Sonntag, September 8

«Happy Olaf» und «Swiss Flakes» lernen sich in der Therapie kennen – und werden zu den grössten Darknet-Drogendealern des Landes.

Henry Gruber (Name geändert) verkauft selbstbewusst. «Uncut Cocaine, direkt vom Brick mit Stempel», schreibt der Schweizer Drogendealer über sein Kokain. Es sei qualitativ hochwertig und ungestreckt. Reinheitsgrad: zwischen 80 und 94 Prozent.

Im Darknet nennt sich Henry Gruber «Swiss Flakes». Sein selbsterklärtes Markenzeichen: offensive Verkaufsstrategie, hohe Zuverlässigkeit und schnelle Lieferung.

Zusammen mit Sandro Rolf (Name geändert), genannt «Happy Olaf», ist er einer der Vorreiter des digitalen Drogenhandels in der Schweiz. Noch bevor Dealer auf Telegram, Tiktok oder Instagram das kriminelle Geschäft mit Kokain, Amphetamin oder Ecstasy in neue Sphären katapultieren, sind Gruber und Rolf da – und versorgen die Schweiz in den Jahren 2016 bis 2018 über das Darknet mit dem grossen Rausch.

Zeitweise gehören «Happy Olaf» und «Swiss Flakes» laut Angaben der Behörden zu den umsatzstärksten Schweizer Verkaufskanälen für Drogen im Darknet.

Auf Plattformen wie Alpha Bay und Dream Market bieten die Männer Ecstasy und Kokain an. Der Handel funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie überall im Internet: Kunden klicken auf die Angebote. Wenn ihnen eines gefällt, verschieben sie die illegale Substanz in den Warenkorb. Sie bezahlen mit der Kryptowährung Bitcoin.

Die Händler verschicken schliesslich direkt von der Schweiz aus an die Adressen, welche die Kunden angegeben haben. Die Kunden können ihren Einkauf zudem über die Plattform bewerten.

Die Ware kommt zu spät? Drei Sterne. Die Qualität der Drogen ist ausgezeichnet? Fünf Sterne. Das Prinzip funktioniert: Und Händler wie «Swiss Flakes» und «Happy Olaf» profitieren.

Die beiden Schweizer benehmen sich wie Könige. Unfehlbar, unbesiegbar, unauffindbar. Doch da sind ihnen die Ermittler schon auf den Fersen.

Ein gemeinsames Interesse: Kokain

Das Dealer-Duo lernt sich während einer Therapie kennen. Gruber ist jahrelang Patient im Massagesalon von Sandro Rolf. Zeitweise geht er einmal wöchentlich zur Therapie. Irgendwann merken die beiden, dass sie ein gemeinsames Interesse haben: Kokain. Der 45-jährige Gruber wird später vor dem Bezirksgericht in Bülach über den vier Jahre älteren Rolf erzählen: «Er redete halt gerne bei der Massage. Wir merkten, dass wir gerne konsumieren.»

Kokain gehört da bei beiden schon länger dazu. Im Ausgang, zu Hause bei Freunden. «Ich wollte nicht auf der Strasse kaufen. Deshalb habe ich begonnen, für meine Kollegen und mich im Darknet zu bestellen», sagt Gruber. Zunächst unregelmässig, dann immer regelmässiger und in immer grösseren Mengen.

Bis er 2016 entscheidet, selbst zu verkaufen. Aus Henry Gruber wird «Swiss Flakes».

Der Account fällt auch Sandro Rolf auf, den das Darknet ohnehin fasziniert. Gruber sagt: «Er war vielleicht auch ein bisschen Fan. Er hat meinen Account beobachtet, als er noch nicht wusste, dass ich es bin.»

Irgendwann fragt Rolf ihn, ob er ihm nicht auch einen Account aufsetzen könne. Gruber kann. Am 23. Januar 2018 eröffnet er für seinen Kollegen die Accounts «Happy Olaf» und «CH-Koks» auf der Plattform Dream Market. Im Lagerraum von Gruber macht Sandro Rolf ein Foto von einem Kokainblock. Es wird sein Profilbild auf den Darknet-Märkten.

