Mittwoch, Oktober 9

Keine Frau braucht in den Wechseljahren zwingend Hormone. Für manch eine ist die Zeit aber so belastend, dass sie von einer Therapie profitiert. Wie man herausfindet, welche Behandlung die passende ist, und wie man mit den lästigen Symptomen im Job klarkommt.

Wie auf Knopfdruck bricht Schweiss auf Stirn und Brust aus, der Pyjama wird nass, die Bettwäsche, die Haare. Trotz Hitzegefühl fröstelt sie. Ihr Herz schlägt rasend, an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Das Ganze passiert vier oder fünf Mal pro Nacht. Es sind die Wechseljahre, und Antonella Pintucci erinnert sich ungern an diese Zeit.

Sie ist 59 Jahre alt und Primarschullehrerin. Die ersten Symptome hatte sie mit 45. «Es war schlimm», sagt sie. «Ich musste mehrmals nachts Pyjama und Bettwäsche wechseln und meine Haare föhnen.» Tagsüber war sie ständig müde und wurde auch in der Schule von Hitzewallungen geplagt. «Zum Glück sahen die Kinder nie ein Problem darin. Sie fächelten mir Luft zu und rissen die Fenster auf.» Noch im Nachhinein tue es ihr aber leid, dass sie die Kinder manchmal angefahren habe. «Ich war reizbar und hatte Stimmungsschwankungen – ähnlich wie in der Pubertät.»

Wieso die Symptome so unterschiedlich sein können

Jede Frau kommt irgendwann in die Wechseljahre. Manche leiden mehr darunter, manche wenig oder gar nicht. Die Beschwerden dauern im Schnitt gut sieben Jahre. Doch erstens ist dies ein Durchschnittswert, zweitens bessern sich die Symptome im Laufe der Zeit, und drittens gibt es wirksame Behandlungsmöglichkeiten.

Die Veranlagung bestimmt zum grössten Teil, wann die letzte Regelblutung – Menopause genannt – eintritt. Die meisten Frauen sind dann zwischen 45 und 55 Jahre alt, jede zehnte aber zwischen 40 und 44.

«Ich habe mich gefragt, warum ausgerechnet ich so leiden muss, und dann auch noch so jung», sagt Ulrike Butendeich. Sie ist 48 und verantwortlich fürs Marketing in einer Unternehmensberatung. Schon mit Mitte 30 fing es an: Schweissausbrüche und Heulkrämpfe in wichtigen Meetings, bleierne Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Antriebslosigkeit.

Frauen mit starken Hitzewallungen scheinen einen engeren Temperaturregulationsbereich zu haben. Schon kleine Änderungen der Körpertemperatur lassen sie entweder zittern oder in Schweiss ausbrechen. Eine Rolle spielen auch hier womöglich die Gene. Ausserdem leiden häufiger Frauen darunter, die übergewichtig sind oder rauchen, und solche mit geringerem sozioökonomischem Status, depressiver oder ängstlicher Stimmung oder viel Stress.

Die Symptome stören im Job und können die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. «Meine Chefin schaute betont weg, wenn ich wieder einmal puterrot anlief», erinnert sich Ulrike Butendeich. «Mir hätte es sehr geholfen, wenn sie mich wahrgenommen und sich dann auf die Arbeit konzentriert hätte, etwa so: ‹Ja, sehr lästig, die Symptome, ging mir ähnlich. Was wollten Sie mir zum neuen Kunden sagen?›»

Schlimm seien vor allem die Schlafstörungen gewesen, erzählt eine 51 Jahre alte Frau, denn vorher habe sie immer gut schlafen können. Wir nennen sie Anna Müller, denn ihren echten Namen möchte sie nicht in der Zeitung sehen. «Bestimmte Kolleginnen sehen mich als Konkurrentin. Würden die von meinen Beschwerden wissen, würden sie vielleicht meine Situation ausnutzen.»

Was eine Hormontherapie bewirken kann

Eine Behandlung bessert die Symptome und damit oft auch die Situation im Job. «Die Kunst ist herauszufinden, welche Behandlung für die Frau am besten ist», sagt Petra Stute, Leiterin des Menopausenzentrums im Inselspital Bern. «Hormone können für die eine super sein, während die andere damit gar nicht klarkommt.»

Gegen Hitzewallungen wirken Hormone in Form von Östrogenen am stärksten. Sie reduzieren die Häufigkeit um 75 Prozent, das heisst pro Woche treten im Schnitt 18 Hitzewallungen weniger auf. Doch auch Placebos senken nach 14 Monaten Behandlung die Anzahl der Schweissausbrüche um mehr als die Hälfte, was zum natürlichen Verlauf der Symptome passt, die sich allmählich bessern. Die Hormone können zudem andere Wechseljahresbeschwerden lindern und sie senken das Risiko für Knochenbrüche durch Osteoporose.

«Sie sind das Wirksamste, was wir haben», sagt Thomas Eggimann, stellvertretender Chefarzt in der Frauenklinik im Spital Emmental in Burgdorf. Keine Frau brauche sie jedoch zwingend, auch wenn teilweise immer noch von Hormonersatztherapie die Rede sei, was einen Mangelzustand suggeriere. «Die Frau allein entscheidet, welche Behandlung sie möchte.»

Für Frauen, die vor allem Probleme in der Scheide oder mit dem Wasserlösen haben, reicht häufig Östrogen in der Scheide als Crème, Gel, Zäpfchen oder Ring zum Einbringen. Leidet die Frau unter starken Hitzewallungen und anderen Symptomen, eignen sich Östrogene und Gestagene in Form einer Tablette zum Schlucken, als Pflaster oder Gel zum Auftragen auf die Haut. Das Hormon Tibolon wirkt etwas schwächer als Östrogene. Weil es die Lust steigern kann, sei es eine Option für Frauen, die keine Lust mehr auf Sex hätten, sagt die Frauenärztin Stute.

