Freitag, September 20

Das deutsche Rentensystem verkommt zum Schwindel. Bald steigen die Jungen aus dem Generationenvertrag aus. Trotzdem ist die Schweiz dabei, die gleichen Fehler zu wiederholen.

Deutschlands Rentensystem ist ein Fass ohne Boden: 1200 Milliarden Euro braucht das Land an zusätzlichem Geld – nur damit die Renten auch künftig stabil bleiben. So hat es die Stiftung Marktwirtschaft in Berlin errechnet.

Und doch nehmen es die Leute erstaunlich gelassen hin und zeigen sich unbekümmert. Man hat sich schlicht daran gewöhnt, dass der Staat mit immer noch grösseren Milliardenbeträgen jongliert. In der Schweiz hat das Stimmvolk gar beschlossen, die Altersrente kräftig auszubauen: Jeweils vor Weihnachten erhalten die Pensionäre eine zusätzliche 13. AHV-Rente. Woher das Geld stammen soll, lässt der Beschluss pikanterweise offen.

Immerhin, im Vergleich zu den Deutschen können sich die Schweizer ihre Spendierfreude viel eher leisten. Denn die deutschen Rentner leben primär vom Umlageverfahren, sprich: vom Geldtransfer der Erwerbstätigen. In der Schweiz dagegen existiert daneben eine zweite Säule, in welcher die Leute steuerprivilegiert ihr eigenes Altersguthaben ansparen. 1200 Milliarden Franken liegen mittlerweile in den Pensionskassen – das entspricht dem Eineinhalbfachen der jährlichen Wirtschaftsleistung. Die Geldanlage hat über die letzten zwei Jahrzehnte einen stolzen Anlagegewinn von 500 Milliarden abgeworfen.

Weg mit den Pensionskassen

Man würde erwarten, dass diese goldene Gans in der Schweiz eine grosse Popularität geniesst. Doch weit gefehlt. Die politische Linke betreibt derzeit eine aggressive Kampagne gegen die zweite Säule. Sie nutzt die anstehende Volksabstimmung für eine Pensionskassenreform, um das System des kapitalgedeckten Sparens generell schlechtzumachen.

Die Pensionskassen seien ein «Selbstbedienungsladen der Finanzabzocker», behauptet etwa SP-Co-Präsident Cédric Wermuth. Er verschweigt dabei geflissentlich, dass die Arbeitnehmer paritätisch in die Führung dieser Kassen eingebunden sind. Noch absurder ist die Kritik der Umweltorganisation Greenpeace: Sie geisselt die «Renditefixierung» der zweiten Säule und lobt die AHV dafür, dass sie nicht «profitorientiert» sei.

SP und Grüne sehen das Heil darin, die Pensionskassen kurzerhand abzuschaffen. Das gesamte Vermögen der zweiten Säule solle in die AHV fliessen, verlangten die beiden Parteien vor Jahresfrist in einer parlamentarischen Initiative. Ihr grosser Traum ist eine Volkspension – eine Kopie der deutschen Rentenversicherung. «Generationensolidarität statt Individualismus», lautet ihre Losung.

Wie diese angebliche Generationensolidarität in der Realität funktioniert, lässt sich in Deutschland beobachten: Weil die Kosten für die Renten immer mehr aus dem Ruder laufen, werden die Erwerbstätigen massiv zur Ader gelassen.

Konkret steigt der Beitragssatz für die Rentenversicherung von heute schon sehr hohen 18,6 Prozent künftig auf 22,3 Prozent – das entspricht einer Zunahme von einem Fünftel. Für einen durchschnittlichen Angestellten, der im Monat 4300 Euro verdient, heisst das: Über das ganze Erwerbsleben zahlt er mehr als 500 000 Euro in die Taschen der Rentner.

Da aber das gefrässige Rentensystem mit Lohnbeiträgen längst nicht satt wird, braucht es obendrauf immense Steuergelder: Über 100 Milliarden Euro muss der Staat Jahr für Jahr einschiessen. Trotz all diesen Geldtransfers liegt das Rentenniveau in Deutschland bei gerade einmal 48 Prozent des Einkommens. Die Schweiz erreicht dank ihren beiden Säulen 60 Prozent. Überdies müssen die Deutschen künftig bis 67 arbeiten, während sich die Schweizer bereits mit 65 in den Ruhestand verabschieden.

Die Zeche zahlen die Jungen

Es lässt sich kaum noch kaschieren: Die Rentenversicherung oder Volkspension, welche die linken Parteien so unerschütterlich propagieren, ist in der Praxis nicht bezahlbar. Das Gerede von der Solidarität zwischen den Generationen verkommt zur Heuchelei. Fehlt der Nachwuchs in einer Gesellschaft, so ist das System zum Scheitern verurteilt.

Jedes Umlageverfahren, das eine Rente fix garantiert, wird zum Schneeballsystem, sobald immer mehr Rentenbezüger immer weniger Einzahlenden gegenüberstehen. Was die Anhänger einer Volkspension ignorieren: Fair ist diese nur dann, wenn gleichzeitig zwei Generationenverträge erfüllt sind. Der erste Pakt ist derjenige mit den Eltern: Diese haben mich grossgezogen und mir eine Ausbildung ermöglicht. Im Gegenzug finanziere ich ihnen die Rente.