Sie sind Kollegen und gleichzeitig Konkurrenten. Zusammen beginnen die beiden Männer, Kokain und andere illegale Substanzen im grossen Stil zu verkaufen. Laut Anklage hat «Swiss Flakes» allein auf der Plattform Alpha Bay in einem Zeitraum von rund einem Jahr 1174 Verkäufe durchgeführt und einen Umsatz von rund 250 000 Franken generiert.

Kiloweise lassen die beiden Männer das weisse Pulver anliefern. Von Kurieren aus dem Ausland, die das Kokain in Blöcken verpackt an die vereinbarten Adressen bringen: Industriegebäude in der Zürcher Agglomeration. Gruber sorgt vor. Er manipuliert die Steuerung der Garagentore. So können die Kuriere unbemerkt in die Tiefgarage fahren und die Drogen deponieren.

Ab Juni 2018 setzt Gruber zudem einen mobilen Drogenbunker ein. Er montiert eine Box diebstahlsicher auf einem Fahrrad. Die Kuriere können die Drogen fortan auch dort deponieren.

In seinen mit Kameras und Funkschlössern gesicherten Lagerräumen zerteilen Gruber und mehrere Komplizen die Drogen und verpacken sie für den Versand. In einem der Lagerräume finden die Ermittler später eine professionelle Einrichtung für den Verkauf – mit zwei Tresoren, einer Vakuumiermaschine und Verpackungsmaterial. In einer Excel-Tabelle mit dem Titel «Notizen» finden sie Angaben zu Abnehmern und Preisen.

Manchmal geht auch etwas schief. Im März 2017 bestellt Rolf von einem Verkäufer 2 Kilogramm Kokain. Er und Gruber zahlen 40 000 Euro, doch die Ware kommt nie an – angeblich, weil der Lieferant verhaftet wurde.

«Es gefällt mir, ein Doppelleben zu haben»

Doch irgendwann konsumiert Gruber so viel, dass er komplett die Kontrolle verliert. «Das Ding mit den Drogen wurde für mich immer wichtiger. Das Geld rann mir nur so durch die Finger.» Seine legale Firma läuft dagegen immer schlechter. Gruber ist es egal, er kokst und kokst. Am Schluss sind es zwischen 40 und 50 Gramm Kokain pro Woche.

Die beiden werden unvorsichtig. Das geht so weit, dass Sandro Rolf im Frühling 2018 sogar schriftlich Fragen eines Journalisten von Tamedia beantwortet. Strassendealer vergleicht er darin mit Restaurants in Touristenfallen.

Er dagegen biete höchste Qualität. Er wisse, dass er gejagt werde. Doch er fühle sich sicher: «Wir haben viel in die Sicherheit investiert und fühlen uns in der Anonymität sehr wohl.» Die Nichtidentifizierbarkeit bedeute ihm aber mehr als Schutz, sagt der Dealer: «Es gefällt mir, ein Doppelleben zu haben.»

Warum tut er das? Vor Gericht wird der 49-Jährige der Richterin sagen: «Ich habe mir diese Frage in den letzten Jahren sehr oft gestellt. Ich kann Ihnen nicht sagen, was mich geritten hatte. Ich stand unter Drogeneinfluss.»

Nach dem Interview unterhalten sich «Happy Olaf» und «Swiss Flakes» darüber, ob ihnen das Zeitungsinterview mehr Kunden gebracht hat. Was die beiden nicht wissen: Sie werden bereits von Ermittlern beobachtet. Die Strafverfolger sehen, wie Kuriere in die Tiefgarage der Industrieliegenschaften fahren. Sie beobachten, wie die beiden Darknet-Dealer die Ware abholen und in die Lagerräume bringen. Die Kameras in den Lagerräumen haben die Fahnder angezapft. Eine Lieferung fangen die Ermittler sogar ab.

Auch einer von Grubers besten Kunden ist ein verdeckter Ermittler. Insgesamt dreissig Mal bestellt der Fahnder kleine Portionen Kokain und Ecstasy-Pillen. Genug, damit ihm der Dealer vertraut. Und genug, damit die beiden einen Deal eingehen. Gruber schickt dem Fahnder mehrere Male kleine Mengen Kokain zu, damit dieser es beim Drogeninformationszentrum testen lassen kann. Mit den Testresultaten wirbt er anschliessend auf den Plattformen im Darknet. Den Ermittlern liefert es den Beweis, dass Gruber tatsächlich regelmässig Drogen handelt.

