Donnerstag, Juni 5

Tina Knowles hat ihre Memoiren geschrieben. Die berühmten Töchter tauchen erst in Kapitel 15 auf. Von da weg verliert das Buch an Spannung.

Tina Knowles ist berühmt dafür, Beyoncés Mutter zu sein. Und sie ist ausserdem Solanges Mutter. Das bedeutet, dass sie gleich zwei hochbegabte Sängerinnen grossgezogen hat. Und weil Beyoncé nicht nur eine der bekanntesten Frauen der Welt ist, sondern auch eine der verschwiegensten, ist Tina Knowles die Aufmerksamkeit für ihre Memoiren gewiss.

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Die Knowles-Familie hütet ihre Privatsphäre. Ihre Mitglieder, unter ihnen der Schwiegersohn Jay-Z, verarbeiten ihre persönlichen Schmerzen und Triumphe verklausuliert in den eigenen Kunstwerken – und selten anderswo. Tina Knowles arbeitet in ihrer Autobiografie mit dem Titel «Matriarchin» dieser Mythenbildung zu.

Es gibt in ihrem Buch zum Beispiel keine Informationen, die endlich klären würden, warum zwei Mitglieder Beyoncés vierköpfige Band Destiny’s Child im Jahr 2000 abrupt verlassen haben. Man erfährt nur, dass «Beyoncé dies als das Ende einer zehnjährigen Ehe sah».

Auch den Vorfall aus dem Jahr 2014 klammert sie aus. Damals wurde ein Überwachungsvideo aus einem Fahrstuhl öffentlich, in dem zu sehen ist, wie Solange Jay-Z attackiert, während Beyoncé zusieht. Beyoncé schrieb 2016 ein ganzes Album über die Untreue ihres Ehemanns Jay-Z.

Auch dieses Thema wird von Tina Knowles, die von Mathew Knowles jahrelang betrogen wurde, umschifft. Wie die 71-Jährige schreibt, hatte sie gar diverse erfolglose Fluchtversuche unternommen. Hingegen finden sich im Buch sehr positive Charakterbeschreibungen ihrer beiden Schwiegersöhne: Sie seien «wahre Segnungen», findet die Mutter. «Ich könnte mir keine besseren Versorger und Beschützer für meine Töchter und ihre Kinder wünschen.»

Die eigentliche Enttäuschung

Im ersten Drittel von «Matriarchin» hat das Buch seine stärksten Passagen. Die Erinnerungen beginnen im Jahr 1958. Tina Knowles ist vier Jahre alt. Das Mädchen mit dem Spitznamen «Badass Tenie B» lebt in armen Verhältnissen in Galveston im Gliedstaat Texas, zu einer Zeit, als die vorderen Reihen im Bus für Weisse reserviert sind und die hinteren für Schwarze.

Der Vater der siebenköpfigen Familie, ein Hafenarbeiter und «Wochenendalkoholiker», beendet Umarmungen frühzeitig mit «Okay, reicht». Agnes, die Mutter, ist Näherin. Im Tausch gegen Gewänder dürfen ihre Kinder eine katholische Grundschule besuchen. Tina Knowles’ Leben war von rassistischer Diskriminierung geprägt. In einer Szene beschreibt sie, wie ihr Bruder Skip von Polizisten festgenommen und an den Strand gefahren wird. Schwarze seien dort manchmal erschossen worden. Ihr Bruder aber wird nur verprügelt.

Die Lektüre von «Matriarchin» macht deutlich, wie stark Beyoncés Schaffen von der Geschichte ihrer Mutter beeinflusst ist. Man erfährt im Buch von der engen Beziehung zwischen Tina Knowles und Johnny, ihrem homosexuellen Neffen, der an Aids verstarb. Ihm widmet Beyoncé die Zeile im Song «Heated» (2022): «Uncle Johnny made my dress».

Leider verliert «Matriarchin» ausgerechnet dann an Spannung und Brisanz, wenn die Autorin zur Heirat mit Mathew Knowles im Jahr 1980 gelangt und sich der Fokus nun von der Sozialgeschichte auf die Aufgabe, Beyoncés Mutter zu sein, verlagert. Knowles’ berühmte Töchter tauchen in Kapitel 15 auf. Beyoncé dominiert nun das Buch – aber nicht als Mensch, sondern als Projekt.

Tina Knowles, Medienprofi und Mutter mit ausgeprägtem Beschützerinstinkt, beschränkt sich auf unverfängliche Anekdoten. So erzählt sie, dass Beyoncé als Baby nur schlafen konnte, wenn man ihr Jazz vorspielte, dass sie in der Grundschule schüchtern war und darum unbeliebt. Wenn Beyoncé die Gelegenheit bekam, zu singen und zu tanzen, blühte sie auf. Tina Knowles wurde bald zur Stylistin ihrer Tochter, zunächst für Schönheitswettbewerbe. Der Vater wurde zum Manager ihrer Pop-Karriere.

Alles für den Mythos

So aggressiv selbstbewusst, wie Tina Knowles mithilfe ihres Ghostwriters Kevin Carr O’Leary auf ihr Schaffen und Wirken verweist, so vehement verteidigt sie sich gegen das Bild, sie sei eine ehrgeizige Mutter. Sie habe ihre Töchter nie ins Showgeschäft gedrängt. Und doch war sie stets bereit, ungefähr alles dafür zu tun.

Die Aufopferung für ihre Kinder und ihre Karrieren ist beeindruckend, stellenweise auch beklemmend. Für das erste Video von Destiny’s Child, «No, No, No (Part 2)», hatte Tina Knowles nicht genug Haarverlängerungen mitgebracht, also schnitt sie sich blonde Strähnen aus den eigenen Haaren, bis Beyoncé kameratauglich war.

Selbstkritische Töne finden sich auf den knapp 600 konventionell wegerzählten Seiten kaum. Tina Knowles’ Selbstporträt ist wie ein Foto, das junge Mädchen gern von sich in die sozialen Netzwerke stellen, um bewundert zu werden – aus dem richtigen Winkel und perfekt ausgeleuchtet. Das ist nicht unbedingt immer gelungen, aber es ist genau das, was es braucht, um die Mythen der Familie Knowles aufrechtzuerhalten. Für einmal konnte Mutter Tina die Aufmerksamkeit auf sich selber lenken. Sechs Tage nach Erscheinen der Memoiren aber startete die neue Welttournee von Beyoncé.

Tina Knowles: Matriarchin. Über meine Familie, das Muttersein und die Kraft, die in uns steckt. Autobiografie aus dem Englischen von Conny Lösch. Piper-Verlag, München 2025. 576 S., Fr. 41.90.

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