Dienstag, Januar 21

Seit eine Mindestlohn-Initiative auf Bundesebene krachend scheiterte, haben linke Städte und Kantone in Eigenregie entsprechende Vorlagen durchgebracht. Weitere folgen, trotz unsicherer Rechtslage.

Eigentlich sitzen die Föderalisten im Parlament im bürgerlichen Lager. Vor allem in der Mitte-Fraktion fühlen sich viele Nationalräte als inoffizielle Ständeräte ihrer Heimatkantone. Weiter links hat man diesen Lokalpatriotismus belächelt. Dann kam der 18. Mai 2014.

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An diesem Tag lehnte die Stimmbevölkerung eine Initiative für einen nationalen Mindestlohn mit wuchtigen 76,3 Prozent ab. Sämtliche Kantone waren dagegen, sogar die linken Hochburgen Genf und Basel-Stadt.

Nach dieser Niederlage versuchen Linke und Gewerkschaften vermehrt, Mindestlöhne auf kantonaler Ebene durchzubringen. Sie erkannten, dass es eine Chance ist, sich auf ihre loyale Wählerschaft in einzelnen Regionen und städtischen Zentren zu konzentrieren. So wurden sie zu Mindestlohn-Föderalisten.

Als erster Kanton führte Neuenburg einen Mindestlohn ein. Seither sind vier weitere Kantone und mehrere Städte dem Beispiel gefolgt. Nun könnten am 9. Februar mit Basel-Landschaft und Solothurn zwei weitere Deutschschweizer Kantone folgen.

Mindestlöhne für die Kantone

Schon 2011 stimmten die Kantone Genf und Waadt über einen kantonalen Mindestlohn ab. Die Stimmbevölkerung lehnte ab. Im selben Jahr brachte die Linke im Kanton Neuenburg erstmals eine Lohn-Untergrenze zum Erfolg. Mit 19 Franken und 70 Rappen pro Stunde war die Forderung in Neuenburg allerdings bescheidener als jene der eidgenössischen Volksinitiative aus dem Jahr 2014. Diese forderte 22 Franken.

Bis der erste kantonale Mindestlohn der Schweiz eingeführt wurde, dauerte es aber noch Jahre. Mehrere Arbeitgeberverbände hatten das Bundesgericht angerufen. Sie klagten, das Bundesrecht müsse in dieser Frage Vorrang haben und die Kantone dürften nicht landesweit gültige Gesamtarbeitsverträge übersteuern. Das Bundesgericht wies die Rekurse 2017 ab und verwies darauf, dass der Neuenburger Mindestlohn vor allem der Armutsbekämpfung diene. Das Bundesgericht schuf damit einen Präzedenzfall. Und die Voraussetzungen für weitere Vorlagen.

Kurz nach Neuenburg führte auch der Kanton Jura einen Mindestlohn ein. Es folgten die Stände Tessin und Genf. Damals hiess es: Der Kanton Genf habe den höchsten Mindestlohn der Welt eingeführt. 2022 folgte mit Basel-Stadt der erste Deutschschweizer Kanton.

Wie schon in anderen Kantonen zuvor fürchteten die Arbeitgeberverbände in Basel-Stadt, dass sich ein kantonaler Mindestlohn nachteilig auf einzelne Branchen auswirken könnte. Allerdings waren die Folgen für die Gewerbler gering, das legte eine Befragung nach der Einführung des Mindestlohns nahe.

In Branchen, die über einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) verfügen, kommt der Mindestlohn in Basel-Stadt nämlich gar nicht zur Anwendung. Zudem bezogen Angestellte in der Gastro- und Reinigungsbranche durch den GAV bereits ein Gehalt, das über dem kantonalen Mindestlohn lag.

