Der Rekordmeister steht unter Trainer Vincent Kompany vor dem Titelgewinn. Doch das kann die Probleme der Münchner nicht überdecken.
Seine erste Meisterschaft dürfte Vincent Kompany nicht mehr zu nehmen sein. Zu gross ist der Abstand vor den letzten drei Spieltagen in der Bundesliga, zu dominant erscheint der FC Bayern in dieser Saison. Für den Belgier, dessen dritte Trainerstelle der FC Bayern München ist, ist das auf den ersten Blick ein grosser Erfolg. Kompany, gerade 39 Jahre alt, führt Deutschlands renommiertesten Klub nach einer titellosen Saison zur Meisterschaft.
Die Saison endet also nicht mit einem Misserfolg. Und es werden sich vermutlich auch schnell Leute finden in München, die diese Spielzeit als einen Neubeginn verkaufen werden. Dies nach den enttäuschenden anderthalb Jahren unter Thomas Tuchel, der im letzten Jahr das Minimalziel nicht erreichte und in der Meisterschaft an Bayer Leverkusen scheiterte. Dieser Vergleich mit dem Widersacher der Vorsaison birgt aber allerlei Tücken: Leverkusen spielte im vergangenen Jahr eine Saison der Rekorde, die Mannschaft wurde ohne eine einzige Niederlage Meister.
In der Bundesliga fehlt der Konkurrenzdruck
In dieser Saison fiel das Team von Trainer Xabi Alonso kurz nach der Winterpause als veritabler Konkurrent der Bayern aus – zu häufig waren die Niederlagen, die überraschenden Punktverluste, als dass der Titelverteidiger eine echte Gefahr hätte darstellen können. Die Bayern wurden also gar nicht ernsthaft herausgefordert auf nationalem Niveau, wie in vielen Jahren, als sie Meisterschaft an Meisterschaft reihten.
Aussagekräftiger allerdings waren die Auftritte auf internationalem Niveau. In der Champions League verloren sie allein in der Vorrunde drei Spiele, in der Play-off-Runde kamen sie nach einer Niederlage nur mit Ach und Krach gegen Celtic Glasgow weiter, einzig die beiden Matches gegen Leverkusen zeigten die Bayern in eindrucksvoller Form. Doch ohne den für die Mannschaft so wichtigen Jamal Musiala scheiterten die Bayern an Inter – keineswegs klar, doch an der Rechtmässigkeit des Halbfinaleinzugs der Italiener gab es nichts zu bemängeln.
Irritierend war, wie dieses Ausscheiden hingenommen wurde. Schliesslich galt das sogenannte «Finale dahoam» als das grosse Ziel der Bayern, das sie wie schon 2012 erreichen wollten; damals unterlagen sie dem FC Chelsea nach Elfmeterschiessen im heimischen Stadion. Geradezu stoisch quittierte der Trainer Vincent Kompany das Ergebnis und flüchtete sich in den Gemeinplatz, dass er schnell nach vorne schauen werde und dass es in wenigen Monaten schon wieder Champions League in München geben werde.
Vertane Chancen rufen für gewöhnlich Frust hervor, Enttäuschung, Wut. Nichts davon war in München zu beobachten, der Einzige, der sich mit einer gewissen Leidenschaft präsentierte, war Thomas Müller, dem wenige Tage zuvor eröffnet worden war, dass sein Vertrag nicht um ein weiteres Jahr verlängert wird.
Die Diskussion um den Mann, der seit einem Vierteljahrhundert in München spielt, geriet aus PR-Sicht zum Gau für die Bayern. Schliesslich, so wurde aus München kolportiert, habe Müller keine hohen Gehaltsforderungen gestellt, die Münchner entschieden sich aus Spargründen lieber gleich dafür, keinen neuen Vertrag zu offerieren. Stattdessen stehen nun die Gespräche mit Leroy Sané an, einem hochbegabten Flügelstürmer, der die für einen Spitzenklub eher unangenehme Eigenschaft mitbringt, in wichtigen Spielen partout nicht zu reüssieren.
