Die Luftfahrt in Europa hat sich das Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Jetzt zeigt sich: Wasserstoff-Flugzeuge spielen vorerst doch keine Rolle. Das ist ein Problem.
Ist Wasserstoff nun der Kraftstoff der Zukunft, ein Kraftstoff der Zukunft oder kein Kraftstoff der Zukunft?
Seit Jahren liefern sich Forscher, Industrievertreter und Politiker einen Streit darüber, welche Rolle Wasserstoff in der Energiewende spielen wird. Jetzt hat der europäische Luftverkehrssektor seine eigenen Erwartungen für die kommenden Jahrzehnte heruntergeschraubt: Wasserstoff werde wohl eine sehr viel kleinere Rolle spielen als ursprünglich angenommen.
Die Feststellung lässt sich in der jüngsten Roadmap 2050 finden, einer Studie, die anhand verschiedener Modellierungen vorrechnet, wie der gesamte Sektor in der EU seine Emissionen bis zur Jahrhundertmitte auf netto null reduzieren kann. Die fünf grossen europäischen Industrieverbände der Luftfahrt veröffentlichten im Jahr 2021 die erste Roadmap, dazu gehören die Airlines, die Flughafenbetreiber und Behörden für zivile Flugsicherheit.
Weltweit ist die Luftfahrt heute für nur rund 2,5 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Der Anteil am Klimawandel liegt laut Forschern jedoch bei rund 4 Prozent, wenn man die Kondensstreifen, Russpartikel sowie Schwefel- und Stickstoffverbindungen einrechnet, die durch den Flugverkehr verursacht werden. Mit steigenden Einkommen wird auch die Luftfahrt zunehmen und damit der mögliche CO2-Fussabdruck der Branche.
Wasserstoff-Fans müssen sich gedulden
Im Jahr 2021 galt grüner Wasserstoff – der mithilfe von erneuerbarem Strom hergestellt wird – noch als einer der grossen Hoffnungsträger, um den Umstieg von schmutzigem Kerosin auf grüne Alternativen zu schaffen.
Jetzt heisst es: «Der Beitrag von wasserstoffbetriebenen Flugzeugen und der Umstellung auf Wasserstoff als Kraftstoff ist deutlich geringer» als in den letzten Jahren angenommen. Vor vier Jahren rechneten die Verbände mit einem Anteil von 20 Prozent im Jahr 2050, nun wird er auf 6 Prozent beziffert.
Der Grund dafür liegt in der Annahme, dass wasserstoffbetriebene Flugzeuge insgesamt einen viel geringeren Marktanteil erreichen werden. Auch geht die Branche davon aus, dass sich die Inbetriebnahme eines Wasserstoff-«Single-Aisle-Flugzeugs» – also eines kleineren Flugzeugs mit nur einem Kabinengang – auf 2040 anstatt 2035 verschieben werde.
Rechnet man weitere Verzögerungen ein, gäbe das den Wasserstoff-Ambitionen während der kommenden 25 Jahre einen weiteren Dämpfer: Investitionen in die Forschung und Entwicklung würden sich in dem Fall erst in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts auszahlen, heisst es im Bericht warnend.
Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung der überarbeiteten Branchenstudie kam die nächste schlechte Nachricht für Wasserstoff-Fans: Der europäische Flugzeughersteller Airbus werde den Zeitplan für sein Wasserstoff-Vorzeigeprojekt um bis zu zehn Jahre nach hinten verschieben, berichtete die französische Presseagentur AFP.
Dabei steht für Airbus eigentlich fest, dass «Wasserstoff eine der vielversprechendsten Technologien ist, die Luftfahrt zu dekarbonisieren». So steht es auch weiterhin auf der Website. Das Unternehmen hatte sich vorgenommen, bis 2035 ein Wasserstoff-Verkehrsflugzeug auf den Markt zu bringen. Dieser Zeitplan wird nun nicht mehr eingehalten werden können.
In einer Reaktion gegenüber AFP räumte Airbus ein, dass die Entwicklung eines kommerziellen Ökosystems rund um Wasserstoff eine grössere Herausforderung darstelle als gedacht. «Die Fortschritte bei den notwendigen Faktoren für diesen Übergang, einschliesslich der Verfügbarkeit von Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen in grossen Mengen, gehen langsamer voran als erwartet», so Airbus.