Föderalisten wollen eine zentrale Lösung

Im Baselbiet hat sich die Gewerkschaft Unia für die kommende Abstimmung ein ehrgeizigeres Ziel gesetzt. Anders als in Basel-Stadt soll der Mindestlohn hier geltende GAV übersteuern. Ausnahmen gelten für Praktika, Ferienjobs, Landwirtschafts- und Familienbetriebe. Der Abstimmung im Kanton Basel-Landschaft ging allerdings eine komplizierte Vorgeschichte voraus.

Weil die Vorlage im Baselbiet auch geltende GAV übersteuern würde, hegten die Bürgerlichen Zweifel an der Rechtmässigkeit der Vorlage und liessen sie von der zuständigen Justizkommission prüfen. Linke und Gewerkschaften sprachen von einer Verschleppungstaktik. Der Arbeitgeberverband Basel schrieb, die Initiative würde die Sozialpartnerschaft schwächen und zu Stellenabbau führen.

Auf einen Gegenvorschlag verzichtete die bürgerliche Mehrheit im Landrat allerdings. Sie rechnet mit einer Ablehnung der Initiative.

Die Initiative für einen Mindestlohn im Kanton Solothurn fordert mit 23 Franken zwar mehr Geld als der Vorstoss im Baselbiet, ist an anderer Stelle aber zurückhaltender. Im Initiativtext steht, dass Ausnahmen für den Mindestlohn noch zu bestimmen seien. Das bedeutet, die bürgerliche Mehrheit im Kantonsrat könnte die GAV, im Falle einer Annahme, von der neuen Regelung ausnehmen.

Trotzdem sehen die Bürgerlichen angesichts immer neuer Abstimmungen über Mindestlöhne in den Kantonen seit Jahren Handlungsbedarf. Schon 2020 hat der Obwaldner Mitte-Ständerat Erich Ettlin deshalb eine Motion eingereicht. Sie sollte den Vorrang von GAV vor kantonalem Recht juristisch verankern. Beide Räte winkten die Motion durch und stellten sich gegen die Empfehlungen des Bundesrates.

Im Dezember 2024 hat der Bundesrat dem Parlament einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt. In den nächsten Monaten werden die Kommissionen beider Räte erneut darüber beraten. Der Bundesrat empfiehlt weiterhin, den Gesetzesentwurf abzulehnen und nicht in die Kompetenz der Kantone einzugreifen.

Von den Kantonen in die Städte

Unterdessen haben Linke und Gewerkschaften ihr Interesse am Föderalismus noch ausgeweitet und den Kampf um Mindestlöhne von den Kantonen in die Städte verlagert. Also dorthin, wo sie klar im Vorteil sind.

Im Sommer 2023 nahm die Stimmbevölkerung der Städte Zürich und Winterthur erstmals überhaupt eine Initiative für einen kommunalen Mindestlohn an. Die Einführung verzögert sich allerdings, weil der Zürcher Gewerbeverband und die Handelskammer eine Beschwerde eingelegt haben. Daraus hat sich ein Rechtsstreit entwickelt, der nun beim Bundesgericht liegt.

Die Linke lässt sich davon nicht beirren. Im Sommer 2024 zog die Stadt Luzern nach. Mit knapper Mehrheit beschloss das Stadtparlament die Einführung eines Mindestlohns von 22 Franken. Eine bürgerliche Koalition aus FDP, GLP, Mitte und SVP plante ein Referendum gegen den Vorstoss. Sie scheiterte jedoch an der Hürde von 800 nötigen Unterschriften.

Im vergangenen Jahr haben Linke und Gewerkschaften in den Städten Bern, Biel und Schaffhausen weitere Initiativen für einen Mindestlohn eingereicht. Die Abstimmung dürfte sich aber verzögern. Zumindest bis das Bundesgericht geklärt hat, ob Städte und Gemeinden Mindestlöhne einführen dürfen.

Sollte das Bundesgericht den Städten und Gemeinden recht geben, hätte die eigentlich zentralistisch orientierte Linke den Föderalismus in der Schweiz ausgebaut. Gegen den Widerstand der föderalistisch geprägten Bürgerlichen.

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