Der Gehaltsrahmen geriet aus den Fugen
Im Lohngefüge der Münchner, das sich während Jahren in immer stattlichere Dimensionen entwickelte und im Falle von Grossverdienern bei 20 Millionen Euro jährlich nicht enden soll, zählt Sané zwar nicht zur absoluten Spitze, aber immerhin zu den Besserverdienern. Laut Gerüchten sei er bereit, «erhebliche» Einschnitte hinzunehmen, so dass es am Ende nur noch 14 bis 15 Millionen Euro inklusive Prämien sind. Angesichts der Leistungen Sanés wäre selbst ein halb so hohes Millionengehalt immer noch imposant.
Vor diesem Hintergrund erscheinen die jüngsten Diskussionen um die Finanzkraft des FC Bayern, angestossen vom Ehrenpräsidenten Uli Hoeness, geradezu frivol. Gewiss weiss Hoeness, wovon er spricht, wenn er mahnt, dass die Dinge aus dem Ruder gelaufen seien. Aber die Klage des Mannes, der Bayern München zum Weltverein gemacht hat, geht am Kern des Problems vorbei. Die Münchner verwenden ihre Finanzkraft auf eine extrem ineffektive Weise.
Der Verein, der mittlerweile eine Milliarde Umsatz generiert und dabei profitabel wirtschaftet, müsse sparen, sagte Hoeness, was angesichts solcher Löhne für Mitläufer einleuchtend ist. Bloss dürfen sich die Bayern fragen, warum drei Klubs im Halbfinal der Champions League stehen, die mit den Offerten der Bayern gewiss nicht immer konkurrieren könnten: der FC Barcelona, der FC Arsenal und eben Inter. Das hervorragende Auftreten von Paris Saint-Germain, das sich in dieser Saison zum Favoriten des Wettbewerbs aufschwingt, birgt zudem eine besondere Pointe: Der teuerste Spieler der Klubgeschichte, Kylian Mbappé, ist zu Real Madrid weitergezogen.
Auch wenn die finanziellen Möglichkeiten nicht im Detail diskutiert werden, so dürfte doch eines unstrittig sein: Sie sind wohl immer noch viel zu komfortabel, als dass sie die Münchner verleiten würden, wirklich kreativ zu werden. Stattdessen wird das Organigramm immer eindrucksvoller. Dem Vorstandschef Jan Christian Dreesen, einem Finanzfachmann, der fussballfachlichen Diskussionen eher aus dem Wege gehen dürfte, arbeitet der Sportvorstand Max Eberl zu, der einen eigenartig kompetenzfreien Eindruck erweckt. Bei Medienkonferenzen wiederum gesellt sich der Sportdirektor Christoph Freund dazu, ohne aber je üppige Redezeit für sich zu beanspruchen.
Von grossen Triumphen weiter denn je entfernt
Der Einfluss seines Wirkens ist schwer abzuschätzen, manche Beobachter in München fühlen sich an einen alten Spruch des ehemaligen Dortmunder Trainers Jürgen Klopp erinnert, der den damaligen Bayern-Vorstand Matthias Sammer diskreditierte, indem er sagte: «Als Matthias Sammer würde ich jeden Tag Gott danken, dass man ihn dazugeholt hat. Ich glaube nicht, dass Bayern München einen Punkt weniger hätte, wenn Matthias Sammer nicht da wäre.»
Immerhin können die Jahre, in denen Matthias Sammer in München wirkte, als ausserordentlich erfolgreich gelten – in dieser Zeit wurde die Champions League gewonnen. Von einem solchen Triumph sind die Bayern unter ihrem derzeitigen Sportvorstand Eberl gegenwärtig weiter entfernt als zu irgendeinem Zeitpunkt im letzten Jahrzehnt. Nichts anderes aber als der grosse europäische Titel kann der Anspruch dieses Vereins sein.
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