Das bestätigt auch Markus Fischer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt im Gespräch. Das Institut forscht seit Jahren an den Möglichkeiten von Wasserstoff in der Luftfahrt, kooperiert auch mit internationalen Partnern, unter anderem in Grossbritannien. Während der vergangenen fünf Jahre habe man festgestellt, dass der erhoffte Zeitplan, Wasserstoff-Flugzeuge auf den Markt zu bringen, «nicht so schnell zu erreichen ist, wie man dachte», so Fischer, der als Vorstandsmitglied den Bereich Luftfahrt leitet. Das gelte insbesondere für grössere Passagierflugzeuge und lange Distanzen.
«Wasserstoff als Energieträger für Passagierflugzeuge wird wahrscheinlich erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in der Breite zum Tragen kommen», sagt er. In der Zwischenzeit werde man weiter daran arbeiten, Wasserstoff in kleineren Flugzeugen zu testen, etwa für regionale Flüge, und die Anwendungsmöglichkeiten dann auf grössere Flugzeuge zu erweitern.
Die Fluglinien suchen nach grünen Alternativen
Die Befunde sind dennoch ernüchternd. Wasserstoff galt als einer der zentralen Hebel für die Branche, um klimaneutral zu werden. Sie sieht nun vor, dass der Ausbau alternativer Kraftstoffe und nachhaltiger Energien mit 56 Prozent den Löwenanteil der Emissionsminderungen bringt.
Verbesserungen der Flugzeug- und Triebwerkstechnologien würden derweil einen Beitrag von 24 Prozent leisten – ein sehr viel kleinerer Anteil als noch im Jahr 2021 berechnet. Die restlichen Emissionsminderungen würden durch verschiedene Massnahmen erreicht, dazu gehören auch CO2-Preise im Rahmen eines Emissionshandels. Gleichwohl wird erwartet, dass steigende Kosten infolge der Nachhaltigkeitsbemühungen die Nachfrage dämpfen werden. Im Bericht rechnet die Branche vor, dass die Zahl der Fluggäste in Europa zwischen 2018 und 2050 um durchschnittlich 1,4 Prozent pro Jahr steigen werde.
Die sogenannten nachhaltigen alternativen Kraftstoffe – im Branchenjargon SAF genannt – werden nun einen grösseren Beitrag leisten müssen, um fossiles Kerosin zu ersetzen. Die Kategorie ist sperrig. Sie umfasst sowohl Kraftstoffe, die mit Pflanzen- und Essensresten und anderen Abfallprodukten hergestellt werden, als auch sogenannte «synthetische» und «E-Fuels». Das sind Treibstoffe, die mittels grünen Wasserstoffs und Kohlenstoffs hergestellt werden.
Aber auch die nachhaltigen Kraftstoffe kämpfen mit Herausforderungen und haben ihre Kritiker. Dazu gehören hohe Kosten – sie können bis zu sechsmal so hoch sein wie jene von fossilem Kerosin – und Unsicherheiten bezüglich zukünftiger Volumen und ihrer Beschaffung.
Biotreibstoffe werfen beispielsweise Fragen zur Landnutzung auf. Umweltaktivisten warnen schon lange davor, dass Airlines mithilfe von SAF künftig «Greenwashing» betreiben werden. Grüner Wasserstoff wird noch längst nicht in den notwendigen Mengen hergestellt. Und das, obwohl europäische Politiker durch die ganze Welt reisen, um die Volumen sicherzustellen. Im Jahr 2024 machten die alternativen Kraftstoffe gerade einmal 0,3 Prozent der globalen Kraftstoffproduktion aus. Das sei «deutlich unter früheren Schätzungen», befand der internationale Verband des Luftverkehrs Iata im Dezember.
Das schafft neue Risiken für die Branche und ihre Klimaziele. Denn die künftige Betriebserlaubnis der Luftfahrtindustrie hänge auch davon ab, ob es dem Sektor insgesamt gelinge, nachhaltiger zu werden, heisst es im Bericht warnend. Die verstärkte Abhängigkeit von nachhaltigen Kraftstoffen – und den Energieunternehmen, die diese produzieren – sei in diesem Kontext ein «substanzielles Risiko».