Doch mit diesem ersten Pakt habe ich mein eigenes Einkommen im Alter noch nicht finanziert. Dazu braucht es einen zweiten Deal: Meine Generation muss ebenfalls in genügender Zahl Kinder aufziehen, damit aus diesen künftige Beitragszahler werden. Dass wir stattdessen immer weniger Kinder haben und dennoch eine ungekürzte Rente einfordern, bedeutet einen Angriff auf die Generationengerechtigkeit.

Noch in den 1980er Jahren finanzierten in Deutschland knapp drei Arbeitnehmer einen Rentner. Bis 2045 wird dieses Verhältnis laut offizieller Prognose auf nur gerade 1,5:1 sinken. Die tiefe Geburtenrate und die höhere Lebenserwartung verstärken sich hier gegenseitig. Wäre die deutsche Rentenversicherung eine echte Versicherung, so würde sich die demografische Realität längstens auf die Leistungen auswirken. Dito für die AHV in der Schweiz. Dass sich die Politik dennoch um diese simple Mathematik foutiert, liegt auch daran, dass die Hälfte der Wähler inzwischen älter als 55 ist.

Trittbrettfahrer profitieren

Paradoxerweise liegt eine der wichtigsten Ursachen für den Geburtenrückgang im Rentensystem selbst. Denn dieses ist eine Versicherung gegen die Kinderlosigkeit. Vor dessen Einführung musste man eigene Kinder zeugen, um sich vor der Altersarmut zu schützen. Wer ungewollt kinderlos blieb, war damals benachteiligt. Die soziale Sicherheit fördert allerdings das Trittbrettfahren: Heute kann man sich die Mühe und die Kosten für den Nachwuchs sparen, ohne im Alter eine Einbusse zu erleiden.

Sind die Jungen folglich in einem Zwangsvertrag gefangen? Auf den ersten Blick mag es so wirken: Selbst den Anstieg der Lohnabzüge auf horrende 22,3 Prozent müssen sie zähneknirschend hinnehmen. Trotzdem ist es fahrlässig, dieses Spiel dermassen auf die Spitze zu treiben. Denn ein solch einseitiger Generationenvertrag kann nicht lange überdauern.

Aus gutem Grund warnt etwa der Freiburger Professor und Rentenexperte Bernd Raffelhüschen, dass der Kipppunkt bald erreicht sei. Nach seiner Prognose müssen deutsche Angestellte bereits in zwei Jahrzehnten über die Hälfte ihres Lohns an die Sozialversicherungen abliefern. Nebst der Rente steigen auch die Abzüge für die Kranken- und Pflegeversicherung unablässig an. Und vom verbleibenden Lohn sollen die Erwerbstätigen dann auch noch ordentlich Steuern bezahlen.

Wer einigermassen rechnen kann, wird sich dieser Maschinerie entziehen. Zum Beispiel durch eine Abstimmung mit den Füssen: Schon jetzt nimmt die Zahl der Auswanderer konstant zu. Derweil bürgern sich in der Schweiz mehr Deutsche ein denn je. Eine weitere Option ist der Wechsel in die Selbständigkeit oder in die Schattenwirtschaft. Ausserdem werden immer mehr Leute ihr Arbeitspensum auf das Nötigste beschränken, da jeder zusätzliche Verdienst ohnehin beim Staat landet.

Wenn schon bald einem Rentner nur noch 1,5 Beitragszahler gegenüberstehen, so bringt jeder Erwerbstätige, der sich ausklinkt, das System weiter in Schieflage. Doch der Schaden geht über die Finanzierung der Renten hinaus: In einem Land, in dem sich das Arbeiten nicht mehr lohnt, wird auch nicht mehr investiert, und die Wertschöpfung stagniert.

Die Geburtenrate sinkt

Schliesslich führt die steigende Abgabenlast dazu, dass sich junge Familien erst recht keine Kinder mehr leisten können. In Deutschland wie in der Schweiz ist die Geburtenrate weiter am Sinken, zuletzt auf unter 1,4 Kinder pro Frau. Zwar gibt es in Ostasien noch weniger Nachwuchs, den gegenwärtigen Rekord hält Südkorea mit einer Geburtenrate von 0,7. In diesen Ländern ist es allerdings völlig normal, dass Personen über 70 weiterhin arbeiten.

Letztlich ist das Rentensystem nichts anderes als nüchterne Arithmetik. Jede Generation wird einmal alt und kann auf zweierlei Arten vorsorgen: Sie bildet Humankapital, indem sie Kinder in die Welt setzt. Oder sie legt gespartes Geld auf die Seite und schafft damit Realkapital, welches sie im Ruhestand verzehren kann.

Sowohl Deutsche als auch Schweizer haben es verpasst, im erforderlichen Mass Humankapital aufzubauen. Deutschland bezahlt nun einen hohen Preis dafür, dass es nicht rechtzeitig eine zweite Säule in Form einer kapitalgedeckten Vorsorge errichtet hat. Zumal der Kapitalstock mindestens drei Jahrzehnte lang wachsen muss, bis er regelmässig substanzielle Gewinne abwirft.

Dieses Problem hat die Schweiz glücklicherweise nicht. Und doch wollen breite politische Kreise diesen Trumpf mutwillig zerstören? Deren Geisselung der Pensionskassen lässt sich nur mit einem dogmatischen Antikapitalismus erklären: Jede Investition an den Finanzmärkten ist per Definition des Teufels – folglich auch das Vorsorgesparen in einer alternden Gesellschaft. Verkauft wird dieser Feldzug unter dem Mäntelchen der Generationensolidarität: ein Schwindel, der früher oder später auffliegen muss.

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