Montag, September 30

Frans Hals gilt als der grösste Bildnismaler der abendländischen Kunstgeschichte. Seine Malerei war überdies erstaunlich inklusiv. Die Berliner Gemäldegalerie feiert den «Maler des Augenblicks» mit einer grossen Ausstellung.

Er erhebt das Weinglas und winkt ihr mit verstohlenem Lächeln zu. Sie fixiert ihn aus den Augenwinkeln mit geöffnetem, verschmitzt lachendem Mund und gänzlich im Klaren über die Wirkung ihres üppigen Décolletés auf ihn. Die beiden Porträtbilder hat Frans Hals gemalt, der wohl begnadetste Altmeister in der Darstellung menschlicher Mimik und Gestik. Die Werke korrespondieren jetzt miteinander in einer bemerkenswerten Ausstellung der Berliner Gemäldegalerie.

Neben Rembrandt und Vermeer ist Frans Hals der Dritte im Bund der bedeutendsten niederländischen Maler des 17. Jahrhunderts. Er gilt als der Bildnismaler schlechthin der gesamten europäischen Kunstgeschichte. Kein anderer hat den flüchtigen Moment einer Bewegung, den kurz aufscheinenden Ausdruck in einem Gesicht meisterhafter eingefangen als der «Maler des Augenblicks», wie der 1580 in Antwerpen geborene Hals immer wieder apostrophiert wurde.

Wenn man an Frans Hals denkt, hat man das niederländische Bürgertum vor Augen. Es sind dies die Eliten von Haarlem, wo der Maler fast sein ganzes Leben verbrachte. Zu dieser gehobenen Gesellschaft gehören neben den reichen Kaufleuten der Stadt auch berühmte Gelehrte, Theologen und Mitglieder von Bürgerwehr und sozialen Einrichtungen.

Sie sind in feines schwarzes Tuch gekleidet, die selbstbewussten Männer mit Hut und weisser Halskrause, die eleganten Frauen oft mit weisser Haube. Aber nicht nur sie hat Hals in seinen Gemälden wiedergegeben. Bunten Farbtupfern gleich beleben auch Sänger, Schausteller oder Fischerkinder das Bild der Haarlemer Bevölkerung.

Man sieht überdies lauter lachende und strahlende Menschen. Ja, das Lachen oder Lächeln ist ein Schlüsselelement in Frans Hals’ Porträtmalerei: Wie kaum ein anderer Maler vor oder nach ihm verstand er es, lachende Figuren wirklichkeitsgetreu ins Bild zu setzen. Er tat es unvoreingenommen, mit Neugier, Witz und Anteilnahme. Dies in einer Epoche, die allgemein als besonders glückliche Zeit gilt: Hals’ Porträts vermitteln uns die Lebensfreude des goldenen Zeitalters der Niederlande – einer wirtschaftlichen und kulturellen Blütezeit, die sich vor allem der weltumspannenden See- und Handelsmacht der jungen Republik verdankte.

Der erste Impressionist

Auf dem Höhepunkt dieser Epoche (um 1650) zählten die Niederlande um die 700 Maler, die für das wohlhabende Bürgertum jährlich etwa 70 000 Gemälde schufen – eine in der gesamten Kunstgeschichte beispiellose Bilderflut. Frans Hals war der Beste in seiner Sparte.

In seinen Porträts löste er sich völlig von den traditionell steifen Posen und erfand neue und lebensechte Haltungsmotive. Wie Schnappschüsse muten seine malerischen Porträts an, oft sogar wie eigentliche Charakterstudien. Etwa dann, wenn er die ungekünstelte Spontaneität von Kindern einfing. Diese grinsen auf seinen Bildern nicht selten über das ganze Gesicht.