Wasserstoff hat es schwer – oder doch zu leicht?
Wasserstoff-Befürworter haben es trotz allen offenkundigen Herausforderungen erfolgreich geschafft, den Energieträger als eine der Schlüsseltechnologien für die europäische Energiewende zu positionieren, allen voran im Transportbereich. Die EU hat einige Programme aufgegleist, um Wasserstoff im Rahmen des «Green Deal» finanziell zu fördern.
Der Energieträger mag zwar in den Brüsseler Behörden grosse Unterstützung erfahren. In den Forschungsinstituten Europas weiss man derweil: Die Gesetze der Physik können sie nicht wegsubventionieren. So ist nicht das Design oder der Betrieb eines Wasserstoff-Flugzeuges das Schwierige. Die Sowjetunion hat das bereits 1988 geschafft. Die «New York Times» titelte damals: «Sauberer Wasserstoff lockt Luftfahrtingenieure.» Das Problem ist die Physik. Fischer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt sagt: «Die Herausforderung besteht darin, die Eigenschaften des Wasserstoffs in der Luftfahrt zu beherrschen.»
Dazu gehört allem voran die Tatsache, dass Wasserstoff mehr Platz benötigt, um den gleichen Energiegehalt wie Kerosin zu gewährleisten. Übersetzt bedeutet das: Wasserstoff-Tanks wären bis zu viermal so gross wie Kerosin-Tanks, sagt Fischer. Das Design von Wasserstoff-Flugzeugen müsse sich entsprechend ändern. Auch die dazugehörige Technologie birgt ein Mehr an Gewicht, wodurch die Nutzlast sinkt – und damit die Profitabilität.
Gleichzeitig müsse natürlich auch die Sicherheit gewährleistet werden, sagt Fischer. Wasserstoff entweicht schnell, was zu einem Brandrisiko führen kann. Tanks müssten also dazu auch noch sehr dicht sein und gleichzeitig hohem Druck standhalten können. Denn um das Tankvolumen so klein wie möglich zu halten, würde Wasserstoff erst einmal heruntergekühlt, und zwar bis zu minus 250 Grad. Der so verflüssigte Wasserstoff müsste dann zum Flugzeug transportiert werden. Dieser Prozess erfordert gleichwohl das Bauen neuer Infrastruktur und sehr viel Energie.
«Wenn man das alles zusammennimmt, dann ist man bei dem Henne-Ei Problem», sagt Fischer. «Es gilt einen Markt für Wasserstoff aufzubauen, basierend auf Angebot und Nachfrage, aber wer investiert zuerst?» Mitte Februar gab Airbus seine Jahreszahlen bekannt. Sie zeigen: Das Unternehmen hält zwar weiterhin an Wasserstoff fest, aber der Fahr- und Zeitplan für die Entwicklung von Wasserstoff-Flugzeugen wird nach hinten verschoben. Langfristig hänge vieles daran, die notwendige Wasserstoff-Infrastruktur aufzubauen, so Airbus.
In Grossbritannien hält man weiterhin grosse Stücke auf die Entwicklung mit Wasserstoff, und das unbeirrt, trotz den Hochrechnungen der Branche. So verkündete die britische Zivilluftfahrtbehörde etwa zeitgleich mit der Veröffentlichung der Roadmap 2050, dass sie ihr Wasserstoff-Programm weiter verlängern und ausweiten werde. Das Ziel: dem Vereinigten Königreich die weltweite Führungsposition im Bereich des Wasserstoff-Antriebs zu sichern.
Die Forschung werde auch auf dem europäischen Kontinent weitergehen, bestätigt Fischer. Auch wenn es länger dauern werde, bis Wasserstoff-Flugzeuge Passagiere durch Europa befördern. Die Branche rechnet in Generationen: Die nächste Generation von Flugzeugen werde von alternativen nachhaltigen Kraftstoffen betrieben, so Fischer. In der übernächsten Generation werde es dann Wasserstoff-Flugzeuge geben. So oder so aber braucht es grünen Wasserstoff, und das in grossen Mengen.