Donnerstag, Oktober 10

Die Idee soll dabei helfen, den Mangel an Medizinern zu bekämpfen.

Die Schweiz bildet zu wenig Ärztinnen und Ärzte aus. Das hiesige Gesundheitswesen ist damit immer stärker vom Ausland abhängig. Von 2012 bis 2021 anerkannte die Schweiz fast 30 000 Diplome von ausländischen Medizinern. Im selben Zeitraum schlossen hierzulande nur 10 000 Ärzte ihr Studium ab.

Dass die Schweiz so wenige Medizinerinnen und Mediziner ausbildet, liegt nicht etwa am mangelnden Interesse an diesem Beruf. Sondern daran, dass es schlicht zu wenig Studienplätze gibt. Für die heute gut 2000 Plätze gibt es rund dreimal so viele Bewerber. Zwar wurde die Zahl der Studienplätze in den letzten Jahren sukzessive erhöht. Trotzdem wird nun in Bundesbern der Ruf nach einer Aufhebung des Numerus clausus laut, der Zulassungsbeschränkung fürs Medizinstudium.

Neben den fehlenden Studienplätzen gibt es noch ein zweites Problem. Zu viele junge Ärztinnen und Ärzte steigen aus dem Job aus, noch bevor sie richtig angefangen haben. Der Verband der Assistenz- und Oberärzte (VSAO) spricht von einem Drittel der Medizinerinnen, die nach dem Studium oder während der Zeit als Assistenzarzt aufhören. Das verschärft nicht nur den Fachkräftemangel, sondern verursacht auch hohe Kosten. Laut Berechnungen des Bundes kostet das Medizinstudium pro Person rund 642 000 Franken.

Josef Widler hat eine Idee, wie sich die Ausstiegsquote verringern liesse. Der Zürcher Arzt und Kantonsrat der Mitte beschreibt das Problem so: «Die Medizinstudenten sitzen im Elfenbeinturm, sie machen sich häufig falsche Vorstellungen davon, wie der Alltag im Spital aussieht.» Oft kämen sie erst im fünften Studienjahr in Kontakt mit kranken und sterbenden Menschen – und merkten dann, dass dieser belastende Beruf nichts für sie ist.

Widlers Lösung: Wer Medizin studieren will, muss vorher ein sechsmonatiges Praktikum in der Pflege absolvieren. Eine Art Realitätscheck für die jungen Aspiranten. Damit will er vorzeitige Abgänge verhindern. «Wer im Praktikum merkt, dass die Medizin doch nicht das Richtige ist, überlässt einen der raren Studienplätze jemandem, der für den Beruf besser geeignet ist.» Die heutige Selektionsmethode, die ausschliesslich aus einer Prüfung besteht, sei offenbar nicht gut genug geeignet, Personen mit der nötigen Resilienz fürs Studium auszuwählen.

Widler hat im Kantonsrat eine Motion eingereicht, die den Regierungsrat verpflichten würde, eine gesetzliche Grundlage für solche Pflegepraktika zu schaffen. Und die Motion hat beste Chancen, vom Parlament überwiesen zu werden. Denn neben der Mitte unterstützen auch GLP, FDP und SP das Vorhaben – die vier Parteien haben im Parlament eine Mehrheit.

«Pflege und Ärzteschaft müssen sich als Team begreifen»

Die SP-Kantonsrätin Renata Grünenfelder hat die Motion mitunterzeichnet. Die Pflegefachfrau erhofft sich von den Praktika auch, dass die Zusammenarbeit zwischen Pflege und Ärzteschaft verbessert und das Verständnis für die Anliegen der Pflegenden gestärkt wird.

Grünenfelder hat ihre Ausbildung in den 1990er Jahren absolviert. Damals sei es noch ganz normal gewesen, dass die angehenden Ärztinnen und Ärzte vor dem Studium ein Praktikum gemacht hätten. «Viele sprechen noch heute positiv über diese Erfahrung.» Das Praktikum habe ihnen einen Einblick in diesen auch menschlich anspruchsvollen Beruf ermöglicht und aufgezeigt, was die Aufgaben der Pflege seien. Es sei wichtig, sich gegenseitig anzuerkennen und sich als Behandlungsteam zu begreifen. «Nur dann kann man die Patientinnen und Patienten optimal behandeln.»