Die jungen Männer hingegen legen bei Hals lässig den Arm über die Stuhllehne – eine typische Haltung, die zum Markenzeichen des Malers wurde. Und selbst die stolzen Kaufleute erstarren nie in auftrumpfender Pose, sondern sind stets in ihrer natürlichsten Wesensart erfasst. Nie zuvor sah ein gemaltes Ehepaar so gelöst und vertraut, ja glücklich miteinander aus wie auf dem Doppelbildnis von Isaac Abrahamsz Massa und Beatrix van der Laen. Mit diesem frühen Werk sprengt Hals alle Regeln der niederländischen Porträtmalerei.

Der Kaufmann Massa war ein treuer Kunde von Hals, was die unkonventionelle Inszenierung begünstigt haben mag. Er lehnt sich entspannt an einen Baum, seine Gemahlin hat den Arm locker auf seine Schulter gelegt. Ihr kühnes Lächeln und der herausfordernde Blick vermitteln den Eindruck, dass sie mit ihrem Partner und ihrer Ehe ziemlich zufrieden ist.

Solche Darstellungen wirken in unserer Zeit der Selfie-Manie und der Selbstoptimierung mittels Photoshop geradezu authentisch und lebensecht, nahbar und offen, als hätten wir die Wiedergegebenen in Fleisch und Blut vor uns. Hals gelingt das mittels einer meisterhaft-illusionistischen Malweise. Die ungemein treffende Charakterisierung bedurfte einer raschen Erfassung des richtigen Augenblicks. Da kam Hals sein locker und kühn geführter Pinselstrich entgegen.

Seine dynamische Malweise, die manchmal zu geradezu skizzenhaft wirkenden Gemälden führte, beeinflusste die Malerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Impressionisten wie Max Liebermann, Wilhelm Leibl oder Lovis Corinth sahen in Hals einen ihrer Vorläufer. Der Zeitgeschmack allerdings empfand Hals’ eigenwillige Maltechnik als «schlampig» und inakzeptabel, weswegen seine Werke lange als zweitrangig galten.

Inklusiver Maler

Frans Hals schilderte die Gesellschaft seiner Zeit in ausgesprochen inklusiver Weise, wie man heute sagen würde. Für die eingangs erwähnte fröhliche junge Frau mit dem Décolleté – wohl eines der berühmtesten Bilder von Hals – stand möglicherweise eine Haarlemer Prostituierte Modell. Das Innovative an dem Bild sind der porträthafte Charakter der Dargestellten und der völlige Verzicht auf irgendwelche Attribute mit moralischer Bedeutung. Das Bild zeigt eine charaktervolle Persönlichkeit und keinen Prototyp eines leichten Mädchens.

Frans Hals hat in seinen Genrebildern auch einfache Leute und soziale Aussenseiter festgehalten. Diese stammten aus seinem Haarlemer Umfeld. Derartige Bilder erfreuten sich auf dem freien Kunstmarkt grosser Beliebtheit. Nicht zuletzt verlieh Hals mit solchen Werken Randgruppen, die in der Porträtmalerei keinen Platz fanden, zu damals kaum gekannter Sichtbarkeit.

Prägnantestes Beispiel ist das Bildnis der «Malle Babbe» (verrückte Barbara). Als Modell diente Hals die geistig beeinträchtigte Barbara Claes, die 1646 wegen unsittlichen Verhaltens in das Haarlemer Arbeitshaus eingewiesen wurde. Hals zeigt sie in einer Momentaufnahme ungehemmten Lachens. Die Eule auf der Schulter steht für Torheit und Trunkenheit. Das Bild einer solchen Aussenseiterin galt in der Malerei des 17. Jahrhunderts als einzigartig. 1869 sorgte es an der Internationalen Kunstausstellung in München für Aufsehen. Von dem Werk besonders angetan war Gustave Courbet, der Begründer des Realismus. Noch vor Ort fertigte er eine Kopie davon an.

«Frans Hals. Meister des Augenblicks», Gemäldegalerie, Berlin, bis 3. November. Katalog 50 Euro.

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