Eine Volksinitiative will die AHV-Rente für Paare massiv ausbauen. Die Fakten zeigen aber: Verheiratete leben nicht nur deutlich länger. Sie stehen auch finanziell besser da.
Verhilft die Ehe zu einem längeren Leben? Diese Frage hat ein Forscherteam der Universität Rochester in den USA anhand von Menschen mit Herzproblemen untersucht. Dabei verfolgten sie das Schicksal von 225 Personen, die eine Bypass-Operation nötig hatten. Fünfzehn Jahre nach dem Eingriff ergab sich folgendes Bild: Von den alleinstehenden Männern waren nur noch 36 Prozent am Leben. Unter den Verheirateten jedoch, die ihre Ehe als glücklich bezeichneten, überlebten ganze 83 Prozent.
Eine Vielzahl weiterer Studien bestätigt den Zusammenhang: Verheiratete erfreuen sich einer besseren Gesundheit. Sie sterben seltener an Krebs und erleiden weniger häufig einen Herzinfarkt. Die Wissenschaft schreibt der Eheschliessung eine Schutzwirkung zu. Wer in einer Partnerschaft lebt, verzichtet eher auf ungesunde Gewohnheiten wie Rauchen oder Alkoholkonsum. Zudem können sich Verheiratete besser gegenseitig absichern, sei es finanziell oder emotional in Form von Nähe und Beistand.
Eine neue Analyse des Bundes zeigt, wie stark die Lebenserwartung vom Zivilstand abhängt. Demnach sterben ledige Männer 6 Jahre früher als verheiratete. Bei den Frauen beträgt die Differenz 4 Jahre. Beim Erreichen des Pensionsalters besteht noch immer eine grosse Differenz: Verheiratete Männer leben 3,8 Jahre länger, bei den Frauen sind es immerhin 2,9 Jahre. «Diese Unterschiede in der Lebenserwartung fallen grösser aus als für andere Variablen wie das Bildungsniveau, die Nationalität, das Einkommen oder den ausgeübten Beruf», hält die Studie fest.
Sind Eheleute diskriminiert?
Diese Daten sind deshalb brisant, weil derzeit eine heftige Debatte über die angebliche Benachteiligung der Verheirateten in der AHV läuft. Im April beginnt die parlamentarische Beratung zur Volksinitiative der Mitte «Ja zu fairen AHV-Renten auch für Ehepaare – Diskriminierung der Ehe endlich abschaffen!». Heute darf die gemeinsame Rente eines Paares nicht mehr als 150 Prozent der maximalen Einzelrente betragen, zurzeit sind das 3780 Franken pro Monat. Diese Plafonierung will die Initiative abschaffen. Die Mehrausgaben würden sich laut Bund auf 4 Milliarden Franken pro Jahr belaufen.
Auf den ersten Blick könne die Plafonierung tatsächlich den Eindruck erwecken, dass die Verheirateten in der AHV zu kurz kämen, sagt der Vorsorgeexperte und ehemalige Chef einer AHV-Ausgleichskasse Andreas Zeller. Man dürfe bei diesem Vergleich aber nicht willkürlich einen Bereich herauspicken: «Berücksichtigt man alle Zahlungsströme, so sind die Eheleute sogar bevorzugt. In der AHV besteht somit keine Heiratsstrafe, sondern im Gegenteil ein Ehebonus.»
Zeller hat errechnet, wie hoch die Querfinanzierung aufgrund der höheren Lebenserwartung ausfällt. Sein Ergebnis: Jedes Jahr subventionieren die ledigen und geschiedenen Personen die Verheirateten mit 1,5 Milliarden Franken, um deren längere Rentendauer zu bezahlen. Dies ist aber nicht die einzige Begünstigung der Ehepaare: Im Todesfall zahlt ihnen die AHV eine Witwen- oder Witwerrente. Diese Ausgaben summieren sich auf jährlich 2 Milliarden Franken.
Darüber hinaus erhält die hinterbliebene Person im Rentenalter einen Verwitwetenzuschlag von 20 Prozent, was die AHV weitere 1,5 Milliarden Franken kostet. Laut Zeller handelt es sich bei diesem Zuschuss um ein Relikt aus der Zeit, bevor die AHV eine Abgeltung für die Kindererziehung einführte. «Heute wird der Erwerbsausfall einer Mutter durch die Erziehungsgutschriften gezielt ausgeglichen. Dennoch wurde der Verwitwetenzuschlag bis heute beibehalten.»