Das Brustkrebsrisiko steigt nicht stark

Ein Thema in der Beratung sei immer wieder das erhöhte Brustkrebsrisiko, sagt der Frauenarzt Eggimann. «Man muss das aber in absoluten Zahlen betrachten.» Ohne Hormontherapie bekommen drei von 1000 Frauen pro Jahr Brustkrebs, mit Hormontherapie sind es vier von 1000. «Gleichzeitig weise ich dann die Frauen auf die anderen Risikofaktoren hin, die gerne unter den Tisch fallen.» So erhöhen Übergewicht und Rauchen das Krebsrisiko deutlich mehr als eine Hormontherapie. Eine alleinige vaginale Östrogentherapie beeinflusst es dagegen höchstwahrscheinlich nicht.

Antonella Pintucci und Ulrike Butendeich wollten trotz ihrer schweren Symptome keine Hormone. «Ich hätte mit dem Rauchen aufhören müssen, und das wollte ich nicht», sagt Pintucci. Butendeich hatte «die Nase voll gehabt» von Hormonen. «Jahrelang die Pille, und dann hoch dosiert Hormone im Rahmen einer künstlichen Befruchtung – mir reichte es mit den Nebenwirkungen.» Anna Müller dagegen ist mit Hormonen sehr zufrieden. «Schon nach ein paar Wochen konnte ich besser schlafen.»

Immer wieder ist von Testosteron als Alternative zu lesen. Zugelassen ist hierzulande nur der Testosteron-Vorläuferstoff Dehydroepiandrosteron (DHEA) in Form von Vaginalzäpfchen. «Die sind eine gute Option für Frauen mit Scheidenbeschwerden, die Östrogene nicht bekommen dürfen oder sie nicht möchten», sagt Eggimann.

Im Internet kann man DHEA rezeptfrei als Kapseln kaufen. DHEA kann möglicherweise Lebensqualität und Sex bessern, aber ob Hitzewallungen damit seltener auftreten, ist sehr fraglich. Als Kapsel verursacht es öfter Nebenwirkungen wie Akne und verstärkte Behaarung. Eggimann rät davon ab: «Die Mittel sind nicht wie Medikamente auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit geprüft.»

Beschwerden bessern ohne Hormone

Von den nichtmedikamentösen Massnahmen lindern kognitive Verhaltenstherapie und pflanzliche Präparate in Form von Isoflavonen oder Cimicifuga Hitzewallungen recht gut, wirken aber etwas schwächer als Hormone. Auch Ginseng, Johanniskraut und Akupunktur können helfen, es gibt hierzu aber wenige aussagekräftige Studien. Ob Ausdauersport nützt, ist unklar, denn auch hier mangelt es an Daten. Chinesische Kräuter scheinen nicht besser zu wirken als Placebo, zudem ist nicht genügend untersucht, welche Nebenwirkungen auftreten können.

Ulrike Butendeich hat jetzt, nach mehr als zehn Jahren, nur noch sporadisch Hitzewallungen. «Mir hat das regelmässige Joggen sehr geholfen.» Inzwischen sehe sie die Phase viel gelassener. Ihre Tipps: «Nicht aus allen Wolken fallen, wenn die Symptome anfangen. Aufstehen, Krönchen richten und durchkämpfen – es geht vorüber.» Antonella Pintucci hatte noch jahrelang heftige Beschwerden. Als aber ihr Vater starb und sie sich intensiv um ihre Mutter kümmerte, seien die Hitzewallungen in den Hintergrund getreten.

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Ein neues Medikament gegen Hitzewallungen

Eine neue hormonfreie Option ist das Medikament Fezolinetant. Es soll im Gehirn die «durcheinandergeratene» Temperaturregulation verbessern. In den einschlägigen Studien traten halb so oft Hitzewallungen auf wie mit Placebo, und die Symptome waren weniger unangenehm. Die Frauenärztin Stute, die an den Studien beteiligt war, hält viel von dem Präparat. «Jetzt haben wir eine Alternative für Frauen mit starken Beschwerden, die Hormone nicht bekommen dürfen oder nicht wollen.»

Allerdings ist unklar, wie gross der Effekt durch Fezolinetant wirklich ist. Denn auch unter Placebo sank die Häufigkeit um ein Drittel. Das kann an der Erwartung gelegen haben, dass die Therapie hilft. Fezolinetant bessert zudem nur die Schweissausbrüche und nicht – wie die Hormone – andere wechseljahresbedingte Beschwerden. In den Studien vertrugen die meisten Frauen das Medikament gut. «Ich halte Fezolinetant nach den bisherigen Daten für relativ sicher», sagt Manuel Haschke, Chef der Klinischen Pharmakologie im Inselspital Bern.

Auffällig waren in den Studien aber erhöhte Leberwerte bei manchen Frauen unter Fezolinetant. Beruhigenderweise gingen die Werte zurück, und der Stoff Bilirubin stieg nie gleichzeitig an – dieser Marker hätte auf einen schweren Leberschaden hingewiesen. «Möglicherweise erhöht sich aber das Risiko, wenn eine Frau Fezolinetant und gleichzeitig potenziell leberschädigende Medikamente nimmt, etwa Paracetamol», sagt Haschke. «Bei solchen Kombinationen sollte man vorsichtig sein.»

Bei all den Medikamenten dürfe man nicht die innere Einstellung vergessen, sagt Anna Müller: «Be kind to yourself. Es braucht Geduld in dieser Lebensphase. Aber sobald man das Gleichgewicht wiedergefunden hat, kommt die Lebensfreude wieder.»

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