Am Tag vor seiner Verhaftung macht Gruber einen letzten Deal. Am frühen Abend des 1. August fährt ein Kokainkurier aus dem Ausland mit einem BMW vor. Der Osteuropäer nimmt vier Pakete aus dem Wagen und legt sie in die Fahrradbox. Sorgsam achtet er darauf, keine Spuren zu hinterlassen. Er nutzt einen Lappen, als er die Pakete anfasst.

Am späten Abend holt Gruber die Pakete ab und bringt sie in den Lagerraum. Er teilt die Drogen auf und füllt sie in Vakuumbeutel. Am nächsten Tag bringt er Kokain und Ecstasy in den zweiten Lagerraum. Dann schnappt die Falle zu.

Wie hart darf die Strafe sein?

Nach der Festnahme geht es Henry Gruber alias «Swiss Flakes» schlecht. Der Richterin am Bezirksgericht Bülach erzählt der 45-jährige Schweizer bei der Verhandlung im Dezember 2023: «Ich hatte schwere Depressionen, war todmüde, konnte aber nicht schlafen.» Er habe starke Schweissausbrüche gehabt, seine Nasenscheidewand sei perforiert gewesen.

Staatsanwalt Stephan Walder sagt vor Gericht, das Verhalten des 45-Jährigen dürfe nicht verharmlost werden. «Der Beschuldigte war kein normaler Drogenhändler, sondern hat die Möglichkeiten des Darknets voll ausgeschöpft.» Mit unternehmerischem Gespür habe Gruber ein anonymes und möglichst aufklärungssicheres Handelssystem aufgebaut.

Die Staatsanwaltschaft spricht von einer grossen kriminellen Energie. Der Beschuldigte habe es gar nicht nötig gehabt, Drogen zu verkaufen. «Er war gutsituiert, eine Notlage war nicht zu erkennen.»

Digitale Plattformen für den Verkauf von Drogen befinden sich laut dem Staatsanwalt auf dem Vormarsch. Für die Kunden habe dies Vorteile, sagt Walder. «Es ist bequemer, gemütlich von zu Hause aus zu bestellen.» Er fordert eine Freiheitsstrafe von 9 Jahren. Er sagt: «Das Darknet ist kein rechtsfreier Raum.» Es brauche deshalb ein Exempel.

Grubers Verteidiger verlangt dagegen eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 34 Monaten. Er kritisiert: «Am Anfang war es für die Strafverfolger ein riesiger Fall. Man wollte einen Champion zur Strecke bringen.» Aber von einem grossangelegten Drogenhandel könne man nicht sprechen. «Es war in weiten Teilen eine One-Man-Show.» Gruber sei ein Tüftler und Nerd, die Staatsanwaltschaft überhöhe seine Gefährlichkeit deutlich. «Das Darknet hat den Drogenhandel nicht revolutioniert, sondern höchstens modernisiert.» Heute sei es auf anderen Kanälen viel einfacher, an Drogen zu kommen.

Drogen werden in der Schweiz tatsächlich zunehmend über das Internet verkauft. Das zeigen Befragungen. Denn das Angebot auf dem Online-Drogenmarkt ist breit – viel breiter als bei herkömmlichen Strassendealern. Manche Anbieter preisen Listen mit zwei Dutzend verschiedenen verbotenen Substanzen an. Um die Drogen zu kaufen, braucht es zudem längst keine fortgeschrittenen Computerkenntnisse mehr.

Das Bezirksgericht Bülach wählt schliesslich einen Mittelweg. 63 Monate Freiheitsstrafe lautet das Urteil – wegen gewerbs- und bandenmässiger Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie weiterer Delikte. Das Gericht geht von einer gehandelten Menge von knapp 10 Kilogramm Kokain aus. Die Richterin sagt zu Gruber: «Sie haben ein beeindruckendes Mass an Aufwand betrieben, um unentdeckt zu bleiben.»

Sein Geschäftspartner Sandro Rolf hat bereits zuvor einen Urteilsvorschlag der Staatsanwaltschaft mit einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 36 Monaten akzeptiert. Das Gericht in Bülach hat diesen Vorschlag inzwischen gutgeheissen. Mehrere weitere Mittäter sind ebenfalls verurteilt worden.

Urteile DH 230025 vom 12. 1. 24 und DG 230023 vom 31. 1. 24, noch nicht rechtskräftig.

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