberfläche ein neuer unterirdisch entstehen muss. Die Stadtzürcher Stimmbevölkerung beerdigte diese Lösung, die unter anderem den autofreien Münsterhof und den Sechseläutenplatz ermöglichte, mit der Annahme des kommunalen Verkehrsrichtplans im Jahr 2021. Er hatte 25 Jahre lang Bestand.

Der neue Parkplatzkompromiss des Kantonsrats zielt in eine andere Richtung und dürfte nicht die gleich grossen Auswirkungen haben. Lange darum gerungen hat die vorberatende Kommission aber dennoch. Fast vier Jahre lang brütete sie über der Umsetzung zweier parlamentarischer Initiativen von linker Seite zu dem Thema. 700 Seiten mit Rückmeldungen wurden in dieser Zeit produziert. «Parkplätze bewegen die Gemüter», so fasste es die Kommissionspräsidentin Franzen zusammen.

Dass nun eine sehr breit abgestützte Lösung feststeht, wertet die FDP-Frau als Erfolg. Als Nächstes kommt das Geschäft in den Kantonsrat. Gestritten werden dürfte dort nur noch um Details.

Ein Referendum ist nicht zu erwarten. Vor allem, weil sich auch die SVP als quasi letzte Autopartei dem Ergebnis anschliesst. Kantonsrat Peter Schick betont, dass die SVP sich weiter für Autofahrer einsetzen werde. Hinter dem Kompromiss stehe man vor allem, weil man dadurch in der Kommission «Schlimmeres verhindern konnte». Mit der gefundenen Lösung stärke man die Hoheit der Gemeinden; das sei auch ein wichtiger Wert für die SVP.

Auch die anderen beteiligten Parteien streichen Vorteile hervor, die zu ihren Profilen passen. Die FDP lobt die Flexibilisierung, die privaten Bauherren nützen werde. Die GLP schätzt die «Modernisierung» des kantonalen Gesetzes, das heute zu sehr auf Motorfahrzeuge ausgerichtet sei. SP und Grüne träumen von vielen neuen autofreien Überbauungen und mehr Mitteln für den Veloverkehr. Die Mitte findet Kompromisse an und für sich gut und spricht von einem «goldenen Mittelweg», der die Verkehrsmittel nicht gegeneinander ausspiele.

Und Barbara Franzen? Die Kommissionspräsidentin hat an der Medienkonferenz immer noch den verknoteten Seilknäuel vor sich auf dem Tisch liegen. Beherzt greift sie nun zu einem altertümlichen Säbel, den man wohl irgendwo im Archiv des Kantonsrats ausgegraben hat. Manche fragen sich im Sitzungszimmer schon, wie die blitzende Waffe die Sicherheitskontrollen des Rathauses passieren konnte. Franzen holt aus. Doch die Waffe ist stumpf, und der Knoten bleibt ganz. Was bleibt, ist das Erinnerungsfoto.

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