Auch die Betriebe könnten von der Neuerung profitieren, meint Grünenfelder. Dazu sei es aber wichtig, dass das Praktikum mindestens sechs Monate dauere. Erst nach einer gewissen Einarbeitungszeit seien die Praktikanten im Stande, selbständig Arbeiten zu übernehmen. Gerade die Erfahrungen mit Zivildienstleistenden seien immer wieder positiv. Aus ihrer Sicht müssten die angehenden Medizinstudenten ihre Praktika auch im Rahmen des Zivildienstes absolvieren können.

Weichen die Studenten nicht in andere Kantone aus?

Einige Fragen zu den Pflegepraktika sind aber noch nicht geklärt: Wie soll das Projekt finanziert werden? Müssen die Spitäler, die ohnehin schon über klamme Finanzen klagen, die Kosten tragen? Und wie viel sollen die Praktikanten verdienen? Dies müsse der Regierungsrat definieren, sagt Widler. Aus seiner Sicht müsste die Vergütung nicht allzu hoch ausfallen, schliesslich profitierten die angehenden Studenten auch von den gemachten Erfahrungen.

Was aber, wenn die potenziellen Medizinstudenten in andere Kantone ausweichen, wo es kein Praktikum braucht? «Wo sollen sie denn hin?», fragt Widler rhetorisch. In den anderen Kantonen habe es ja auch zu wenig Ausbildungsplätze.

Wenn die Idee umgesetzt wird, braucht es eine beträchtliche Menge an Praktikumsplätzen im Kanton. In Zürich bewerben sich regelmässig über 1500 Personen für ein Studium in der Humanmedizin. Würden alle vorher ein halbes Jahr lang in der Pflege arbeiten, brauchte es jährlich 700 bis 800 Stellen für Hilfspflegerinnen und -pfleger. Widler ist zuversichtlich, dass dies möglich ist, gerade wenn man nicht nur die Spitäler, sondern auch die Heime einbeziehe.

Einen konkreten Vorschlag für das neue Gesetz wird aber zunächst der Regierungsrat ausarbeiten müssen – sofern die Motion überwiesen wird.

Jungen Ärzten wären andere Massnahmen wichtiger

Die Idee geniesst in der Politik breite Unterstützung. Aber was halten die jungen Ärzte davon? Der Zürcher Verband der Assistenz- und Oberärzte gibt sich reserviert. Ob ein solches Praktikum das Richtige ist, um Abgänge von jungen Ärztinnen und Ärzten zu vermindern, «sind wir nicht sicher», heisst es auf Anfrage.

Aus Sicht des Verbandes sollten andere Massnahmen Priorität haben. Insbesondere müsse auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen geachtet werden. So zum Beispiel durch eine Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit auf 42 Stunden plus 4 Stunden Weiterbildung für Assistenzärzte. Heute betrage die durchschnittliche Arbeitszeit über 56 Stunden pro Woche.

Um die richtigen Personen für die Ärzteausbildung zu selektionieren, sollten aus Sicht des Verbands zudem neue Assessment-Verfahren geprüft werden. So würden beispielsweise in den Niederlanden Interviews mit den Kandidatinnen und Kandidaten durchgeführt. Dies wäre möglicherweise auch ein Modell für die Schweiz.

Die Spitäler sehen die Idee der Pflegepraktika grundsätzlich positiv. Der Verband der Zürcher Krankenhäuser schreibt auf Anfrage, dass man es begrüsse, wenn Ärztinnen und Ärzte schon früh auf die Herausforderungen des Jobs vorbereitet würden. Einige Punkte bereiten den Spitälern aber auch Sorgen: vor allem die Kosten, der Betreuungsaufwand für die Praktikanten und die lange Dauer des Praktikums.

Der Verband schreibt deshalb, der Aufwand müsse den Spitälern kostendeckend vergütet werden. Zudem soll der Kanton darauf achten, dass die Sache möglichst unbürokratisch gehandhabt werde. Und die Dauer des Praktikums müsste auf einen Monat beschränkt werden. Einerseits um die Spitäler nicht übermässig zu belasten, andererseits um die Ärzteausbildung nicht zusätzlich zu verlängern. Schon heute dauere es ab Beginn des Studiums mindestens 11 Jahre, bis man den Facharzttitel Innere Medizin erhalte.

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