Auch die Einkommensteilung zwischen den Ehegatten, das sogenannte Splitting, spielt den Verheirateten in die Hände: Dadurch werden die Einkommen während der Ehe je hälftig dem Partner gutgeschrieben. Dies erhöht die Rente derjenigen Person, die weniger verdient hat. Zudem profitieren nicht erwerbstätige Verheiratete vielfach von einer Befreiung der AHV-Beitragspflicht. Der Bund beziffert die Mehrkosten dieser beiden Effekte auf 1 Milliarde Franken im Jahr. Das heisst: Selbst unter Ausklammerung der höheren Lebenserwartung erhalten Verheiratete insgesamt die grösseren Leistungen von der AHV.
Die Ehe befreit von der Erbschaftssteuer
Die Initiative für eine höhere Ehepaar-Rente argumentiert mit dem Konkubinat: Im heutigen System sei es für ein Paar im Pensionsalter attraktiver, ohne Trauschein zusammenzuleben. «Sich aus diesem Grund zu scheiden, überlegen sich Ehepaare über 65 sehr gut», entgegnet Sylvia Locher, Präsidentin der Organisation Pro Single Schweiz. «Den Konkubinatspaaren gleichgestellt zu sein, bedeutet nämlich, dass die Absicherung im Todesfall wegfällt. Zudem müssen sie dann hohe Erbschaftssteuern bezahlen.»
Stiegen nun die AHV-Renten der Verheirateten, so bezahlten dies nicht primär die Konkubinatspaare, sondern die 1,5 Millionen Haushalte der Alleinstehenden, betont Locher. «Diese Initiative würde uns Singles massiv bestrafen. Der Vorstoss verdeutlicht, dass ledige Personen in der Politik kaum vertreten sind und auch in der Gesellschaft wenig Wertschätzung geniessen.»
Locher weist darauf hin, dass die geltende Plafonierung der internationalen Richtlinie der OECD entspricht. Diese beziffert die Lebenskosten für zwei Personen im gleichen Haushalt auf 150 Prozent eines Single-Haushalts. Nach derselben Methode werden die Vergütungen für die AHV-Ergänzungsleistungen festgelegt: Auch dort erhalten Ehepaare das Eineinhalbfache der Alleinstehenden.
Entsprechend gibt es keine Statistik, die für verheiratete Rentner ein erhöhtes Armutsrisiko ausweist – im Gegenteil: Der Bund erhebt regelmässig, wie vielen Haushalten die finanziellen Mittel fehlen, um unerwartete Ausgaben zu stemmen. Bei den Ehepaaren über 65 betrifft dies nur 6 Prozent, bei den Einzelhaushalten dagegen sind es 16 Prozent. Dasselbe Muster zeigt sich bei den Ergänzungsleistungen: Von den ledigen Rentnern sind 22 Prozent darauf angewiesen gegenüber 6 Prozent der verheirateten.
Rentnerpaare besitzen am meisten Wohneigentum
Von einer höheren Ehepaar-Rente profitieren also primär die Wohlhabenden. In der Altersgruppe 65 bis 74 besitzen laut Bundesstatistik rekordhohe 70 Prozent der Verheirateten Wohneigentum. Bei den Alleinstehenden sind es lediglich 41 Prozent. «Die Aufhebung der Plafonierung führt zu einer Umverteilung von unten nach oben – und dies sogar innerhalb der Gruppe der Verheirateten», erklärt Andreas Zeller.
Denn immerhin 23 Prozent aller pensionierten Ehepaare haben ein zu tiefes Einkommen, um unter die Plafonierung zu fallen. Bei den Verheirateten mit Wohnsitz in der Schweiz sind es 12 Prozent. «Diese Schicht der ärmeren Rentner erhält mit der Initiative keinerlei Verbesserungen – und geht somit leer aus. Es erstaunt daher, dass auch linke Parteien positiv auf einen solchen Zuschuss für die Wohlhabenden reagieren», erklärt Zeller.
Zwar hat sich der Bundesrat gegen die Initiative ausgesprochen. Doch im Parlament dürfte der Vorstoss auf breitere Unterstützung stossen. Zur Debatte steht namentlich eine abgeschwächte Variante, welche die Plafonierung von 150 auf 170 Prozent anheben will. Selbst dies aber würde laut Berechnung des Bundes zu jährlichen Zusatzkosten von 2,5 Milliarden Franken führen.
Wie gross der politische Support für die Verheirateten ausfällt, zeigt sich schon bald an der Sitzung der zuständigen Nationalratskommission von Mitte April. Das letzte Wort hat dann ohnehin das Stimmvolk. Nach dem Ja für die 13. AHV-Rente könnten somit weitere Milliardenausgaben auf das Sozialwerk zukommen.